Der neue Land Rover Defender P400 geht stark in eine andere Richtung als sein Vorgänger und will doch sein legendäres Erbe antreten. Wie er fährt, was wir von ihm halten und wie es im Vergleich zur Mercedes-Benz G-Klasse aussieht, erfahrt ihr in diesem Bericht.
Seit über 70 Jahren setzen Menschen, die auf ein besonders robustes und geländegängiges Fahrzeug angewiesen sind, auf den Land Rover Defender. Nun hat Land Rover den Defender komplett überarbeitet und entgegen den Erwartungen vieler Fans in eine neue Richtung entwickelt. Weg vom Nutzfahrzeug-Flair, hin zu einem Luxus-Geländewagen mit robustem Kleid und jeder Menge Technik. Wir fahren die «First Edition». Einsteigen und los.
Gestartet wird per Knopfdruck, natürlich ohne Kontakt mit dem Schlüssel. Der Sechszylinder meldet sich erstaunlich kernig zu Wort. Nach kurzem, aber relativ lautem Startprozedere schnurrt er dann im Leerlauf seidenweich vor sich hin. Wir wählen mit dem hoch-positionierten Gangwahlhebel die Fahrstufe D und fahren los.
Der Defender fährt interessant. Seine Karosserie ist ultra-steif. Sie basiert auf einem leichten Aluminium-Monocoque und verfügt, laut Datenblatt, über eine Torsionssteifigkeit von 29 kN/Grad. Sie ist damit volle drei Mal steifer als herkömmliche selbsttragende Karosserie-auf-Chassis-Lösungen. Das spürt man erstaunlich gut. Andere Land Rover und Range Rover sind sehr komfortabel und die weniger steifen Karosserien unterstützten dieses Gefühl.
Hier ist alles anders. Der Defender fühlt sich im Geradeauslauf knackig und kompakt an, filtert Unebenheiten und Schläge für ein Fahrzeug mit Luftfederung kaum weg. In Kurven sieht das wieder anders aus. Der Defender lässt mangels Wankstabilisierung ordentlich Wankneigung zu, was wiederum ein urkomisches Gefühl aufkommen lässt, durch die sonst so steife Karossiere. Am ehesten lässt es sich beschreiben, als würde man einen sportlichen Kompaktwagen um einen halben Meter höherlegen. Irgendwie merkwürdig, irgendwie witzig.
Fährt es sich nun sportlich oder komfortabel? Weder noch. Genug Komfort für den Alltag, aber definitiv kein kurvengieriges Auto, wenn es auch die Karosserie eigentlich könnte. Warten wir mal auf eine SVR Variante, die bald mit V8-Kompressor und asphalt-orientiertem Fahrwerk kommen soll..
Der Sechszylinder hingegen ist eine Wohltat. Für ein Fahrzeug ohne Sportabzeichen gibt er sich klangstark und lässt sich wunderschön hochdrehen. Er besitzt einen Twin-Scroll-Turbolader und einen elektrisch angetriebenen 48-Volt-Verdichter. Mit optionalem Schnorchel hätte man noch das wunderbare Ansauggeräusch gleich beim Fahrerfenster, aber der war bei uns leider nicht verbaut.
Der P400 verfügt über 400 PS, 550 Nm Drehmoment und die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h absolviert der Mild-Hybrid Defender in 6,1 Sekunden. Sämtliche Triebwerke des neuen Defender sind mit dem wunderbaren 8- Gang-Automatikgetriebe aus dem Haus ZF gekoppelt – ausserdem mit einem zweistufigen Verteilergetriebe, das eine Getriebeuntersetzung für Einsätze im Gelände sowie für anspruchsvolle Zugaufgaben bereitstellt.
Der Defender kann natürlich sehr viel im Gelände. Unbestritten. Nun, wir sind keine erfahrenen Offroadfahrer und konnten auch wegen COVID nur beschränkt die Tauglichkeit im Gelände testen. Imponiert hat jedoch die Luftfederung, welche sehr zügig die Karosserie im Offroad-Modus zunächst um 75 Millimeter anheben kann und bei anspruchsvollem Gelände sogar nochmals um weitere 70 Millimeter.
Damit stehen bei Bedarf insgesamt bis zu 145 Millimeter zusätzliche Bodenfreiheit zur Verfügung. Auf der anderen Seite senkt die Arrival-Funktion den Defender beim Anhalten automatisch um 50 Millimeter, um Zu- und Ausstieg zu erleichtern.
Das Datenblatt verrät, dass der Defender eine Achsverschränkung von bis zu 500 Millimetern meistern kann, seitliche Schräglagen von 45 Grad ebenso, wie er 45 Grad steile Steigungen erklimmt. Dazu 90cm Watttiefe und fertig ist der perfekte Geländewagen.
Nun, das sind eindrückliche Zahlen, doch tatsächlich eindrücklicher ist, wie einfach bedienbar das alles ist. Der alte Defender erforderte Handwerk. Hier ein Untersetzungshebel, da viel Feingefühl an der Kupplung und der Ganghebel wollte mit Nachdruck durch die langen Gassen geführt werden. 2021 ist das anders.
Damit jeder Laie ein Maximum aus seinem Defender herausholen kann, gibt es das Terrain Response 2 System. Mit ihm kann der Pilot auf dem Touchscreen praktisch jeden relevanten Aspekt seines Fahrzeugs feinabstimmen und präzise an seine persönlichen Vorlieben und die Umgebungsbedingungen anpassen. Mit 3D Kameras und einem speziellen System von Land Rover, wird die Motorhaube praktisch durchsichtig, denn Kameras übertragen Bilder vom Untergrund unmittelbar vor den Vorderrädern auf den Touchscreen im Armaturenbrett.
