Suche

Dauertest-Fortsetzung: Audi e-tron 55 Quattro (2019 / GE) – Teil 2 – nach 20’000km und 2 Jahren

Update nach 61’209 km – Ein Jahr Lade-Limit, fünf Monate ohne e-Call und ein ziemlich einseitiger Dialog
Ein Jahr mit dem Audi e-tron 55 Quattro liegt hinter mir. Genauer: über 22’000 zusätzliche Kilometer, zahlreiche Werkstattbesuche, ein Rückruf mit weitreichenden Einschränkungen – und die Erkenntnis, dass Audi Schweiz bei aller Technikbegeisterung offenbar immer noch nicht begriffen hat, wie wichtig Vertrauen, Kommunikation und Kundenbindung gerade bei Elektro-Erstkäufern wären.

Verbrauch & Ladeverhalten
Mein e-tron pendelt sich auf einen Langzeitverbrauch von 26,1 kWh / 100 km ein. Im Sommer liegen bei sanfter Fahrweise 21–23 kWh drin, im Winter über 30 kWh, besonders auf Kurzstrecken mit Heizbedarf. Das ist okay, aber nichts, was Effizienz-Rekorde aufstellt – und es macht deutlich, dass man mit einem grossen Premium-SUV kein Verbrauchswunder erwarten darf.

Rückruf 93U9 – Von „nur 3–5 Monate“ zu einem ganzen Jahr
Im März 2024 flatterte ein Brief ins Haus. Inhalt: Rückruf 93U9. Der DC-DC-Wandler könne im Einzelfall überhitzen – zur Vorsicht werde der maximale Ladezustand auf 80 % SOC limitiert, bis eine neue Software bereit sei. Audi sprach von einer Lösung im „3. Quartal 2024“. Faktisch kam sie erst im März 2025 – also ein ganzes Jahr später. Ein wirklicher Ausgleich? Nicht vorhanden. Das einzige Angebot von Audi Schweiz war ein Werkstattgutschein über CHF 500 – den habe ich abgelehnt.

In der Zeit war der Wagen nicht voll nutzbar. Die Ladegrenze machte Langstrecken unattraktiv, Spontantrips schwierig. Besonders bitter: Ich hatte einen 8-wöchigen-Roadtrip nach Italien geplant – mit dem e-tron. Stattdessen habe ich mir kurzfristig den MINI Countryman John Cooper Works gekauft, um die Reise antreten zu können. Kosten, Aufwand und Planänderung – alles an mir hängen geblieben. Audi PR hätte mir einen Q4 e-tron für 4 Wochen ausgeliehen – Journalistenbonus – den habe ich abgelehnt.

e-Call-Ausfall über 5 Monate – trotz gesetzlicher Verpflichtung
Weniger gravierender war der mehrmonatige Ausfall der e-Call-Funktion, also jenes Systems, das bei einem Unfall automatisch einen Notruf absetzt. Seit 2018 ist dieses System in der Schweiz und der EU gesetzlich vorgeschrieben für alle neu typisierten Fahrzeuge.

Von Dezember 2023 bis Ende April 2024 war mein e-tron betroffen: kein e-Call, kein Remotezugriff via App, keine Vorklimatisierung, kein Lademanagement. Der Fehler konnte trotz sechs Werkstattbesuchen erst im April 2024 endgültig behoben werden. Die involvierten Arbeiten umfassten: Diagnose, Softwareupdates, Austausch Diagnose-Interface, Austausch e-Call-Steuergerät, Transport zur AMAG Dübendorf und Einbindung eines Spezialisten von Audi Schweiz aus Dübendorf.

Immerhin: Da das Fahrzeug noch innerhalb der 5-jährigen Werksgarantie war, wurde mir jeweils ein Leihwagen zur Verfügung gestellt. Auch hier: AMAG Schaffhausen hat sich mit grossem Engagement darum gekümmert – ein Service, der nicht selbstverständlich ist. Ohne ihr Zutun wäre ich auf dieser Reise deutlich weniger komfortabel unterwegs gewesen.

