Sind sie soweit, die Elektromotorräder? Sind sie inzwischen so gut, dass man sie als ganz normale Motorräder fahren und bewerten kann? Das wird vor dem Test der Zero SR/F nicht verraten, nur soviel: die Kalifornier haben die derzeit wohl beste Antwort auf obige Fragen.
Gut möglich, dass in wenigen Jahren Elektroautos das neue normal sind. Vielleicht, weil sie gut sind, vor allem aber, weil die -CO2-Gesetze die Anbieter in diese Technik zwingen. Dieser Druck aus der Politik fehlt bei Motorrädern, bei denen «nur» laufend die Emissionsstandards abgesenkt werden. Bis zum Durchbruch der Akku-Töff dürfte es deshalb lange dauern. Ausser, sie entwickeln sich so gut, dass sie plötzlich «besser» sind als solche mit Verbrennungsmotor. Was dann mehr mit technischem Fortschritt und weniger mit Weltrettung zu tun hätte.
Irgendein Zukunftsforscher wird sich bestimmt finden, der dieses Überholmanöver der Stromer schon jetzt genau datieren kann und auch schon weiss, wann sich die Verbrennungsmotoren-Ingenieure der Motorradhersteller beim Arbeitsamt melden sollen.
Sorry, liebe Leserin, lieber Leser, zuweilen geht die Fabulierlust in mir durch, und Elektrotöff sind halt immer noch so neu, dass sie genau diese Sorte von Überlegungen anregen. Ab sofort soll hier nun aber von einem konkreten, käuflichen Motorrad die Rede sein, und weniger von Visionen.
Dieses Motorrad ist eine Null. Das ist keine Qualifikation, sondern die Übersetzung des Markennamens. Null Emissionen, voll elektrisch. Zero eben. Das Unternehmen wurde vor 13 Jahren von einem NASA-Ingenieur gegründet… und es gibt es immer noch. Für ein Töff Startup ist das schon mal eine reife Leistung. Für eines, das ausschliesslich auf Elektromotorräder setzt, sogar eine ausgesprochen bemerkenswerte. Anders als etablierte Hersteller hat Zero keine Benziner als Cashcow im Stall, welche die Entwicklungskosten für die neuartige Technik finanzieren.
2019 hat Zero nun eine neue Stufe gezündet. Die Zero SR/F passt als Roadster einer Vielzahl von Fahrertypen, ist mehr als ordentlich motorisiert, sieht durchaus chic aus und macht in Sachen Verarbeitung und Qualität der Komponenten einen ausgesprochen soliden Eindruck. Das könnte was werden.
Meine OneMoreLap startet diesmal vom Hof eines Händlers, Hessmoto in Ostermundigen bei Bern. Hinter dem Multimarkenbetrieb steckt ein initiatives Brüderpaar, das immer mal wieder gerne Neues probiert. Zum Beispiel diese feine Zero, nur wenige Monate, bevor die Harley-Davidson LiveWire ebenfalls in den Showrooms stehen wird.
Das Losrollen vom Hof kann ja durchaus heikel sein. Man kennt die Balance des Bikes noch nicht, man weiss nicht, wie progressiv die Kupplung zupackt und wieviel Gas es braucht, um die Fuhre nicht abzuwürgen. Letzteres kann mit einem Elektrotöff nicht passieren. Dafür ist man kurz unsicher, wie wohl die Dosierung beim Anfahren mit eingeschlagenem Lenker funktionieren wird.
Die SR/F zerstreut die Sorgen vor irgendwelchen Erste-Meter-Peinlichkeiten im Nu. Der Stromfluss kommt ohne Hektik in Fluss, den «fehlenden» Kupplungshebel vergisst man schnell und die ganze Ergonomie ist auf ein angenehmes Roadster-Erlebnis ohne Extreme ausgelegt. Und selbst eher Kurzbeinige wie ich finden dank schlanker Taille der Zero einen sicheren Stand.
Über einen Schiebe-Drück-Schalter am linken Lenker lassen sich unterschiedliche Motormodi (beeinflussen Leistung, Leistungsentfaltung und Motorbremsmoment/Rekuperation) wählen. Ich tue, was man in solchen Fällen meist tut: ich wähle vorerst den Kompromiss in Form des «Street»-Modus. Der begrenzt die Leistung, dämpft die Direktheit beim Beschleunigen und verzichtet weitgehend auf Stromrückgewinnung bei geschlossenem rechten Drehgriff.
