Es hätte wohl kaum einen passenderen Namen geben können. Testarossa. Für Ferrari-Enthusiasten ist dieser Name mehr als nur ein Modell – er ist Mythos, Postertraum und Symbol einer ganzen Ära. Wer in den 80ern ein Kinderzimmer mit Autoplakaten hatte, kam an ihm nicht vorbei. Breite Flanke, Seitenhutzen wie Kathedralenfenster und die Präsenz eines Raumschiffs. Es war das Auto, das neben Synthwave-Kassetten und „Miami Vice“ Sonnenbrillen zur Grundausstattung einer ganzen Generation gehörte.
Jetzt, knapp 40 Jahre nach dem ersten Auftritt, könnte Ferrari die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft geschlagen haben: mit dem neuen Ferrari 849 Testarossa.



Design – eine Hommage, kein Retro
Es müsste nicht lange dauern, bis selbst weniger versierte Augen die Anleihen erkennen: die markante Schulterlinie, die seitliche Lufthutze, das flache Gesicht. Alles deutet auf eine Reminiszenz an den Klassiker hin, ohne ihn plump zu kopieren. Es wirkt, als hätte man die DNA des Testarossa destilliert und in ein modernes Hypercar übersetzt. Selbst das Monospecchio-Detail – einst das Markenzeichen auf dem Fahrerseitenspiegel – wird subtil zitiert, auch wenn heutige Vorschriften eine exakte Wiederholung unmöglich machen.
Popkultur trifft Neuzeit
Man könnte sagen: Der alte Testarossa war ein Popstar auf Rädern. Er spielte Hauptrollen in Musikvideos, Filmen und natürlich in „Miami Vice“. Sonny Crockett ohne weissen Anzug und Testarossa? Undenkbar. Heute wäre es vielleicht der Auftritt im neuesten Videospiel oder eine Hauptrolle in einem Streaming-Blockbuster. Doch Ferrari will mehr, als nur nostalgische Gefühle triggern. Der 849 Testarossa soll wieder ein Leitstern der Marke werden – ein Auto, das auf Social Media ebenso funktioniert wie auf der Rennstrecke.



Technik – Zahlen mit Gewicht
Der 849 Testarossa müsste in Zahlen vieles übertreffen, was Ferrari bislang in Serie gebaut hat. 1050 PS Systemleistung, Twin-Turbo-V8 mit 830 PS, dazu drei Elektromotoren mit weiteren 220 PS. Über 330 km/h Spitze, unter 2,3 Sekunden auf 100, 6,35 Sekunden auf 200. Und eine Fiorano-Zeit von 1:17,5 Minuten – schneller als so mancher Rennwagen. Dass das Auto trotzdem nur 1570 Kilo wiegen soll, zeigt, wie viel Ingenieurskunst im Detail steckt.
Der V8 (Projektcode F154FC) wurde komplett überarbeitet: neue Turbolader, Titanlager, Inconel-Auspuffkrümmer, verbesserte Kühlung, recycelte Aluminiumlegierungen. Ergebnis: 208 PS pro Liter – Formel-1-Niveau für die Strasse. Dazu eine Hochvoltbatterie mit 7,45 kWh, die bis zu 25 km rein elektrisches Fahren erlaubt. Vier Modi über das eManettino: eDrive, Hybrid, Performance, Qualify.
Handling & Fahrdynamik
Ferrari verspricht, dass der 849 Testarossa das präziseste Serienauto aus Maranello sein wird. Dafür sorgt das neue System FIVE (Ferrari Integrated Vehicle Estimator), ein digitaler Zwilling, der das Fahrverhalten in Echtzeit berechnet. ABS Evo, e4WD, Torque Vectoring, Brake-by-Wire, Side Slip Control 9.0 – alles greift ineinander. Ergebnis: späteres, härteres Bremsen, mehr Grip, bessere Wiederholbarkeit. Die Querdynamik soll sich um drei Prozent verbessert haben, der Wankwinkel um zehn Prozent reduziert. Auf der Strasse könnte das heissen: mehr Kontrolle, mehr Vertrauen, mehr Speed.

