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Cannonball Run 2025: 28 Stunden, 53 Minuten und die Frage, was moderne Langstrecke heute kann

Der Start eines ernst gemeinten Cannonball-Runs ist meistens vor dem Sonnenaufgang. Früh am Morgen ist der Verkehr berechenbarer, die Temperaturen stabiler, die Konzentration hoch. Genau deshalb sind @cannonballCC und @tommyt0467 zu diesem Zeitpunkt in New York losgefahren. 28 Stunden und 53 Minuten später stand ein Resultat, das sich sehen lässt: schnellster dokumentierter Run des Jahres 2025, 97,7 mph / 157.2 km/h Durchschnitt, keine Polizeistopps.

Das ist keine Heldengeschichte und kein Zufall. Es ist das Ergebnis eines gut geplanten Logistikmanövers, das über rund 4’500 Kilometer funktioniert hat. Dazu ein Quäntchen Glück und fertig ist der Cannonball-Run im Jahre 2025. Doch beginnen wir von vorne und schauen uns dieses waghalsige Phänomen etwas genauer an.


Warum geht es beim Cannonball? Durchschnittsgeschwindigkeit oder Topspeed?

Der Cannonball Run bezeichnet den inoffiziellen Versuch, die Vereinigten Staaten auf dem Landweg möglichst schnell zu durchqueren. Die klassische Strecke führt vom Red Ball Garage in New York City bis zum Portofino Hotel in Redondo Beach bei Los Angeles. Rund 4’500 Kilometer über mehrere Bundesstaaten hinweg, ohne feste Route, ohne offizielle Zeitnahme und ohne sportliche Regularien. Dokumentiert werden erfolgreiche Läufe in der Regel durch GPS-Daten, Videoaufzeichnungen und Bilder an Start und Ziel.

Von aussen betrachtet wirkt der Cannonball wie maximale Grenzüberschreitung. Wer sich jedoch mit den dokumentierten Runs, den Fahrzeugen und den Abläufen beschäftigt, erkennt schnell das Gegenteil. Ein erfolgreicher Cannonball basiert nicht auf maximaler Geschwindigkeit, sondern auf kontrollierter Durchschnittsleistung. Marathon statt Sprint.

Der Durchschnitt ist das zentrale Kriterium. Er bestraft jede unnötige Pause, jede falsche Entscheidung, jede Phase nachlassender Konzentration. Hohe Spitzenwerte helfen wenig, wenn sie später durch Stopps oder Verzögerungen relativiert werden.

Einordnung: Wie sich der moderne Cannonball entwickelt hat

Road & Track hat mit einem Video die Entwicklung der modernen Cannonball-Ära sauber dokumentiert. Der Wendepunkt kam 2006, als Alex Roy und David Maher den Mythos mit einem handgeschalteten BMW M5 E39 (auch bekannt als Team Polizei bei Gumball 3000) in die Gegenwart holten. Ab diesem Moment fielen die Zeiten nicht kontinuierlich, sondern in grossen Schritten.

2013 setzte Ed Bolian mit einem Mercedes CL55 AMG eine neue Marke. 2019 folgten Arne Toman und Doug Tabbutt mit dem Mercedes E63 AMG, bevor 2020 während der Pandemie gleich mehrere Rekorde purzelten. Leere Strassen, weniger Baustellen und perfekte Bedingungen machten möglich, was zuvor theoretisch erschien.

In dieser Phase entstand auch das bis heute ikonischste Fahrzeug der Cannonball-Geschichte: der Audi S6 mit V8 Benziner im Police-Interceptor-Look, mit dem Toman, Tabbutt und Dunadel Daryoush im Mai 2020 die aktuell meistzitierte Bestmarke von 25 Stunden und 39 Minuten setzten. Für den Run wurde das Fahrzeug gezielt angepasst, allerdings nicht im Sinne maximaler Leistung, sondern auf Dauerbelastung und Reichweite. Das Herzstück war ein zusätzlicher Kraftstofftank im Kofferraum, der zusammen mit dem Serientank ein Gesamtvolumen von rund 250 Litern ermöglichte. Dadurch konnten die Stopps auf ein absolutes Minimum reduziert werden – ein entscheidender Faktor für den hohen Durchschnitt.