In der kurzen Einweisung macht mich Michel Moser, Geschäftsführer von Hessmoto Ostermundigen, auf eine potenziell heikle Eigenheit eines elektrischen Bikes aufmerksam: «Wenn du anhältst, schiebe den Motorschalter stets auf Off. Wenn du mal vergisst, dass der Töff unter Strom steht oder ein Kollege im Gespräch am Griff dreht, fliegst du davon.» Kann schon passieren, wenn kein brummender Motor daran erinnert, dass der Töff marschbereit ist.
Es gibt im Gebrauch der Zero eine weitere Besonderheit. In Abwesenheit von Gängen kann im Stillstand nichts einrasten, und eine Feststellbremse sucht man vergebens. Also bitte nie nach vorn abschüssig parkieren, sonst könnte dieses Gerät ganz einfach losrollen/hinfallen!
Inzwischen bin ich aus der Agglomeration Bern ins kurvigere Gelände des Emmentals vorgedrungen. Ich sitz immer noch bequem, wie erwähnt tief und mit gutem Knieschluss am schmalen Tank, der in Wahrheit ein Gepäckfach ist, mit gerade genügend Platz fürs Ladekabel. Das TFT-Display zeigt die Geschwindigkeit an, nicht aber die Drehzahl. Der digitale Rundbalken verkündet vielmehr vom Füllungsgrad des Akku.
Der Batterieblock bietet laut Hersteller eine Kapazität von 14,4 kWh und wird von Zero in der SR/F ganz hübsch, in einem gerippten Alugehäuse präsentiert. Der 85-Kilo-Klotz gilt als mittragendes Chassisteil und wird von einem Stahl-Gitterrohrrahmen umfasst. Ebenso ansehnlich und zumindest teilweise sichtbar ist der Elektromotor mit seinen kupferfarbenen Kühllamellen. Eine Flüssigkühlung ist offenbar weder für Batterie, Ladegerät oder Motor vonnöten, so dass Zero gegen die Verbrenner sticheln kann mit der Bemerkung, die Bremsflüssigkeit sei die einzige Flüssigkeit, die es für dieses Motorrad brauche.
In der Anfahrt zur kurvenreichen kurzen Bergstrecke auf die Fritzenflue schalte ich in den Sport-Modus. Nun sind die vollen 82 kW (gut 111 PS) verfügbar. Auch ist die Reaktion auf Bewegungen am Drehgriff noch direkter als zuvor.
Das Grandiose aber: Direkt heisst immer noch perfekt dosierbar. Ein E-Motor verschluckt sich nicht, muss nicht zuerst Luftströme im Ansaugtrakt glätten oder mit suboptimaler Füllung der Brennräume ringen. Die Verbindung vom Drehgriff zum koaxial mit der Schwinge angebrachten Motor über den stets optimal gespannten Kunststoffriemen zum Hinterrad geschieht ohne jede wahrnehmbare Verzögerung.
Die Beschleunigung danach ist heftig, aber durchaus linear. Das maximale Drehmoment von 190 (!) Nm steht bei niedrigster Drehzahl an – und nimmt bis 4000/min leicht, danach deutlich ab, wie die Prüfstandsmessung des amerikanischen Fachmagazins Cylce World zeigt. Die Grafik belegt zudem: auch ein E-Motor braucht für Leistung Drehzahl. Bei 2000/min stehen immerhin schon rund 50 PS (gemessen am Hinterrad) an, bei etwa 4200/min ist die Maximalleistung erreicht.
Die volle Beschleunigung fühlt sich mit der Zero SR/F mächtig an, aber auch nicht übermächtig. Ein Mittelklasse-Töff wie eine Triumph Street Triple oder eine Kawasaki Z900 liefert vergleichbaren Druck, aber eben nur unter der Voraussetzung, im richtigen Gang und damit in hoher Drehzahl rumzuröhren, irgendwo zwischen max. Drehmoment und max. Leistung. Was man zum Beispiel im Kolonnenverkehr nur ungern tut.
