Ein Parkplatz in der Ostschweiz. Gut besucht, allerhand Autos der Oberklasse, neuer BMW 5er, neuer Porsche Panamera, neue E-Klasse von Mercedes-Benz und doch sehe ich, wie ein etwas betagter Herr mit seinem, ich vermute, Enkel, wie ein Adler auf Futtersuche um den Volvo S90 T6 R-Design kreist.
Erst wird die Front beäugt, dann die Silhouette und später werfen sie noch verstohlen einen Blick in den Innenraum. Als ich mich dem Auto nähere und die Türen entriegle, schrecken beide kurz auf und schauen mich verlegen an. Später erfahre ich, dass der Herr knapp 20 Jahre lang eine Volvo 760 Limousine sein Eigen nennen durfte und von der Evolution hin zum neuen S90 extrem begeistert war, obwohl er an gewissen Designelementen seinen „alten“ 760er wiedererkannt hat und somit auch schöne Erinnerungen geweckt wurden.
Über den Testzeitraum konnte ich noch weitere solche Momente beobachten. Meiner Meinung nach, hat sich der Schwede das auch absolut verdient. In der Spitzenausstattung „R-Design“ spricht das Design wirklich für sich. Selbstbewusst, aber mit kantig-kühler Eleganz. Zusammen mit dem höheren Marktanteil der Kombivariante V90, erklärt das auch die Aufmerksamkeit in unserem Testzeitraum, die eigentlich für diese Fahrzeugklasse ungewöhnlich hoch war.
Der vor kurzem getestete XC90 hat uns als T8 mit der etwas zweifelhaften Motorisierung enttäuscht. Beim hier getesteten T6 kam ein 2.0 Turbo-Kompressor mit einer Leistung von 320 PS und einem maximalen Drehmoment von 400 Nm zum Einsatz. Ein Sechszylinder ist auch beim S90 nicht erhältlich. Die 8-Gänge sortiert das Aisin Automatikgetriebe auf einem ähnlichen Niveau wie die Kontrahenten mit ZF-Automatik.
Vermisse ich den Sound eines 6-Zylinders? Ja. Als Autoenthusiast mit den Erinnerungen an den wunderbaren Sechszylinder aus dem ersten V60 Polestar, wird man schon etwas traurig, will Volvo doch auf der nur-Vierzylinder-Strategie weiterfahren. Der S90 wirkt allerdings definitiv nicht so überfordert wie damals der XC90 T8 mit erschöpften Batterien. Beispiel gefällig? Der Spurt von 0 – 100 km/h legt der S90 in nur 5.9 Sekunden hin. Ein Golf GTI Performance von 2014 benötigt 0,5 Sekunden länger. Langsam ist also definitiv anders.
Aufgeräumt und sachlich mit sportlichen Carbon-Dekor lädt der Innenraum auch auf Langstrecken ein. Das aufrecht-stehende „Tablet“ im Cockpit bringt das richtige Mass an Technik in den S90. Das Platzangebot auf den vorderen Sitzen ist wirklich imposant, auf den hinteren Sitzen zwar auch, aber mit einer Körpergrösse von über 1,85 m ist es eher ein Liegen als ein Sitzen. Nur so kann gewährleistet werden, dass man den Kopf nicht am Dach der abfallenden Coupé-Silhouette anstösst. Die Beschallung aus den fantastischen Bowers & Wilkins Lautsprechern ist allerdings auf beiden Sitzreihen hervorragend.
Die Assistenzsysteme des S90 sind besonders ausgereift. Ich mag mich noch an die ersten Autos mit Pilot Assist, Lane Assist oder einfach auf Deutsch, Spurhalte-Assistent, erinnern. Sie pendelten sich von Mittellinie zur rechten Seitenlinie und wieder zurück zur Mittellinie. Ein Helferlein, was man nach kurzer Testphase direkt wieder deaktiviert hat. Der Volvo S90 und sein Pilot-Assist-System halten sich automatisch an eine zuvor festgelegte Geschwindigkeit oder halten einen bestimmten Abstand zum Vordermann.
Gleichzeitig gibt es sanfte Lenkimpulse, damit der Fahrer immer schön innerhalb der Fahrbahnmarkierungen bleibt. All das passiert wunderbar „menschlich“ und nicht wie früher in einem digitalen 0-1-0-1 Muster. Für Langstrecken eine kleine aber feine Sache, die dem Fahrer hilft, weniger schnell zu ermüden. Nur das Fahrwerk ist im Vergleich zu seinen Kontrahenten in allen Fahrstufen etwas zu hart ausgefallen. Abhilfe schafft hier ein Luftfahrwerk, welches auf der Liste der Optionen für CHF 2’200.- dazu geordert werden kann. Unser Testwagen war leider nicht damit ausgestattet.
Wo wir gleich bei der Optionenliste sind, fällt auf, dass Volvo sehr grossen Wert auf serienmässige Assistenzsysteme legt. Schon in der geringsten Ausstattungsvariante „Kinetic“ sind bereits Notbremsassistent, Adaptive Cruise Control, Berganfahrhilfe, Lane Keeping Aid und Verkehrszeichenerkennung an Bord. Will man dann noch mehr, gibt es weitere Helferlein wie Park Assist Pilot, Parkkamera mit 360° Surround View, Head-Up Display, IntelliSafe-Surround und weitere.
Einen deutlichen Mehrwert im Vergleich zu anderen Fahrzeugen aus der Oberklasse ohne diese Ausstattung, sah ich bei der Akustikverglasung für die Seitenfenster. Sie schlägt zwar mit CHF 950.- zu buche, verschont die Insassen aber wirksam von Wind- und Abrollgeräuschen, sowie auch dem monotonen Vierzylindersurren.
Mein Fazit: Das schwedische Wohnzimmer ist keine nordische Raubkatze für die Landstrasse, obwohl er auf den ersten Blick so erscheint. Ein ausgedehnter Aufenthalt im Fitnesscamp von Volvos Haustuner „Polestar“ könnte da noch etwas retten. So sehen wir ihn als optisch frischen Leckerbissen, zwischen den ausgelutschten Designs der restlichen Oberklasse. Mit Akustikverglasung, überzeugender Bowers & Wilkinson Audioanlage und optionalem Luftfahrwerk ist er perfekt für ausgedehnte Geschäftsreisen geeignet. Der Verbrauch während unserem Test lag im Schnitt bei 9,6 Liter pro 100 km.
Der Basispreis des S90 R-Design startet bei CHF 60’000.-. Unser von Volvo Schweiz zur Verfügung gestellte Testwagen in Bright Silver lag bei CHF 105’520.-