Leistungsseitig blieb das Auto bewusst unterhalb einer Extremabstimmung. Der Fokus lag auf thermischer Stabilität, nicht auf Spitzenwerten. Modifizierte Turbolader, ein vergrösserter Ladeluftkühler und eine angepasste Motorsteuerung sorgten dafür, dass der V8 auch über viele Stunden hinweg konstant Leistung abgeben konnte, ohne in kritische Temperaturbereiche zu geraten. Die Abstimmung erlaubte zudem flexible Anpassungen an unterschiedliche Kraftstoffqualitäten entlang der Strecke.

Ein wesentlicher Teil des Systems war die Optik. Der Audi wurde so gestaltet, dass er aus der Distanz einem Ford Police Interceptor ähnelte. Keine Blaulichter, keine aktiven Sondersignale, sondern eine visuelle Anmutung, die im Rückspiegel eher Zurückhaltung als Aufmerksamkeit erzeugte. Es ging nicht um Täuschung im rechtlichen Sinn, sondern um Unauffälligkeit im Verkehrsfluss.

Im Innenraum dominierte Funktionalität. Mehrere Navigations- und Kommunikationssysteme liefen parallel, ergänzt durch Polizeifunkempfänger, Verkehrsüberwachung und redundante Stromversorgung. Eine Dachkamera mit Wärmebildfunktion unterstützte die nächtliche Situationswahrnehmung, insbesondere in dünn besiedelten Regionen. Dashcams und GPS-Logging dienten der lückenlosen Dokumentation des Laufs.

Warum das Thema längst über Verbrenner hinausgeht

Dass transkontinentale Fahrten auch elektrisch funktionieren, ist unbestritten. Fahrzeuge wie der Porsche Taycan, Tesla Model S oder Lucid Air haben gezeigt, dass sich tausende Kilometer planbar, ruhig und technisch sauber absolvieren lassen, wenn Ladeleistung, Verbrauch und Pausen intelligent kombiniert werden. Der Reiz liegt dabei nicht im Tempo, sondern im Rhythmus.

In Europa wird dieses Prinzip gerne unter dem Namen E-Cannonball verkauft. Was dort passiert, ist allerdings weniger Grenzerfahrung als Gleichmässigkeitsrallye mit Livestream, Sponsorenlogos und Ladeinfrastruktur als Eventkulisse. Etikettenschwindel. Wer am effizientesten fährt und am besten kalkuliert, gewinnt – Motorleistung spielt kaum eine Rolle.

Europa hätte das Potenzial für mehr. Es nutzt es nur nicht.

Warum gewinnen beim Cannonball fast immer Limousinen statt Supersportwagen?

Ein Blick auf die Rekordliste zeigt ein erstaunlich klares Muster. Es gewinnen nicht die spektakulärsten Autos, sondern die, die über viele Stunden schnell bleiben können, ohne den Fahrer zu ermüden.

Erwähnenswert ist, dass der jüngste dokumentierte Run sehr wahrscheinlich mit einem Cadillac CT5-V Blackwing durchgeführt wurde. Ein Auto, das perfekt ins moderne Cannonball-Profil passt: hoher Topspeed, enorme Dauerleistung, sehr gute Sitze, unauffällige Limousinenform, grosse Reichweite. Das unterstreicht einmal mehr, dass sich an der Fahrzeuglogik wenig geändert hat. Es gewinnen nicht die lautesten oder auffälligsten Autos, sondern jene, die über viele Stunden ruhig schnell sein können.

Der BMW M5 (E39) war 2006 weniger wegen seiner Dramatik relevant, sondern weil er zeigte, dass moderne Performance-Limousinen für solche Distanzen taugen. Der CL55 AMG setzte 2013 auf Ruhe, Komfort und souveräne Leistungsentfaltung. Der E63 AMG von 2019 kombinierte brutale Leistungsreserven mit Alltagstauglichkeit. Der Audi A8 und später der S6 machten endgültig klar, dass Luxuslimousinen als perfekte Cannonball-Werkzeuge bestens funktionieren.

Warum sind Komfort, Reichweite und Unauffälligkeit entscheidend?

Unabhängig vom Antrieb lassen sich die Eigenschaften klar benennen. Ein geeignetes Cannonball-Fahrzeug ist kein Exot, sondern ein Langstreckenwerkzeug.

