Wann immer KTM einen neuen, geländetauglichen Töff baut, umweht ihn die Aura der «Dakar». So heisst die bekannte Wüstenrallye, auch wenn sie längst nicht mehr durch die Sahara führt, sondern in Südamerika stattfindet. Die Dakar lässt sich mit zwei oder vier Rädern bewältigen. Der Unterschied: Bei den Autos darf mal die eine, dann die andere Marke gewinnen. In der Motorradklasse hingegen lassen die Orangen seit einer gefühlten Ewigkeit nur Brosamen für die Konkurrenz übrig.
Keine Frage, Offroad können sie, die Österreicher. Die Titelliste in den diversen Dreck-Disziplinen ist ellenlang. Doch längst trägt der Hersteller sein Motto «ready to race» auch auf den Asphalt, wo man inzwischen sogar in der Königsklasse MotoGP angast. Strasse müssen sie eben auch können, denn nur dort lässt sich die beachtliche Wachstumskurve der letzten Jahre weiterzeichnen.
Off- und Onroad, das führt direkt zum jüngsten Spross der Adventure-Linie, die sich seit je dieser Doppelnutzung verschreibt. Per 2019 gibt es zwei Versionen mit dem leichten und günstigen 800-Kubik-Mittelklasse-Zweizylinder; ein Parallel-Twin, also mit niedrigem Gewicht und obendrein günstig zu produzieren. Da gibt es, so die ziemlich treffende Charakterisierung durch KTM, die reisetaugliche Geländemaschine 790 Adventure R sowie der geländetaugliche Reisetöff 790 Adventure (ohne R).
Mangels profunder Offroad-Expertise des Autors – im Sand würde er sich innert 200 m hoffnungslos eingraben – macht es Sinn, die 790 Adventure (ohne R) zu testen, die man ohne Schamesröte auch einfach nur auf der Strasse fahren kann.
Die üppigen 200 mm Federweg (die R hat gar 240 mm) machen nicht bloss auf dem Trail oder beim Buddeln im Sand Sinn, sie glätten auch von Frostbeulen geplagte Asphaltpisten, wie sie auf einer OneMoreLap durchs Emmental verschiedentlich anzutreffen waren.
Den Gummi auch über ondulierte Beläge am Boden halten, das können andere Reiseenduros auch. Bemerkenswert aber, wie gut das es die 790 Adventure mit ihren einfach aufgebauten, in der Dämpfung nicht einstellbaren Federelementen erledigt. Ein relativ leichter (weil kleiner) Pilot sowie eine leichte (weil schlanke) Sozia simulierten – für einen Teil der Testfahrten – einen Pfundskerl im Sattel, doch die KTM behielt ihr leichtes Handling und ihre Neutralität weitestgehend. Einzig eine öfter als nötig nachschwingende Frontpartie infolge der hecklastigen Beladung wies darauf hin, dass sich der Aufwand zur Korrektur der Vorspannung am direkt angelenkten Federbein wohl gelohnt hätte.
Was der Ausritt mit der Sozia sonst noch zu Tage förderte: Die Sitzposition ist auch hinten sehr entspannt, die Sitzbank allerdings ist so hart wie sie sich beim Betasten anfühlt. Interessanterweise sorgt die Anwesenheit eines Passagiers für mehr Komfort des Piloten: die leichten Verwirbelungen hinter der Scheibe verschwinden, wenn hinten jemand sitzt. Die Plexiglasscheibe lässt sich in zwei Höhen einfach verstellen und arretieren, allerdings nur, wenn man anhält und einen Torx-Schraubenzieher in passender Dimension zur Hand nimmt.
Und weil man sich als Gentleman am Lenker ja stets bemüht, die Holde hinten mit harmonischem Fahrstil milde zu stimmen, fällt deutlicher als im Solobetrieb auf, dass der Reihenzweizylinder dies nicht ganz einfach macht. Bis 3000/min läuft das Triebwerk unrund, und auch bis 5000/min tut und klingt der 270°-Twin ziemlich rustikal. Das ist der Bereich für den City-Stop-an-Go-Betrieb, und da sieht sich die Kupplungshand fast laufend gezwungen, die Hackerl im Motorlauf abzurunden. In langsamen Offroad-Passagen dürfte es ähnlich aussehen.
