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Honda CBR 650 R 2019: Unter dem Radar

Ist die neue, vollverkleidete 650er Honda ein Budget-Sportler oder ein kleiner Sporttourer? Sie ist beides, was auch ein Problem sein könnte: Weder bei Sportfans noch bei Reisenden erscheint sie auf dem Radar.

Die «kleine» Honda überrascht mich schon mit dem Druck auf den Anlasserknopf. Erstaunlich tief in der Tonleiter stimmt die CBR 650 R ihren Vierzylinder-Song an. Das klingt satt, das klingt nach Kraft. Warum mich das überrascht? Wohl weil ich längst auch ein Marketingopfer geworden bin, eines das glaubt, ein Leben unter 1000 ccm gebe es nicht, und eine 650er müsse wohl klingen wie ein rachitischer Rasenmäher.

Neenee, die neue, nicht kleine, aber doch kompakte Honda ist kein Anfänger-Motorrad, auch wenn deren Qualitäten für A2-Einsteiger – das Bike lässt sich einfach A2-konform drosseln – sehr wohl passen.

Um die neue Honda CBR 650 R zu verstehen, kann man sich von zwei unterschiedlichen Richtungen nähern. Die eine heisst Honda CBR 600 RR, die andere VFR 750 respektive VFR 800. Anders ausgedrückt: man kann den Töff aus sportlicher oder aus touristischer Betrachtungsweise begutachten.

Die 600er RR, das war Hondas Angebot im Vierkampf mit den japanischen Konkurrenten, als in den Neunziger- und Nullerjahren die drehzahlgeilen Stummellenker-Renner noch richtig angesagt waren. Für ein älter werdendes Publikum waren diese Fräsen zu radikal. Heute sind sie beinahe ausgetorben, Honda jedenfalls hat nur noch die 1000 RR, besser bekannt als Fireblade, im Programm.

Auch eine VFR fehlt heute im Angbebot von Honda. Sie hatte ausgesprochen sportliche Gene, vorab im Hightech-Motor, entwickelte sich dann aber zum unbestrittenen König der Sporttourer.

Zwischen diesen vergangenen Grössen steht die neue CBR 650 R. Eine Prise Sport, ein Schuss Tourismus, das könnte auch heute ein Erfolgsrezept sein, wenn zwei wichtige Bedingungen erfüllt sind: passable Optik und ein ebensolcher Preis.

Optik ist natürlich Geschmackssache. Doch die stark an die Fireblade angelehnte Verkleidung, der in einem schmucken Gehäuse sitzende Motor, die elegant geschwungenen Auspuffkrümmer, die weitgehend kabel- und schlauch-freie Motorperipherie und die hochwertige Bananenschwinge (zumindest auf der «Schoggiseite», also rechts) machen viel her. Was angesichts des Verkaufspreises, von just unter 10’000 Franken, aller Ehren wert ist. Ihre Vorfahren im Geiste waren da deutlich kostspieliger. So aus dem Kopf heraus würde ich die CBR 600 RR von einst bei rund 14’000 Franken ansiedeln, die VFR für nochmals einiges mehr.

Für einmal war genug Zeit für eine richtig lange OneMoreLap. Eine die ins südliche Frankreich führte, in die Ardèche. Kleine Strässchen, oft wellig, fast immer sehr guter Grip, kein Verkehr und Kurven bis der Arzt kommt.

Hier könnte man vortrefflich mit einer Reiseenduro aufgeigen. Oder eben mit der kleinen CBR, die in keiner Disziplin extrem ist. Die Sitzposition ist kompakt-sportiv, aber nicht verkrampft. Auch Spitzkehren überfordern die Beweglichkeit im Nacken nicht. Die Bremse agiert defensiv, so dass man sehr entspannt tief in die Kurve hineinbremsen kann; so fallen auch Korrekturen der Linie leicht. Dieses Wissen, stets improvisieren zu können, macht wiederum mutig am Kurveneingang, und das macht stressfrei schnell.

Entscheidenden Anteil am sportiven Wohlgefühl hat die Rückmeldung vom Vorderrad. Da herrscht klare Transparenz wie auf einem Supersportler, aber eben ohne dessen kompromisslos-vorderradorientierte Sitzposition.