Es muss bei hohem Tempo stabil bleiben, ohne nervös zu werden. Es braucht echte Reichweite, weil Stopps den Durchschnitt zerstören. Es muss komfortabel sein, weil gute Sitze, geringe Geräuschkulisse und entspannte Ergonomie über Stunden messbare Leistungsvorteile bringen. Es sollte unauffällig sein, keine Aufmerksamkeit erzeugen, weder optisch noch akustisch. Es muss robust sein, thermisch stabil, technisch zuverlässig. Und es braucht Platz für saubere Integration von Navigation, Stromversorgung und redundanten Systemen.

Genau deshalb tauchen in der Historie immer wieder grosse AMG-, M- oder RS-Limousinen, klassische Luxusliner wie A8 oder S-Klasse oder grosse, ruhige GT-Coupés auf. Nicht weil sie cool wirken, sondern weil sie funktionieren. In Europa könnte diese Rolle auch ein BMW-Alpina übernehmen.

Cannonball in der Praxis: Ausrüstung, Disziplin und Planung

Von aussen betrachtet wirkt ein Cannonball-Run wie ein technischer Overkill. Hightech, Gadgets, Spezialausrüstung. Der Mythos suggeriert, dass es vor allem um Hardware geht. Um Radarwarner, Nachtsichtgeräte, Zusatztechnik. Die Realität ist weniger spektakulär und deutlich anspruchsvoller.

Ähnlich überschätzt wird die Rolle von Radar- und Lasertechnik. Sie kann helfen, Risiken zu minimieren, ersetzt aber keine Strategie. Unauffällig bleiben, den Verkehrsfluss nutzen, Zeitfenster erkennen und nicht provozieren. Der beste Run ist der, den niemand bemerkt.

Auch Tankstopps werden häufig unterschätzt. Anhalten, tanken, weiterfahren – klingt banal, ist es aber nicht. Jeder Stopp ist ein kritischer Moment, der über den Durchschnitt entscheidet. Deshalb setzen erfolgreiche Teams auf zusätzliche Kraftstofftanks, oft mit einem Gesamtvolumen von etwa 250 Litern. Standzeiten werden auf ein Minimum reduziert, Tankstellen im Voraus exakt geplant. Fahrerwechsel, Navigation-Check und Weiterfahrt laufen parallel.

Ebenso falsch ist die Vorstellung vom Fahrer als einsamem Helden. Der Fahrer ist Teil eines Systems. Müdigkeit, Konzentrationsabfall und kleine Fehler sind die grössten Feinde. Deshalb gehören ergonomische Sitze, oft mit aktiver Kühlung, genauso zur Ausrüstung wie klar geregelte Fahrerwechsel. Koffein und Elektrolyte werden dosiert eingesetzt, Essen wird so gewählt, dass es keinen Blutzuckerabsturz verursacht. Kommunikation im Innenraum ist präzise organisiert. Der Körper ist die limitierende Komponente, nicht das Auto.

Navigation ist beim Cannonball kein einzelnes Tool, sondern ein redundantes System. Mehrere Smartphones mit unterschiedlichen Mobilfunknetzen laufen parallel, verschiedene Navigations-Apps werden permanent gegeneinander abgeglichen. Ein Tablet oder Notebook liefert die grossflächige Übersicht. Verkehr, Baustellen, Unfälle und kurzfristige Sperren werden ständig überwacht. Ergänzend setzen manche Teams auf Spotter entlang der Strecke oder auf Teilabschnitten der Route, die Verkehrslage, Polizeipräsenz oder Störungen frühzeitig melden. Ein Funkloch zur falschen Zeit kann zehn Minuten kosten. Zehn Minuten sind bei diesem Schnitt kein Detail, sondern ein massiver Rückschlag.

Am hartnäckigsten hält sich der Mythos der absoluten Freiheit. Nacht, Strasse, Geschwindigkeit – das klingt romantisch. In Wirklichkeit ist ein Cannonball-Run das Gegenteil. Maximale Disziplin. Kein Abschweifen, kein Improvisieren, kein Genussfahren. Alles ist dem Ziel untergeordnet: dem Schnitt, der Zeit, der Fehlervermeidung. Das Gefühl von Freiheit kommt, wenn überhaupt, erst danach.

