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BMW F 900 XR: runder Allrounder

BMW stellt der ziemlich wilden S 1000 XR eine ziemlich milde F 900 XR zur Seite. Ein Charakter, der zum Pflichtenheft eines Allrounders sehr gut passt.

Fahrzeughersteller mit Fortune zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie jede erfolgversprechende Nische früh-, oder besser noch rechtzeitig füllen. Zuletzt stark im Kommen ist die Mittelklasse, dich sich anders als bei den Autos nicht über die Grösse des Fahrzeugs, sondern über die Grösse des Hubraums definiert. Das heisst dann also: 800 bis 1000 ccm, ungefähr 90 bis 120 PS.

Dicht bevölkert ist die Mittelklasse bereits bei den Naked Bikes. Noch etwas mehr Platz ist für Allrounder. Das können Sporttourer sein, strassenorientierte Enduros oder Crossover, welche Enduro-Ergonomie mit Strassenperformance paaren.

Damit wären wir bei der F 900 XR angelangt. Gemeinsam mit der Roadster-Schwester F 900 R diesen Frühling lanciert, passt die «kleine» XR perfekt zum Label Crossover. So wie ein Peugeot 2008 oder ein Ford Puma ein bisschen höher auf den Beinen steht, sonst aber viele Gleichteile mit dem Kleinwagen-Pendant aufweisen, unterscheiden sich R und XR vorab durch ungleich lange Federwege, dazu in Sachen Ergonomie und Styling.

Mit rund 170 mm sind die Federwege der XR gut 30 länger als jene der R, aber doch nicht lang genug, um irgendwelche Offroad-Ambitionen zu nähren. Auch die Reifen von Michelin sind reine Strassengummis. Gut so, BMW positioniert die XR glasklar strassenorientiert. Wer an Schotter auch nur denkt, so bei den GSsen gucken.

Auch schön: Weil das Gerät eben weder Sprünge abfedern noch verblockte Felspassagen rocken will, bleibt die Sitzhöhe im überschaubaren Bereich. Durch diverse Sitzbankoptionen plus allenfalls einer Tieferlegung lässt sich die XR auf ein Publikum von kurzbeinig bis hünenhaft anpassen. Solche Tricks haben nur wenige Hersteller in dieser Breite parat.

Die Standardsitzhöhe von 825 mm passt für einen 170-cm-Menschen gut. Man sitzt drin im Töff, aber nicht zu passiv, auf überraschend straffem Polster. Die Schenkel schmiegen sich ohne Druckstellen an den Tank, die Mensch-Maschine-Verbindung klappt bestens.

BMW hat ja, im Auto- wie im Zweiradsektor, ein durchaus verdientes Premium-Image, gekoppelt mit entsprechenden Preiserwartungen. Die beiden 900er wollen dies etwas korrigieren. Die F 900 R wird ab 9900 Franken gehandelt, die XR ab 12’300, das passt bestens in die Mittelklasse. Ab-Preise erwecken aber den Verdacht, eher theoretischer Natur zu sein. BMW Schweiz jedenfalls hat ihr Pressemotorrad tatsächlich ohne Zusatzoptionen herausgegeben. Wohl auch um zu belegen, dass eben schon eine BMW-Basisversion ein vollständiger Töff und sehr wohl bestellbar ist (wer mit Optionen-Kreuzlein um sich wirft, ist selber schuld…).

Und tatsächlich, es fehlt nix, auch wenn deutlich mehr ginge. In Serie ist die F 900 XR mit zwei Fahrmodi, ABS, Traktionskontrolle sowie, würdiges Feature für einen Allrounder, mit Heizgriffen ausgestattet. In der Schweiz gehört in der Grundausstattung auch «Fahrmodi Pro» dazu. Will heissen, Kurven-ABS, schräglagenabhängige Traktionskontrolle und Motorschleppmomentregelung sind ebenfalls dabei. So etwas gilt anderswo als Vollausstattung. Mindestens.

Auf einen Komplettpreis von 14’510 Franken lässt sich die XR mit folgenden Paketen aufrüsten:

  • Kurvenlicht und Schaltassistent im Paket Dynamic (Fr. 720.-)
  • El. Einstellung des Federbeins (ESA), Hauptständer und schlüsselloses Starten im Paket Komfort (Fr. 780.-)
  • Tempomat und Navi-Vorbereitung im Paket Touring (Fr. 480.-)
Der Schlüssel bleibt im Hosensack – wenn man das Paket Komfort dazuordert.

Da sind dann auch, man weiss gar nicht, wie man das konfiguriert hat, Kurven-ABS und dynamische Traktionskontrolle (beides basierend auf Schräglagen-Sensorik) dabei. Ergo so ziemlich alles, was im Jahr 2020 die Töff-Technologie hergibt. Alles gut und recht, aber, seien wir ehrlich, nichts Unentbehrliches fürs Motorradfahrer-Glück…

So rollt man also los mit diesem 105-PS-Töff und schon kurz darauf wundert man sich, wo diese PS denn wohl sind. Der Zweizylinder mit 90° Hubzapfenversatz (und entsprechend unregelmässiger Zündfolge) gibt sich enorm manierlich, aber auch sehr handzahm. Die geschätzten Kollegen vom Magazin Motorrad, oft gescholten für ihre guten Kritiken der Münchner Motorräder, sprechen dem Antrieb so ziemlich jeglichen Spassfaktor ab.

