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Ducati Streetfighter V4S: Auf der Flucht

Sie ist wendig wie ein Wiesel und stark wie ein Stier. Und sie hat Flügel. Wer flüchten möchte, nimmt mit Vorteil die Ducati Streetfighter V4S. Gelingt gar die Flucht vor dem Regen?

Über dem Sihlsee scheint die Sonne. Doch im Süden, wo sich Berge erheben und ich deshalb hin will, türmen sich dunkle Wolken. Eigentlich müsste ich umkehren. Aber vielleicht schaffe ich die Fahrt über die Ibergeregg ja, bevor die Schleusen öffnen. Wäre schön, ich habe den Pass rüber nach Schwyz als ausserordentlich unterhaltend in Erinnerung.

Schnell über den Berg, das sollte mit der Ducati Streetfighter V4S gut gelingen. Das Leergewicht in Kilo tiefer als die Zahl der PS im Motor. Leistungsgewicht 1,04 PS / kg. Auf den geschmiedeten Alufelgen sportliche Pirellis. Da will man nicht unbedingt im Nassen rumsösselen. Genau genommen könnte der Gedanke an nassen Asphalt an Bord eines extremen Geräts Angstschweiss auslösen.

Doch ist die neue Streetfighter überhaupt extrem? Ja und Nein.

Zuerst zum Ja: Die Basis des hammerstarken Naked Bikes ist der hammerstarke Supersportler Panigale V4 (oder eben in der edleren Version: V4S). Motorenbau der aufwendigen Sorte mit je zwei Zylindern in V-Anordnung (zwei Zylinderbänke, ergo vier Nockenwellen), gegenläufig drehender und damit stabilisierender Kurbelwelle (ergo Zwischenwelle, damit das Motorrad nicht rückwärts fährt), zwei Einspritzdüsen pro Zylinder und, und und. Dazu auf der Rennstrecke verfeinertes Elektronikpaket. Und eben, 208 PS bei unter 200 kg.

Nein, doch nicht so radikal: Man sitzt bequem aufrecht, nicht dermassen nach vorne orientiert wie auf einem Stummellenker-Sportler. Ein langweiliger Streckenabschnitt lässt sich leichter überstehen als auf der Panigale. Und Bergab-Spitzkehren gehen viel, viel, viel lockerer von der Hand. Ausser man sei jung, talentiert und Profiturner, dann schafft man das auch auf der Panigale vor dem Zmorge.

Man muss nicht so irre fahren können wie dieser Ducati-Testfahrer, um die Vorzüge der Streetfighter auskosten zu können. Es schadet aber auch nicht.

Also: Die Streetfighter bietet eine ausgewogene Sitzposition. Man sitzt zwar aufrecht, aber so nahe am breiten Lenker, dass das Gespür fürs Vorderrad nicht verloren geht. Vor dem Bauch wölbt sich hoch der Tank, doch man sitzt nicht einfach passiv drin in der Duc, denn mit 845 mm ist die Sitzbank auf hohem Niveau. Und wenn wir schon beim hohen Niveau sind: Das Sitzbrötchen für den Passagier schwebt in luftigster Höhe. Eine Herausforderung für Beifahrer, aber auch für die Gelenkigkeit des Piloten beim Aufsatteln.

Die Motorencharakteristik ist drehzahlabhängig. Niedrigtourig, und das geht beim 1103-ccm-Desmosedici etwas bis 4500/min, gibt er sich zwar nicht so rumpelig wie ein V2, gibt aber mit verzögerter Gasannahme die Diva. Innerorts fährt man im Zweiten, maximal im Dritten. Ab 4500/min geht der Twin Pusle mit seiner unregelmässig-regelmässigen Zündfolge (90°-V4, dazu 70° Hubzapfenversatz) ausgesprochen geschmeidig, direkt und doch weich ans Gas.

Etwa ab 6000/min geht es dann irr nach vorn, mit immer noch perfekter Gasannahme und erstaunlich hoher Laufruhe. Fünfstellige Drehzahlen, an sich noch Wohlfühlbereich dieses extremen Kurzhubers, sind auf der Landstrasse schlicht zu stressig. So schnell, wie der dreht, kann ich nicht gucken. Bergstrecken fuhr ich im zweiten Gang zwischen 5000 und 10’000/min. Das ist – zwischen Berg, Baum und Abgrund – schon richtig schnell, glaubt mir!

Niemand erwartet nun, dass dieses Pfunds-Triebwerk säuselt wie eine Nonne beim Frühgebet. Doch auch im Kreise italienischer Krafträder, traditionell akustisch eher von der extrovertierten Art, ist die Streetfighter ein Brüller. Schon beim Druck auf den auf den Starterknopf rutschte einem die Brille von der Nase. Morgens um 6 unauffällig aus dem Quartier rollen? Vergiss es! Von der Tiefgarage wollen wir gar nicht erst alpträumen…

Wer Benzin im Blut hat, dem geht angesichts des mächtigen Bollerns das Herz auf. Doch 106 dB Standgeräusch sind gut doppelt so laut, als die Tiroler auf ihren Bergstrassen noch durchlassen. Dieser Pegel gilt, geschätzte Sound-Ingenieure in Borgho Panigale, nördlich der Alpen nicht mehr als soziabel. Sorry Leute für die Predigt, aber man möchte ja auch noch in ein paar Jahren Töff fahren dürfen!

