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Fahrbericht: Mercedes G 580 EQ – Die stille Provokation?

Es war ein warmer Sommertag, ich lenke unseren Pressetester Mercedes G 580 EQ in den Supermarkt Parkplatz – Velo-Valérie, die gerade aufgestiegen ist und ihre grünen Lauch-Spitzen demotiviert aus dem Gepäckkorb hängen, schaut mich abwertend an. Geparkt zwischen einem Audi e-tron (den ich normalerweise im Alltag fahre) und einem Handwerkerfahrzeug mit Pritsche.

Während ein e-tron plötzlich wie ein Kleinwagen wirkt und der Handwerker, der gerade sein Mittagessen geholt hat, seinen Kopf schüttelt, als er die G-Klasse sieht, fragte ich mich insgeheim: Ist diese elektrifizierte G-Klasse nun das ultimative Statussymbol oder die pure Ironie auf vier Rädern? Nach dem EQS Maybach SUV mit Bicolor-Lack in Gold/Schwarz mag man denken, es geht noch kaum auffälliger, aber die G-Klasse ist in Sachen Provokation schon auch sehr weit vorne.

Seit 1979 steht der G wie ein Monolith am Rand jeder Vernunft. Ob als Militärauto, Spielzeug der Reichen oder Instagram-Influencer-Accessoire mit Auspuffgeblubber – er war nie für Normalität gedacht. Nun also elektrisch.

Beim Einsteigen klettere ich, gefühlt, in den ersten Stock. Auf dem Fahrersitz sitzt man erhaben, die Strasse liegt irgendwo weit unten. Motor gestartet – Stille. Ein Druck aufs Pedal, der Koloss setzt sich geschmeidig in Bewegung. Erster Kontrast: Trotz 3 Tonnen Lebendgewicht ist die Beschleunigung verblüffend: 0 auf 100 km/h in 4,7 Sekunden.

Beeindruckend und gleichzeitig absurd, denn das Fahrgefühl schwankt zwischen Sportwagen-mässiger Beschleunigung und Aerodynamik in Kühlschrank-Form.

Dank vier einzeln gesteuerten Motoren (gesamt 587 PS, 1’164 Nm) ist der Vortrieb brutal und linear. Vorbei sind die Zeiten, als die G-Klasse im Stadtverkehr eher träge war, nun kann man im dichten Verkehr agil und zügig in Kreuzungen hineinflitzen, was bei dieser Grösse und diesem Gewicht absurd und doch höchst hilfreich (und low-key sehr amüsant) ist.

Doch das wahre Engineering-Highlight offenbart sich im Gelände: Besonders der G-TURN musste (natürlich nur aus journalistischen Zwecken!) ausprobiert werden. Diese Funktion erlaubt Drehmanöver auf engstem Raum, indem die Räder auf der linken und rechten Seite in entgegengesetzte Richtungen drehen. So kann die G-Klasse auf der Stelle rotieren, ach, ein Elektromotor pro Rad ist doch etwas grossartiges.

Zurück auf Asphalt offenbaren sich jedoch auch Grenzen: Trotz adaptiver Dämpfung und intelligenter Antriebstechnik lassen sich die etwas über 3 Tonnen nicht vollständig kaschieren. In Kurven spürt man das Gewicht deutlich, die Lenkung ist um die Null-Lage herum sehr vage und doch ist er komfortabel auf langen Strecken – jedoch nur bis 100 (mit Wind) – 120 km/h (Windstille), ab dann werden die Windgeräusche unangenehm hoch. Auf der Landstrasse spielt er eine neue Stärke aus: präzise Dosierung. Dank der feinfühligen Antriebseingriffe fährt er sich agiler als jeder G zuvor. Klar, Kurvenhatz ist nicht sein Ding – aber das Gefühl, die Masse unter Kontrolle zu haben, ist neu.

Kleiner Wermutstropfen für Pferde-Muttis oder Womo-Werners: Eine Anhängerkupplung gibt es nicht. Weder optional noch nachrüstbar.

Optisch hat Mercedes nur sanft nachgeschärft. Die klassische Formensprache bleibt erhalten: kantige Linien, markante Radkästen und das ikonische Ersatzrad (jetzt eine stylische Designbox in Form einer Apple Earpod-Klapphülle für Ladekabel und Co.) am Heck. Modernisierung erfolgte subtil: Aerodynamik-Optimierungen wie Spoilerlippe und spezielle Radkästen sorgen für frischen Wind, ohne die charakteristische Silhouette zu verwässern.

Das Interieur ist G-Klasse-typisch hochwertig verarbeitet: Leder, Carbon und Aluminium in Perfektion. In unserer «Edition One» warten blau getönte Carbon-Elemente, grau-schwarze Sitze in Nappaleder und Ambientelicht, das fast schon Lounge-Feeling verbreitet. Die MBUX-Displays sind glasklar und gestochen scharf, die Bedienung intuitiv, die UX-Elemente absolut Mercedes-typisch. Die Burmester 3D-Surround-Soundanlage mit Dolby Atmos gefällt. Die Materialien sind hochwertig, die Verarbeitungsqualität exzellent.

Das Widescreen-Cockpit liefert gestochen scharfe Anzeigen, das MBUX-Infotainment ist durchdacht und schnell, auch wenn die Touchflächen an der Lenkradbedienung nicht jeden Testfahrer erfreuen dürften. Neu ist die Integration von Offroad-Funktionen ins Digitalmenü – von Reifendruck bis Steigwinkel hat man alles im Blick, wenn man denn will.