Die Zero dagegen ist stets voll da, du drehst einfach am Quirl, und zoooom, bist du weg oder hast du fünf Autos aufs Mal überholt. Ein Vergleich in die Welt der Automotoren sei erlaubt: Ein E-Antrieb ähnelt im Charakter einem gut abgestimmten, kräftigen Turbobenziner. Mit dem kannst du mit 1800/min rumbimbeln, und wenn eine Lücke aufgeht, öffnest du einfach die Brause, während ein Saugbenziner zuvor zweimaliges Runterschalten erfordert.
Ohne Frage, ein Stromer ist auch für eine Motorrad ein fast perfekter Antrieb. Antritt, Dosierbarkeit, das alles kann man sich besser kaum vorstellen. Dazu vibriert nichts, es ist eine mühelose, stets sofort abrufbare Power. Einige werden das Pfeifen des Antriebs als langweilig oder gar nervig bemängeln. Und anderen wird die Charakteristik eines Verbrennungsmotors fehlen, der ganz unterschiedliche Gemütszustände kennt. Unzufrieden tieftourig, dann irgendwo in der Drehzahlmitte ein sämiger, natürlicher Dampf und obenraus ein bissiges Reissen. Wobei, vermutlich könnte man das einem Stromer auch noch einprogrammieren…
Im kurvigen Geläuf wechselte ich zwischen Sportmodus (bergauf) und Eco (bergab) ab. Denn im Sportmodus ist die Bremswirkung des Motors und damit die Stromrückgewinnung gleich null. Ich aber will erstens keine Energie verschleudern und zweitens trägt besonders bergab ein spürbares Motorbremsmoment zu einem runden Fahrstil bei. Besitzer werden zum beschriebenen Wechselspiel der Fahrmodi nicht gezwungen sein, denn via eine App lässt sich ein personalisierter Modus programmieren. Bei meiner Rückkehr zeigte mir der Mann von Hess Motors, Michel Moser, wie er seinen Custom mode konfiguriert hat: volle Leistung, aber auch volle Rekuperation. Nähme ich auch!
Das Fahrwerk zeigt sich der Leistung ebenbürtig. Die Gabel wirkt in der Grundeinstellung eher soft, geht aber nie auf Block. Das schräg stehende, direkt angelenkte Federbein bügelt Grobheiten weg, verhindert aber, dass die SR/F beim Beschleunigen auf die weite Linie schwenkt. Das ist schon mal gut gelungen, ausserdem sind die Showa-Federelemente voll einstellbar, das aussermittig montierte Federbein ist dazu vorbildlich gut zugänglich.
Das Fahrfeeling wird geprägt durch Gewicht und Schwerpunkt. Letzterer liegt tief, ersteres ist mit 220 kg für einen Mittelklasse-Roadster eher hoch. Umlegen braucht wohl deshalb etwas länger als mit einem 750-900er Roadster. Einmal in Schräglage tendiert die SR/F zu eher noch mehr Schräglage. Das Resultat: Auf einer ersten OneMoreLap noch nicht das ultimative Vertrauen. Alles ist okay, aber das ultimative «Unstürzbar/Unfehlbar-Feeling» stellt sich zumindest nicht sofort ein.
Da facto ist man mit der SR/F dennoch – elektronisch abgestützt – fast unstürzbar unterwegs. Während Zero die Kernelemente Motor und Akku im eigenen Haus entwickelt, setzen sie bei den Komponenten auf bewährte Zulieferer. Kurven-ABS und Traktionskontrolle stammen von Bosch, die gut dosierbare Bremsanlage vom spanischen Spezialisten J.Juan. Auch im Regelbereich bleibt der Stromroadster stabil in der Spur, die Regelintervalle sind recht fein.