Tatsächlich hat BMW den Reihenzweizylinder und Peripherie zu einem milden Mix kombiniert: Die sanfte Gasannahme sowie eine recht lange Übersetzung von Antrieb und Gasgriff kaschieren den durchaus vorhandenen Druck im Kessel, die maximal 92 Nm Drehmoment sind schliesslich sehr okay. Das Milde macht umgänglich und damit wird die XR ausgesprochen angenehm im täglichen Umgang. Und wenn’s schwungvoll zur Sache geht, vermittelt diese Abstimmung den Eindruck, man könne den Töff so richtig hernehmen, so richtig auswinden. Man spürt: mir hat diese Auslegung durchaus getaugt.

Federbein mit Reserven. Direkt angelenkt, dafür einfache Einstellung der Vorspannung.

Auf der Rückseite meines Hausbergs kommt eine weitere Qualität des Crossovers zum Tragen. Über Falten und Buckel saugt sich die XR mit ihren Federwegreserven sehr vertrauenerweckend an den Asphalt. Straffer abgestimmte Fahrwerke erfordern bei ähnlicher Gangart hier höchste Konzentration, während man mit der XR ganz entspannt angreift.

Was sie nicht so mag, ist hartes Ankern mit den BMW-typisch bissig abgestimmten Brembos. Dann taucht die weich ausgelegte, nicht einstellbare Gabel geschwind und tief ein. Lässt sich aber auffangen, in dem man erstens den Bremspunkt ein paar Meter vorverlegt und zweitens hinten mitstabilisiert. Weiche Gabel und giftige Bremsen harmonieren auch bei Korrekturbremsungen in Schräglage nicht wirklich. Die Front knickt ein, das Bike stellt sich auf. Zumindest die Stilnote ist für diese Kurve im Eimer…

Keine Sorgen muss man sich über die Hinterhand machen: Auch im Dynamic Mode verhindert das ABS ein Abheben des Hinterrads, der Radstand ist lang, beim Herunterschalten wacht die Rutschkupplung und beim abrupten Gaswegnehmen die Motorschleppmoment-Kontrolle. Das mag alles nicht sexy sein, macht aber schnell. Was dann sehr wohl sexy ist.

Erfreuliches geschieht an der Tankstelle. Einmal verzeichne ich einen Verbrauch von 3,9 l / 100 km (hoher Autobahnanteil), dann folgt eine Tankung mit 4,1 Litern (Landstrasse, teilweise mit Sozia). Gewiss, ich neige dazu, früh hochzuschalten, aber auch so sind das tolle Werte, angesichts der sicher nicht aerodynamisch günstigen Gestalt eines Crossovers. BMW gibt den Verbrauch laut WMTC übrigens mit 4,2 Litern an. Wäre durchaus zeitgemäss, wenn alle Hersteller diesen Verbrauch bekannt gäben.

15,5 Liter passen laut BMW in den geschweissten Kunststofftank. Damit liegt die Praxisreichweite auf Touren bei deutlich über 300 km, da gibt’s also nix zu meckern.

Lob ertönt auch aus der zweiten Reihe. Die Sozia schätzt die gut ausbalancierte Sitzposition, den rutschfreien Sitz und die Absenz von Vibrationen in den Fussrasten (oft ein kleines, aber auf Dauer nerviges Problem). Auch vom Fahrtwind kriegt Madame wenig mit.

Windschild Sport. Niedrig, dafür einfach einstellbar.

Diesbezüglich kann der Pilot nicht einstimmen. Das Winschild mag mittels griffgünstigem Hebel auch in Fahrt in zwei Positionen eingestellt werden, es hilft wenig. Zumindest das Scheibchen am Testtöff ist zu klein und zu weit vom Fahrer entfernt für richtigen Schutz, aber zu gross, um den Wind, ähnlich einem Naked Bike, einfach ungestört durchzulassen. Vielmehr zerren Verwirbelungen am ganzen Körper, und im Ohr surrt es unfassbar laut.

Auf der Autobahn war eine F 800 GT – vom Verwendungszweck eine Vorgängerin der F 900 XR – bezüglich Windschutz deutlich überlegen. Dafür nervten dort die Motorvibrationen beim Autobahn-Konstanttempo. Der konventioneller (Ausgleichswellen statt Gegenläufer-Pleuel) gebaute 900er hingegen pulsiert unauffällig und damit langstreckentauglich.

Wie erwähnt ist die vielversprechende Nische der Crossover-Mittelklasse noch nicht überbevölkert. Als direkte Konkurrenz der BMW F 900 XR fällt mir nur die Yamaha Tracer 900 ein. Sie betont stärker die sportliche Seite des Themas, mit spritzigem Dreizylinder und einem stärker an eine Supermoto erinnernde Ergonomie. Ihre Quirligkeit macht sie aber auch etwas anspruchsvoller zu fahren. Von einer 500-km-Runde dürfte der BMW-Pilot entspannter zurück kehren…

Alternative aus dem gleichen Haus: der Roadster, F 900 R.

Und wer sich mit dem Windschutz nicht anfreunden kann, hat zwei Optionen. Entweder gleich den Roadster, die F 900 XR wählen. Oder bei der XR nicht den niedrigen «Windschild Sport» wählen, der mit der Farbwahl Racingred einhergeht.

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