Ein Blick auf die Gesamtbilanz – und warum Vertrauen entscheidend bleibt
Der e-tron ist und bleibt ein beeindruckendes Fahrzeug – in puncto Fahrkomfort, Verarbeitungsqualität, Geräuschdämmung und Langstrecken-Souveränität. Er bringt genau jene Ruhe und Gelassenheit mit, die man sich von einem elektrischen Premium-SUV erwartet. Und doch: Gerade bei einem technologisch so anspruchsvollen Fahrzeug ist die Beziehung zum Hersteller besonders wichtig.

In meinem Fall hätte ich mir – speziell im Kontext des Rückrufs 93U9 und des monatelangen Ausfalls der e-Call-Funktion – eine offenere und persönlichere Kommunikation seitens Audi Schweiz gewünscht. Viele Rückfragen blieben unbeantwortet oder wurden mit automatisierten Textbausteinen beantwortet. Ein direkter Dialog hätte Vertrauen gestärkt – gerade bei Themen, die sicherheits- und nutzungsrelevant sind.

Dabei sind Kunden wie ich – Early Adopters, Umsteiger auf Elektro, bewusst Gebrauchtkäufer eines Premiummodells – besonders wertvoll für die Marke. Sie sind Multiplikatoren, Meinungsbildner, potenzielle Wiederholungskäufer. Und: Ihre Erfahrungen prägen das Bild der E-Mobilität weit über das einzelne Modell hinaus.

Ich bin überzeugt: Wer den e-tron einmal als komfortables, ruhiges und hochwertiges Alltagsauto erlebt hat, ist eher bereit, sich auch für die nächste Generation elektrischer Audis zu entscheiden – ob Q6 e-tron, A6 e-tron oder gar ein e-tron GT. Umso wichtiger wäre es, genau diese Kundenbeziehung auch nach dem Kauf aktiv zu begleiten und zu stärken. Denn eines ist klar: Technologie allein verkauft keine Fahrzeuge mehr – es ist das Gesamtpaket aus Produkt, Kommunikation und Service. Und in diesem Paket steckt, gerade bei zukunftsweisenden Modellen wie dem e-tron, enormes Potenzial für beide Seiten.

Reifenwechsel & Fahrverhalten
Ein nicht unwesentlicher Komfortfaktor, den ich noch erwähnen möchte: Ich bin von den serienmässigen Continental ContiSportContact auf die Michelin Pilot Sport SUV Acoustic umgestiegen. Letztere verfügen über einen integrierten Akustikdämmstreifen auf der Innenseite – mit spürbarem Effekt: das Abrollgeräusch wurde leiser, das Fahrzeug wirkt auf der Autobahn nochmals ruhiger und hochwertiger. Gleichzeitig ist das Lenkverhalten spürbar direkter und die Reaktion auf Lastwechsel präziser geworden – ohne die Komfort-DNA des e-tron zu stören.

Einziger Wermutstropfen: Nach nur einem Sommer war das Profil praktisch aufgebraucht. Wer sportlich unterwegs ist, muss hier mit deutlich höheren Reifenkosten rechnen – selbst bei einem so „souveränen“ Fahrzeug wie dem e-tron.

App-Zugriff wieder stabil
Nach dem monatelangen Ausfall der Remote-Funktionen inklusive e-Call, App-Verbindung und Vorklimatisierung läuft seit April 2024 wieder alles wie es soll. Die Verbindung über die MyAudi-App ist nun stabil, geplante Ladevorgänge und das Vorheizen oder -kühlen des Innenraums funktionieren zuverlässig. Eine erfreuliche Rückkehr zu dem, was im Premiumsegment selbstverständlich sein sollte.