Die technische Ausstattung folgt genau dieser Logik. Mehrere Endgeräte, redundante Stromversorgung, OBD-Scanner zur Live-Überwachung, Dashcams zur Dokumentation, Hochgeschwindigkeitsreifen für Dauerbelastung, standfeste Bremsen, Ersatzsicherungen, zweite Batterien. Nicht, weil es spektakulär wirkt, sondern weil ein Lauf unter 30 Stunden selten an mangelnder Leistung scheitert, sondern an Kleinigkeiten. Ein schlechter Tankstopp. Ein Funkloch. Ein müder Fahrer. Fünf Minuten Stillstand wegen einer Sicherung.

Wie könnte ein europäischer Cannonball aussehen: Mittelmeer bis Nordsee?

Ja, aber nicht als Kopie. Der logische Mittelpunkt wäre Deutschland, weil die Autobahn in Teilen genau das bietet, was dafür notwendig ist: hohe Reisegeschwindigkeiten ohne generelles Tempolimit, kombiniert mit dichter Infrastruktur und komplexer Verkehrsdynamik.

Eine Achse wie Mittelmeer – Nordsee würde Europa besser abbilden als jede Ost-West-Strecke. Sie verbindet Distanz mit topografischen, verkehrlichen und klimatischen Herausforderungen. Entscheidend wäre nicht maximale Geschwindigkeit, sondern das Management von Verkehr, Zeitfenstern, Wetter und Ermüdung. Ost–West-Strecken funktionieren in Europa schlechter. Zu viele Grenzen, zu unterschiedliche Verkehrssysteme, zu wenig gleichmässige Hochgeschwindigkeitskorridore. Nord–Süd dagegen zwingt zu Entscheidungen: wann durch die Alpen, wann umfahren, wann warten. Genau darin liegt der Reiz..

Was beweist der Cannonball 2025 über moderne Langstrecken-Performance?

Nicht wegen der Zahl allein, sondern wegen ihrer Art. 28 Stunden und 53 Minuten ist nach der praktisch unschlagbaren Zeit während Covid ein sehr guter Wert und ein gelungener Extremtest für Fahrzeuge, Menschen und Planung.

Cannonball-Rekorde im Zeitverlauf (historische Einordnung)

Auswahl der wichtigsten dokumentierten Bestzeiten von 1915 bis heute.

Zeit (Std:Min)JahrFahrer / TeamFahrzeugAnmerkungen
271:151915Erwin BakerStutz BearcatFahrt von San Diego nach New York (6’000 km), Ø 25,2 mph, extrem hoher Verbrauch
184:161917Alan T. BedellHenderson 4-Zylinder MotorradFrüher Motorrad-Rekord
53:301933Erwin BakerGraham-Paige Model 57 Blue Streak 8Deutlicher Technologiesprung gegenüber Vorkriegsfahrten
48:091964Stanley Rosenthal, Skip JaehneSunbeam Imp Sport (875 ccm)4’846 km, Ø 100,6 km/h, seriennahes Fahrzeug
40:511971Brock Yates Sr., Brock Yates Jr., Steve Smith, Jim WilliamsDodge Custom SportsmanFrüher Cannonball Baker Trophy Dash
35:541971Dan Gurney, Brock YatesFerrari DaytonaRed Ball Garage bis Portofino Hotel
35:531975Jack May, Rick ClineFerrari Dino 246 GTSRed Ball bis Portofino
32:511979Dave Heinz, Dave YarboroughJaguar XJSLetzter offizieller Cannonball-Run (Darien–Redondo Beach)
32:071983David Diem, Doug TurnerFerrari 308U.S. Express Run
31:042006Alex Roy, Dave MaherBMW M5 (E39)Ø 146 km/h, Wendepunkt der modernen Ära
28:502013Ed Bolian, Dave Black, Dan HuangMercedes-Benz CL55 AMGØ 158 km/h, 250-Liter-Tank
27:252019Arne Toman, Doug Tabbutt, Berkeley ChadwickMercedes-Benz E63 AMGØ 166 km/h, nur 22 Minuten Standzeit
26:382020Chris Allen, James Allen, Kale OdhnerAudi A8Ø 171 km/h, div. Zusatz-Benzin-Tanks – Covid begünstigt
25:392020Arne Toman, Doug Tabbutt, Dunadel DaryoushAudi S6 (Police-Look)Ø 180 km/h, aktuell meistzitierter Rekord – Covid begünstigt
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