Praktisch: Die hinteren Sitze lassen sich geteilt umklappen, der Laderaum bleibt würfelförmig und alltagstauglich. Weniger praktisch: Es gibt keinen Front-Kofferraum und die steil stehende Frontscheibe sorgt weiterhin für Reflexionen bei tief stehender Sonne. Dafür ist die Sitzposition über jeden Zweifel erhaben – man sitzt erhaben, aufrecht und mit perfekter Sicht auf die Untertanen / nicht-G-Fahrer.

Weniger gelungen ist der künstliche Sound «G-ROAR», der schon beim Entriegeln beginnt zu brummeln, bei der Fahrt wird es besser, aber spätestens nachdem das Auto aus ist und man aussteigt, brummelt es erneut wie ein Bär mit Blähungen – warum?

Sprechen wir über Effizienz und Reichweite. Die Reichweite ist laut WLTP: 473 Kilometer. Realistisch im Alltag sind wir bei 340 bis 380 km. Der Verbrauch pendelte sich bei meiner Testfahrt bei rund 32-34 kWh/100 km ein, angesichts der Masse und Leistung vertretbar. Warum? Mein e-tron 55 verbraucht im selben Zyklus nur 20-25% weniger. Vergleicht man das mit dem Mehrverbrauch der Verbrennervarianten und rechnet den Preis pro kWh aus, ist der Elektro-G doch deutlich «smarter» – wer also eine Rechtfertigung sucht, sich aus «Vernunft» einen elektrische G-Klasse anzuschaffen, voilà! Lobenswert: DC-Laden mit bis zu 200 kW ermöglicht eine Ladepause von 32 Minuten (10–80 %).

Das Akkupaket (116 kWh nutzbar) ist tief im Leiterrahmen integriert – gut geschützt gegen Geländeschäden, dank Unterbodenplatte aus Carbon. Im Gelände bedeutet dies enorme Robustheit, auf der Strasse ein beruhigend niedriges Schwerpunktgefühl.

Erwähnenswert ist auch die Neugestaltung der ikonischen Türgriffe – erstmals gibt es beim G nun Keyless Entry, was das tägliche Handling spürbar erleichtert. Auch Assistenzsysteme wie der aktive Spurhalteassistent, die bei früheren G-Modellen schlichtweg nicht verfügbar waren, sind nun serienmässig an Bord. Dazu zählen Totwinkelwarner, Spurhalte- und Wechselassistenten, eine feinfühlig arbeitende Distronic mit Stop-&-Go sowie eine 360°-Kamera mit Offroad-Modus. Letztere zeigt sogar einen virtuellen “durchsichtigen Motorraum”, hilfreich nicht nur im Gelände, sondern auch in engen Garagenausfahrten.

Wir müssen also kurz das Programm unterbrechen und vermelden: Der neue Mercedes G 580 mit EQ-Technologie ist der vernünftigste G-Wagen aller Zeiten – und genau das ist sein Problem. Die Technik ist gut. Die Umsetzung ebenso. Der G-Charme sowieso. Und doch verkauft sich der G 580 EQ in Europa siebenmal schlechter als der Verbrenner.

Das Problem ist nicht das Auto, es sind seine Käufer. Die G-Klasse war schon immer ein rollendes Statussymbol, ein Panzer für den Boulevard. Viele Käufer interessiert keine Wattiefe, keine Böschungswinkel, keine Differenzialsperren – sie wollen Aussenwirkung.

Noch absurder wird es im globalen Vergleich: Während Europa zögerlich testet und China die G-Klasse links liegen lässt, boomt der Absatz weiterhin in Märkten, in denen Strom keine Rolle spielt. Die Vereinigten Arabischen Emirate zum Beispiel: Hier kostet Benzin so wenig wie ein doppelter Espresso in Zürich und ein G63 ist Teil der nationalen Verkehrskultur. In Texas gilt: Je lauter der Auspuff, desto grösser der Patriotismus. In Beverly Hills rollt der G nicht aus Abenteuerlust, sondern als fahrende Selfie-Kulisse. Der G 580 EQ passt da noch nicht rein – zu leise, zu sinnvoll, zu durchdacht.

Was bleibt also? Zurück zum Supermarkt und meiner Frage vom Anfang: Die elektrische G-Klasse ist die perfekte Provokation. Einerseits verkörpert sie noch immer jenes martialische Image, das urbane Fahrradfahrer(innen) nervös macht, andererseits ist sie ökologisch modernisiert und provoziert so die Petrolhead-Freunde am Grillabend. Der Provokations-Rundumschlag ist gelungen. Sie polarisiert, aber macht Spass. Wer sich diese Form der Provokation leisten kann, wird begeistert sein – jedoch gibt es für den Preisrahmen Fahrzeuge mit grösserer Reichweite – aber für die grosse Reise gibt es ja in der Regel noch andere Fahrzeuge in der heimischen Garage.

Unser Verbrauch lag im Schnitt bei 31.4 kWh. Der Basispreis beginnt bei CHF 162’900 CHF, der Testwagenpreis lag bei 212’650 CHF.

OneMoreLap.com-Konfigurationstipp:
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