Die Federelemente sind – von der Federvorspannung hinten abgesehen – nicht einstellbar, doch für einen Piloten meines Gewichts geht der Kompromiss sehr gut auf. Auf welligem Untergrund spürt man eine leichte Unruhe, doch vom Gas muss man deswegen längst noch nicht.

Also, das Kapitel Sport absolviert die CBR 650 R überzeugend. Für schnelle Runden auf der Rennstrecke ist sie nicht gebaut, doch auf der Strasse gerät sie kaum aus der Verlegenheit. Übrigens kann man, in dieser Preisklasse nicht selbstverständlich, auf eine Traktionskontrolle zählen, die zudem per Knopfdruck – und nicht wie anderswo versteckt in den Tiefen eines Bordcomputer-Menus – abschaltbar ist. Fein für Kindsköpfe, die spontan mal Wheelies üben möchten.

Im Kapitel Komfort kann ein so kompaktes und günstiges Fahrzeug keine Sofasessel-Wohlfühloase bieten. Weder Handgriffe noch Sitzbank sind geheizt, es gibt keinen Tempomaten und auch keine Kaffeemaschine unter der Sitzbank.


Aber man kommt auf der CBR gut unter, vorausgesetzt die Körpergrösse liegt nicht zu nah an der 2-Meter-Grenze. Trotz eher kurzer Arme musste sich der Autor nur moderat zu den hoch montierten und nicht zu schmalen Lenkerstummeln beugen; das Gewicht ist auf Arme und Beine verteilt, so dass auch Tagestouren den Allerwertesten kaum fordern.

Auch Autobahnetappen liessen sich angenehm abreiten; die Scheibe bietet etwas Windschutz, und was zum Fahrer gelangt, ist zumindest verwirbelungsfrei.

Zum Komfort gehören für mich auch Dinge wie ein butterweiches Getriebe, eine leichtgängige Kupplung oder das unendlich breite Drehzahlband, wie es Vierzylinder nun mal bieten. Solange Tourismus angesagt ist, rollt man im 5. oder 6. Gang, ohne dass sich das Triebwerk unwillig schüttelt. Das resultiert in Verbräuche von weniger als 5 l / 100 km, was wiederum sorgenfreie 300 km Reichweite ergibt.

Soweit ist die Honda CBR 650 R eine durchaus taugliche Reisebegleiterin. Abstriche sind hingegen beim Transport zu machen, da spielt sie schon eher die Sportlerin. Meine 5-Tages-Tour in die Ardèche liess sich mit einer auf dem Soziusplatz vertauten Gepäckrolle und einem Tankrucksack meistern. Der auf dem Fahrfoto sichtbare Rucksack war berufsbedingt nötig für das nötige Reporter-Foto-Equipment.

Nur die Note genügend erhält die Anzeige. Das blasse LCD-Display ist die einzige mir bekannte Töffanzeige, die nur unter direkter Sonneneinstrahlung gut, sonst aber ziemlich schlecht ablesbar ist… Ehrlich, da nähme ich gerne die guten, alten Tachonadeln unter entspiegeltem Glas, kombiniert mit einem Mini-Display für die Ganganzeige.

Alles in allem aber eine überzeugte Kaufempfehlung für dieses ausgereifte, ehrliche und hübsche Sportmotorrad mit Alltags- und Langstreckenqualitäten zum fairen Preis!

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1 Kommentar

  1. Hi, ich fahre die CBR650R seit einem Jahr als Zweitmotorrad zur MV Agusta F3 800 und endlich ein Testbericht der genau meine Erfahrungen widerspiegelt. Wie oft las ich schwergängiges Getriebe, schlechte Bremsen und viele negative Dinge, aber es ist anders: Geringer Spritverbrauch mit 4,5 bis 5 Liter bei flotter Fahrt (MV nie unter 7l), die Vorderradbremse kann ich im Soziusbetrieb mit einem Finger bedienen und sie beißt. In Kehren kann man auch mit dem 3.Gang fahren. Für diese Preisklasse ist es ein Top-Motrorrad. Ich habe die Lenkerstummel noch um 3cm tiefer platziert und die Fußrasten zurückverlegt und seitdem kann man es Sportmotorrad nennen 🙂 Natürlich auch ein kürzeres Heck und folierte Felgen. Das einzig negative ist das Display, das man wie beschrieben nur bei direkter Sonneneinstrahlung gut ablesen kann. – Vielen Dank für diesen tollen Bericht!!!

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