Etwas später als bei Tests von Elektrofahrzeugen komme ich zur Frage aller Frage, jener der Reichweite. Nach meiner 110 km langen, hügeligen Runde stand ich bei einer Restreichweite von 60 km, eine Anzeige, die richtigerweise stets präsent ist. Das ergäbe in ungefähr die in den USA angegebene Reichweite von 175 km im gemischten Verkehr. Ich bin teils zügig, teils auch gemütlich gefahren, insgesamt in einer Gangart, bei der meine Triumph Street Triple (765 ccm; 125 PS) knapp 5 l / km schluckt. Wolfgang Hess, der in E-Fahrzeugen einen wichtigen Trend sieht, hat laut seinen Aussagen auch schon mal 280 km geschafft. Bestens für die Feierabendrunde, problematisch auf Weltreise. Und die Tagestour musst du mit Kollegen unternehmen, die am Mittag richtig hungrig sind und so der Zero einen langen Zug an der Steckdose ermöglichen.
Meist wird ja viel über die Reichweite philosophiert. Sind nun die rund 200 km der Zero SR/F genug oder nicht? Die Antwort ist glasklar: es kommt drauf an. Auf den Fahrer, seine Fahrweise, seine Ansprüche.
Das eigentliche Drama heutiger Elektromobilität liegt ja genau genommen auch nicht so sehr in der Reichweite, sondern beim «Tanken». Wo ich 100 km Reichweite in vielleicht 15 Sekunden in meinen Street-Triple-Tank fülle, sind dafür bei der SR/F in der Premium-Version (mit 6kW-Lader) rund eine Stunde nötig. Je nach Situation nervt dich diese Wartezeit monumental oder sie ist dir komplett schnuppe. Objektiv betrachtet bleiben zwei Fakten: der Motor ist sensationell, sowohl was dessen Geschmeidigkeit wie auch dessen Effizienz angeht, doch der Energiespeicher in Form elektrochemischer Akkus bleibt auf absehbare Zeit eine Notlösung.
Dennoch, diese neue Zero ist schon sehr nah dran an einem ganz «normalen» Motorrad. Sie überholt insgesamt die Benziner noch nicht, ausser in der Einfachheit, mit der sich Beschleunigung abrufen lässt. Noch nie habe ich den stehenden Start von 0 auf 100 mit meinen Motorrädern geübt, denn bis ich den Tanz mit Gasgriff, Kupplungsdosierung und Wheeliegefahr perfekt hinkriege, hätte ich vermutlich die Kupplung schon verraucht. Mit der Zero SR/F stellst dich einfach hin, drehst den Griff auf Anschlag und saust nach weniger als 4 Sekunden durch die Lichtschranke. Kann jeder (angstfreie) Dödel…
Für mich 20.-Jahrhundert-Mensch bedeutet das E-Motorrad eine Umstellung, wenn auch eine, die man zügig schafft. Aber schauen wir die Sache mal aus einer anderen Perspektive an: Man stelle sich einen jungen Biker vor, der gar nie einen geschalteten Töff mit Ottomotor gefahren ist, z.B. dieses Jahr das «grosse Billett» mit einer Zero SR/F gemacht hat. Wenn er sich, vielleicht Jahre später, mal doch ein verbrennungsmotorisiertes Motorrad ausleiht, wird er sich vermutlich wundern, wie Generationen von Bikern mit diesen rauen, rumpelnden und ständig zu schaltenden Fahrzeugen glücklich werden konnten. Er wird solche Töff etwas so ansehen, wie meine Generation auf ölende Engländer der 1950er Jahre blickt: mit vielleicht nostalgischem, aber auch leicht mitleidigem Lächeln.
Die Zero SR/F steht als Basismodell für CHF 21’990 in der Preisliste. Als SR/F Premium für 2000 Franken mehr verdoppelt sich die Ladeleistung von 3 auf 6 kW. Optional ist ausserdem ein Schnelllader mit max. 12 kW Ladeleistung erhältlich. Das Netz an Händlern ist in der Schweiz noch dünn gewebt, was sich mit solch wertigen Produkten wie der SR/F aber bald ändern könnte.
Zuletzt noch ein verstohlener Blick zur amerikanischen Konkurrenz, zur Harley-Davidson LiveWire, das Elektrobike, das in diesen Wochen zu den Händlern kommt. Die LiveWire, ebenfalls aus dem Segment der Roadster, ist rund 30 kg schwerer, ähnlich stark (aber mit deutlich weniger Drehmoment), mit einem noch ein bisschen grösseren Akku versehen als die Zero SR/F und kostet im Basispreis 14’500 Franken… mehr. Uff!
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