Auf dem Touchscreen können entweder das Mittendifferenzial oder Mitten- und Hinterachsdifferenzial elektronisch gesperrt werden. Darüber hinaus gibt es drei unterschiedliche Abstimmungen für Gasannahme, Getriebe, Lenkverhalten und Traktionskontrolle. Damit haben sowohl erfahrene Geländegänger als auch Offroad-Novizen hervorragende Werkzeuge zur Abstimmung der Fahrzeugsysteme zur Hand. Bis zu vier verschiedene Profile lassen sich speichern – verschiedenen Fahrern steht vor dem Start jeweils augenblicklich ihr bevorzugtes Abstimmungsprofil zur Verfügung.
Offroad für Jedermann? Ja, das kann man so sagen. Das ist tatsächlich das, was mich am Defender am meisten überrascht hat. So kann ich auch nicht verstehen, warum die eingefleischten Defender-Freunde das neue Modell so verteufeln. Mag er vielleicht etwas klassischen Purismus verloren gehen lassen, erschliesst er doch eine ganz neue Zielgruppe, welche die Overland-Community nur noch mehr wachsen lässt. Was ist daran falsch?
Wer einen alten Defender im Alltag nutze, musste dickes Fell haben. Grauenhafte Sitzposition, viel zu weit links, permanent hatte man seine Schulter am kalten Fenster. Die Heizung hatte ihren Namen nicht verdient, die Verarbeitung war unterdurchschnittlich, die Sitze boten keinen Seitenhalt, hohe Luftgeräusche auf der Autobahn und diese Liste könnte ich noch viel weiterführen. Er war ein ganz spezieller Charakter. Den aktuellen Defender kann man problemlos im Alltag bewegen.
Optikcheck. Der Defender sieht nicht «nur» nach einem Facelift aus, wie beispielsweise die Mercedes-Benz G-Klasse (die aber unter ihrem Kleid ebenfalls komplett neu ist), der Defender sieht aus wie ein wahrgewordenes Konzeptfahrzeug. Eingelassene Scheinwerfer vorne, kantige Radhäuser und markante geometrische Formen dominieren das Fahrzeug. Dazu die bekannte Silhouette mit ihren kurzen Überhängen. Leider finden sich aber auch Reminiszenzen an den alten Defender, die ich kritisieren muss. Was soll uns das eingelassene Plastik-Riffelblech auf der Motorhaube sagen? Drauftreten sollte ich da wohl eher nicht..
Innen überrascht der Defender. Ein freistehendes Infotainment-System, vor dem Armaturenbrettquerträger, der entscheidend zur Gesamtfestigkeit der Karosserie beiträgt. Der Querträger besteht im neuen Defender aus Magnesium-Druckguss und seine pulverbeschichteten und gebürsteten Oberflächen liegen weitgehend offen. Darüber hinaus sind in den Träger mehrere Haltegriffe integriert, wobei man da und an weiteren Elementen die Schrauben offen ersichtlich sind. In unserer First Edition wird Leder mit besonders robustem Webstoff kombiniert, das wirkt Defender-typisch und trotzdem wertig. So ist auch die gesamte Verarbeitung zu werten. Wir wünschten uns einen Fahrprogramm-Wählschalter am Lenkrad, wie wir es von AMG oder Porsche kennen.
Im neuen Defender gibt es eine Fülle an Assistenten, von einem Anhängerassistenten, über einen adaptiven Tempomaten zu einem Kollisionswarner. Dazu gibt es weiter Toter-Winkel-Spurassistent, Notfall- Bremsassistent, Spurhalteassistent, Verkehrszeichenerkennung, sowie einen Aufmerksamkeitsassistent.
Was bleibt also?
Der Defender gefällt. Er ist ein ganz eigener Charakter, weit weg von seinem Vorgänger und aber auch von seiner Konkurrenz. Der Alltag lässt sich ohne Verzicht meistern, gleichermassen ist er eine Wucht im Gelände. Dafür nehmen wir gerne den Verzicht auf etwas Purismus hin. Vielleicht könnte aber tatsächlich eine Heritage-Edition mit Handschaltung und manueller Bedienung der Differentialsperren ein begehrtes Sammlerstück werden.
Preis & Verbrauch
Der Verbrauch lag im Schnitt bei 10,5 Liter pro 100 km. Der Testwagen, der von Land Rover Schweiz zur Verfügung gestellt wurde, war in der Farbe „Indus Silver“ lackiert und lag preislich bei CHF 100’880.-. Die Konfiguration für den Land Rover Defender P400 First Edition startet bei CHF 95’500.-.
Der OneMoreLap-Konfigurationstipp zur Optik:
Explorer Pack (beinhaltet: Klassische Schmutzfänger vorne, Klassische Schmutzfänger hinten, Folie für Motorhaube in mattiertem Schwarz, Ersatzrad-Abdeckung, Radlaufschutz, erhöhter Luftansaugstutzen, Dachgepäckträger Expedition, seitlicher Aussenträger), Felgen 20″ mit 5 Speichen, Satin Dark Grey (Style 5098), Aussenfarbe Pangea Green, Signaturgrafik in Gloss Black (mit Ablagefach), Black Pack, Dunkel getönte Scheiben ab B-Säule, Dekorelemente in Natural Smoked Dark Oak
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