Anstehende Wartung
Was die laufenden Kosten betrifft, steht der nächste reguläre Service gemäss Anzeige für September 2025 oder in 7’100 km an – je nachdem, was zuerst eintritt. Wie hoch die Kosten dafür ausfallen, ist aktuell noch ungewiss. Bisher fielen – abgesehen von den werkseitig gedeckten Reparaturen und Rückrufen – keine klassischen Inspektionskosten an. Die laufenden Betriebskosten beschränkten sich also primär auf Strom und Reifen.

Fazit: Ein tolles Auto – mit bitterem Beigeschmack
Nach über 61’000 Kilometern, zwei Rückrufen, sechs Werkstattaufenthalten und über einem Jahr eingeschränkter Nutzung bleibt ein gemischtes Fazit. Der e-tron ist ein souveräner, komfortabler Begleiter. Technisch war er zum Zeitpunkt seiner Einführung ein echter Meilenstein. Audi Schweiz hat es leider verpasst, aus einem treuen Kunden einen Botschafter für elektrisch-betriebene Audis zu machen. Ich fahre ihn weiterhin gerne – aber ich bin skeptischer geworden. Und der nächste Fahrzeugkauf? Wohl kaum mehr ein Fahrzeug aus Ingoldstadt.

Ein Blick in die Zukunft – behalten, verkaufen oder einfach weiterfahren?
Nach mittlerweile 61’209 Kilometern stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie geht es weiter? Ich habe den Audi e-tron 55 Quattro im Sommer 2023 mit rund 38’500 km Laufleistung gekauft. Der damalige Kaufpreis lag bei CHF 36’800.–. Inzwischen hat das Fahrzeug nicht nur einige Mehrkilometer, sondern vor allem zwei Rückrufe, sechs Werkstattaufenthalte und ein Jahr Lade-Limitierung hinter sich. Derzeitiger Marktwert (realistisch geschätzt, basierend auf Plattformen wie AutoScout24 und Ricardo): rund CHF 26’000.–.

Rechne ich das hoch, sprechen wir von einem Wertverlust von CHF 12’800.– auf rund 22’700 gefahrene Kilometer, also 65 Rappen pro Kilometer nur für den Abschreiber – ohne Unterhalt, Versicherung, Strom oder Reifen. Über die ersten 3’765 km hatte ich den Verbrauch bereits mit 25.6 kWh / 100 km beziffert. Seither hat sich der Schnitt auf 26.1 kWh / 100 km erhöht. Bei einem durchschnittlichen Strompreis von 24.4 Rappen/kWh, wie ich ihn zuhause gezahlt habe, ergeben sich über die gesamten 22’709 km folgende Stromkosten: 26.1 kWh / 100 km x 227.09 × 0.244 CHF = CHF 1’450.25

Im Vergleich zu einem typischen Neuwagenleasing eines Audi e-tron 55 (CHF 1’090.–/Monat über 48 Monate) habe ich mit dem Gebrauchtkauf rund 30–35 % tiefere Fixkosten pro Kilometer bei kürzerer Haltedauer erzielt. Trotz Rückrufen und Einschränkungen war die Entscheidung wirtschaftlich sinnvoll. Doch mit zunehmender Laufzeit steigt das Risiko unerwarteter Kosten – insbesondere nach Ablauf der Batteriegarantie.

Stromkosten künftig: Solarbetrieb ab sofort
Ab sofort lade ich den e-tron tagsüber über die neue Solaranlage auf meinem Hausdach. Damit fällt der Strompreis – rein technisch – auf unter 10 Rappen/kWh (Betriebskosten der Anlage eingerechnet), in vielen Momenten sogar gegen 0 CHF, wenn überschüssige Energie direkt verwendet wird.

Gehe ich von einer konservativen Mischung aus 80 % Solarstrom (10 Rp./kWh) und 20 % Netzstrom (24.4 Rp./kWh) aus, ergeben sich für die nächsten 20’000 km folgende Stromkosten:

Verbrauch:
– 26.1 kWh / 100 km → 5’220 kWh auf 20’000 km
– 80 % Solar: 4’176 kWh × 0.10 = CHF 417.60
– 20 % Netzstrom: 1’044 kWh × 0.244 = CHF 254.74
→ Gesamtkosten: CHF 672.34 → 3.36 Rappen pro Kilometer

Das bedeutet: Die laufenden Kosten werden in Zukunft nochmals deutlich günstiger – zumindest auf der Energieseite.