Die ersten drei Kurven hinauf zur Ibergeregg sind genommen… und platsch! Petrus öffnet die Schleusen, ich brauch für den der Kurztest der Ducati einen Plan B. Zuerst mal umkehren, vor der Regenfront fliehen. Gelegenheit für ein paar Fotos. Schöne Details wie das eingestickte V4-Emblem im Suede-Ledersattel, Lüftungs-Aussparungen in der Cockpit-Verkleidung und der Tankabdeckung, das LED-Tagfahrlicht, das die Entgegenkommenden angrinst wie der böse Joker den guten Batman oder die Heckverkleidung mit ihren zwei «Löchern».

Auffälligstes äusseres Merkmal allerdings sind vier Plastikteile, die keinen Schönheitswettbewerb gewinnen: die Winglets, die Flügelchen also. Je zwei übereinander an jeder Seite, für zusätzlichen Anpressdruck. Diese aerodynamischen Hilfsmittel erzeugen 28 kg Abtrieb bei 270 km/h (20 kg am Vorderrad, 8 kg am Heck), sagt Ducati. Die Fahrt bei Landstrassentempo würde man vermutlich auch ohne die Dinger gut überstehen.

Fertig fotografiert, Strasse wie Kleider feucht, aber nicht durchnässt. Da man in den Alpen nie weiss, was von oben noch kommt, die Ibergeregg aber immer noch finster ausschaut, nehme ich ein kleines Alpsträsschen oberhalb des Sihlsees. Verschlungen in den Hang gezwirbelt, eng. Dazu wechseln sich Kuhfladen und Weideroste ab. Ein Szenario, an das die Entwickler der Streetfighter garantiert zu allerletzt gedacht haben.

Doch siehe da, die hier unendlich überbewaffnete Streetfighter lässt sich entspannt um alle Klippen zirkeln. Frappant ist der Unterschied zwischen dem Gefühl zwischen den Beinen für das schwere Triebwerk einerseits, die Leichtigkeit der Lenkung anderseits. Als ob Ducati als neueste Innovation die Töff-Servolenkung erfunden hätte. Natürlich hilft auch das Wissen um ABS und Traktionskontrolle, das Unbehagen auf feuchtem Asphalt zu dämpfen. Doch die Leichtigkeit und Neutralität, mit dem sich dieser Bolide auch bei miesen Bedingungen fahren lässt, spricht sehr für ein ausgewogenes Fahrzeugkonzept.

Dieselbe Fahrt mit der Vorgängerin, der Streetfighter 1098 von 2009, wäre eine echte Herausforderung. Doch mit ihrer radikalen Geometrie, dem rumpeligen Motor und der Piranha-Vorderbremse fanden sich nur Talentierte im Attacke-Modus zurecht– Attacke jedoch ist auf Alpen-Glibber irgendwie schwierig…

Das volle Elektronik-Programm: Gut ablesbares Display, hochwertige Armaturen, el. gesteuerter Lenkungsdämpfer, semiaktives, elektronisches Fahrwerk, natürlich Quickshifter.

Auch wäre beim steten Wechsel vom zweiten in den ersten Gang und zurück die Kupplungshand irgendwann erlahmt. Streetfighter 2.0 hingegen macht den Handkrampf mit einem sämigen Quckshifter überflüssig. Beim Runterschalten haut der Schaltautomat die Gänge auch mal heftig rein, aber nicht so, dass man Angst kriegt.

Wie angetönt reichte es Ihrem OneMoreLap-ler diesmal nur für einen Kurztest. Was bedeutet, dass ich das umfassende Elektronik-Paket der Edel-Streetfighter (bei der Version V4S kommt in diesem Kapitel das semiaktive Fahrwerk und der el. gesteuerte Lenkungsdämpfer hinzu) nur passiv genoss. Sprich, ich bin trotz Leistungsüberschuss und kurvengierigen Fahrwerks nie in die Büsche geflogen. Für bewusste Einstellungsarbeit reichte die Zeit nicht, ich habe mich in den vorprogrammierten Modi Road und Sport getummelt. Das lässt sich alles weiter aufdröseln, von der Gasannahme bis zur Wheeliekontrolle kann mal alles individuell einstellen.

Auch wenn ich die Ducati Streetfighter nur wenige Stunden gefahren bin, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich auf ähnlichem Niveau befindet wie die grandiose https://onemorelap.com/fahrbericht-aprilia-tuono-v4-1100-factory-pulsbeschleuniger/ Aprilia Tuono V4 1100. Jedenfalls gilt für die Streetfighter dasselbe wie die Tuono: Beherzte Landstrassenfetzer sollten sie zumindest einmal im Leben ausprobiert haben, die Geschmäcker sind ja verschieden. Und die Geldbeutel. Fr. 23’995 sind für die Streetfighter V4S fällig, immer noch 20’995 für die Basisversion. Die Aprilia Tuono ist günstiger, konzeptionell allerdings um einiges älter.

Das Wetter am kurzen Testtag zeigt sich übrigens gnädig. Bald schien wieder die Sonne, der Asphalt trocknete ab, das Vergnügen an der Ibergeregg konnte beginnen. Natürlich ist auch diese verwinkelte und buckelige Passstrasse eher auf eine Supermoto oder eine schnelle Reiseenduro zugeschnitten denn auf die Street Fighter. Dennoch, es hat gepasst, das semiaktive Fahrwerk steckt viel weg, die erstaunlich zahme Bremse liess sich problemlos dosieren, und ist die Strasse einmal länger als 20 m gerade, entfacht der V4 einen unfassbaren Sturm. Ganz grosses Kino, keine Frage!

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