Aerodynamik – inspiriert von Legenden
Ferrari will mit dem 849 Testarossa auch aerodynamisch neue Massstäbe setzen. 415 Kilogramm Abtrieb bei 250 km/h, 25 Kilo mehr als der SF90 Stradale. Ein aktiver Spoiler wechselt in unter einer Sekunde zwischen Low Drag und High Downforce. Der vordere Unterboden erzeugt 35 Prozent des Abtriebs, hinten arbeitet eine vom 512 S inspirierte Doppelheck-Architektur. Kühler, Kanäle, Diffusoren – jedes Detail ist Rennsport pur. 15 Prozent mehr Kühlleistung, optimierte Bremsbelüftung, Wärmemanagement wie im GT3.
Motorsound – pure Ferrari-DNA
Auch akustisch will der 849 Testarossa punkten. Ferrari spricht von einer neuen Klangdimension: lauter, voller, reiner. Mit klaren Obertönen und Rennwagen-Schaltstrategie. Ab mittlerer Last klingt er wie ein GT-Prototyp, am Begrenzer bei 8300 Touren wie ein Orchester aus Metall. Hier lebt das Versprechen weiter, dass Ferrari nie ein seelenloses Hybridauto bauen wird.






Assetto Fiorano – wenn es noch mehr sein darf
Es sollte kaum überraschen, dass Ferrari auch eine Assetto Fiorano Version anbietet. 30 Kilo leichter, härtere Multimatic-Dämpfer, mehr Abtrieb durch zusätzliche Flicks, Carbonräder, Cup2-Reifen. Dazu exklusive Lackierungen mit Doppelstreifen. Wer das Maximum will, bekommt hier ein Auto, das näher an der Rennstrecke ist als alles, was mit Strassenzulassung denkbar ist.
Innenraum – Konzentration auf das Wesentliche
Das Cockpit ist fahrerzentriert, inspiriert von Einsitzern. Schwebendes Armaturenbrett, C-förmige Lüftungsdüsen, neue Schaltkulisse im „Segel“. Mechanische Bedienelemente auf dem Lenkrad, inklusive klassischem Startknopf. Komfortsitze oder Rennschalen aus Karbon – je nach Kundenwunsch. Dazu Personalisierungsoptionen: neue Farben wie Rosso Fiammante oder Giallo Ambra, Alcantara Giallo Siena für innen. Konnektivität über Apple CarPlay, Android Auto, MyFerrari Connect.



Historische Parallelen
Der originale Testarossa war ein Auto, das die 80er definierte: breit, flach, unübersehbar. Er musste nicht laut erklärt werden, er war einfach da. Später kam der 512 TR, dann der F512 M – jeweils modernisiert, aber immer unverkennbar. Heute könnte der 849 Testarossa wieder genau diese Rolle übernehmen – als Symbol einer Epoche, in der Ferrari versucht, die Balance zwischen elektrifizierter Zukunft und puristischer Tradition zu halten. Wie damals der Monospecchio für radikales Design stand, so müsste der neue Testarossa nun als Brücke gelten: Technik von morgen mit Ikonografie von gestern.

Fazit
Es sollte klar sein: Noch sind viele Fragen offen. Wie fährt er wirklich? Wie viel Emotion bleibt im Zeitalter der Hybridisierung – gerade im Vergleich zu unserem Fahreindruck vom SF90? Sammler haben SF90 (V8 PHEV) und 296 GTB (V6 PHEV) zuletzt kritisch gesehen, die Werte brachen deutlich ein. Mit mehr Historie im Rücken, aber derselben Hybrid-Strategie, will Ferrari beim 849 das Blatt wenden. Eine spannende Ausgangslage. Sicher ist schon jetzt: Der 849 Testarossa liefert sofort Gesprächsstoff. Ferrari hat eine Legende reanimiert und könnte dafür belohnt werden.