Zwei Szenarien – und beide tun weh
Behalten oder Verkaufen? Zweiteres bedeutet loslassen, mit dem Gefühl, vielleicht zu früh aufgegeben zu haben. Am Ende geht es nicht nur um Zahlen, sondern um die Frage: Wie viel Risiko bin ich bereit einzugehen für ein Fahrzeug, das mich begeistert – aber auch fordert?

Variante 1: Verkauf vor Ablauf der Batteriegarantie
Die Batteriegarantie von Audi läuft bei meinem Modell bis Januar 2027 oder 160’000 km – je nachdem, was zuerst eintritt. Das bedeutet: Ich habe noch etwa 1.5 Jahre oder knapp 100’000 km Restzeit, um bei gravierenden Problemen abgesichert zu sein. Doch: Je näher der Ablauf rückt, desto schwieriger wird es, das Fahrzeug zu verkaufen – und desto stärker fällt der Preis.

Wenn ich den e-tron also jetzt verkaufe (z. B. für CHF 25’000.–), realisiere ich zwar den Wertverlust sofort, habe aber dafür keinen weiteren Risikoabschreiber mehr. Nachteil: Beim nächsten E-Auto verliere ich voraussichtlich wieder – sei es durch Preisverfall bei den Neuwagen oder schwache Restwerte.

Variante 2: Weiterfahren bis (mindestens) 100’000 km
Der mutige Ansatz wäre, das Fahrzeug einfach weiterzufahren – bei tieferen laufenden Kosten durch Solarstrom, aber mit steigendem Risiko: Software-Bugs, App-Ausfälle oder Elektronikprobleme sind bei e-tron-Modellen leider keine Seltenheit. Sollte nach Ablauf der Batteriegarantie ein Tausch von Zellmodulen nötig werden, sprechen wir rasch über einen fünfstelligen Betrag, der wirtschaftlich kaum sinnvoll wäre.

Es bleibt also ein Trade-off: Will ich mit dem e-tron noch lange kostengünstig unterwegs sein – oder nehme ich jetzt den sicheren Exit mit kalkulierbarem Verlust?

Was bleibt also? Mein Zwischenfazit
Der e-tron ist – wenn er fährt – ein herausragender Komfort-Gleiter. Und trotzdem ist es die Unsicherheit im Support-Fall, die mich zögern lässt, blind eine Lanze für dieses Auto oder die Marke zu brechen. Ich sehe die Fortschritte, auch bei den kommenden Modellen, aber ich weiss auch: Technologie braucht Vertrauen. Und dieses Vertrauen wird im Alltag, bei Rückrufen oder Systemausfällen auf die Probe gestellt – nicht im Prospekt.

Und trotz allem – für mich ist der e-tron 55 Quattro das schönste Audi-Modell der letzten 20 Jahre. Proportionen, Details, Präsenz – da stimmt einfach vieles. Selbst die neuen A6 e-tron oder Q6 e-tron sprechen mich optisch weniger an. Und einen echten Nachfolger zum ursprünglichen (Q8) e-tron gibt es bisher schlicht nicht.

Vielleicht ist es genau das, was die Entscheidung so schwer macht: Manchmal hängt man nicht nur an der Technik, sondern am Charakter eines Autos. Und der e-tron hat davon mehr, als viele ihm zutrauen.

Weitere Updates folgen – vielleicht bald mit Entscheidung.
Wie würdet ihr euch entscheiden? Verkauf? Weiterfahren? Zurück zum Verbrenner ist keine Option.

Weitere Impressionen:

Schreibe eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schliessen
Impressum & Datenschutzerklärung | Partner von: RINGLI.media © 2023. Alle Rechte vorbehalten.
Schliessen