Als Gegenleistung kriegt man mit der 790 Adventure eine obere Drehzahlhälfte die begeistert. Spontanes Hochdrehen und perfekte – spontan und doch weich – Gasannahme in höheren Drehzahlen machen Lust auf Spass und Sport. Das fetzt richtig den Berg hoch. Die 790 Adventure beweist einmal mehr: Leistung nördlich von 100 PS ist fürs grosse Gaudi auf öffentlichen Strassen wirklich kein Muss.
Bemerkenswert ist die Silhouette der 790 Adventure. Beinahe ist man versucht, einen Begriff aus der Welt der Cruiser zu verwenden: «long and low», langer Radstand und vor allem, für eine Reiseenduro, relativ niedrig. Auch Menschen um 1,70 m kommen mit der bescheidenen Sitzhöhe klar, auch wenn die breite Sitzbank (und die Verkleidungsteile darunter) die Beine spreizen und diesen Vorteil wieder etwas relativieren. Vor allem aber türmt sich vor dem Fahrer kein riesiges Spritfass auf wie bei so mancher Reiseenduro.
Möglich macht dies der beidseits des Motors hinuntergezogene Plastiktank, eine von den Wettbewerbsgeräten inspirierte Lösung. Der Hängebackentank ist zwar robust vor Sturzschäden geschützt, nicht aber vor kritischen Blicken. Okay, hier folgt die Form der Funktion. Dennoch kaum zu vermuten, dass sich diese Lösung im Motorradbau auf breiter Front durchsetzt…
Die besondere Konstruktion begünstigt den tiefen Schwerpunkt. Wenden am Lenkanschlag gelingt spielend, und den OneMoreLap-Rückwärts-über-die-Schwelle-in-die-Garage-Schieben-Test lässt sich mit der 210 kg leichten 790 Adventure leichter bewältigen als mit jeder anderen Reiseenduro, die bislang den Weg hierher fand.
20 Liter fasst der Tank der «kleinen» Adventure, was bei Reisetempo Reichweiten von deutlich über 400 km erlaubt. Trotz teils zügiger (gefühlt) Fahrweise kamen ich und die «Kati» mit 4,0 l / 100 km Kraftstoff aus. Entweder bin ich langsam geworden, oder der aus der 790 Duke entliehene und für das Reisemotorrad milder abgestimmte Mittelklasse-Twin ist ein höchst effizientes Triebwerk. Vermutlich trifft beides zu.
Angenehm zu bedienen sind Kupplung und Schaltung. Das Testbike war mit dem aufpreisflichtigen, gut funktionierendem Schaltautomaten (fürs Hoch- und Runterschalten) ausgestattet. In brenzligen Momenten assistieren Traktionskontrolle (abschaltbar) und Kurven-ABS. Die für einen Reisetöff empfehlenswerten Komfort-Features Griffheizung und Tempomat kosten wie der Quickshifter extra.
Endurotypisch sanft geht die Vorderradbremse ans Werk. In den ABS-Regelbereich wird man auf dieser KTM nie „aus Versehen“ oder im Schreck geraten, dafür braucht’s am Handhebel zuviel Weg und zuviel Kraft. Fein: Auch bei Vollbremsung und ABS-Einsatz bleibt die 790 Adventure stoisch auf Kurs, ein jäh steigendes Heck wie bei der kürzlich getesteten Yamaha Tracer 900 schafft man selbst mit Absicht nicht.
Mit der 790 Adventure und der geländeorientierten 790 Adventure R hat KTM zwei Mittelklasse-Reiseenduros am Start, die gute Verkaufserfolge verheissen. Wenig spricht dagegen, auch nicht der Preis, der doch Welten von jenem für die Megaenduros vom Schlage Super Adventure, Multistrada und GS entfernt ist. Allenfalls der tieftourig rustikale Motorlauf und die gewöhnungsbedürftige Optik könnten den einen oder andern zögern lassen.
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Sach ma: Die ersten Zeilen dachte ich, das wird das derzeit beliebte olle Moped-Geblubber mit „Ich-kann-so-toll-High-Tec-Sprech“ und brutalem Dauer-Lob fürs geliehene Gerät und dessen Hersteller. War dann aber nicht so. Die Kati – ich fahr die ältere Schwester – hat das „drDänu“ wohl recht gut verstanden und schreiben kann das Dänu wie ich’s lange nicht im Netz gelesen habe: von Holden, von Hängebackentanks und so Sachen. Fein!