Der Volvo XC90, seit Januar 2015 auf dem Markt und das erste Fahrzeug nach Volvos Neupositionierung. Was bringt also das erste „neue“ Volvo-Modell nach der Übernahme durch den chinesischen Geely-Konzern?
Macht der T8 als Plug-In-Hybrid mit Vierzylinder-Benzinmotor im Zusammenspiel mit einem elektrischen Motor wirklich Sinn oder vermissen wir einen Sechszylinder(-Selbstzünder)?
Mit diesen Gedanken geht es los auf die erste Fahrt. Der auffällig formschöne und sehr wertige Schlüssel in der Hosentasche, öffnet sich der XC90, dank Keyless, durch ein sanftes Ziehen am Türgriff. Sofort werden alle Systeme aus dem Schlaf gerissen und hochgefahren, was in wenigen Millisekunden später schon passé ist. Systeme? Davon hat der XC90 jede Menge. Von ACC (Geschwindigkeitsregelanlage mit Abstandsautomatik) über Hill Descent Control bis hin zu WHIPS.
WHIPS steht nicht etwa für „Wide Hips“ und bezeichnet die breite Hinterachse unseres Schweden, sondern für Whiplash Protection System. Dieses System wurde von Volvo ins Leben gerufen und ist heute 20 Jahre alt. Im XC90 kommt die neueste Weiterentwicklung davon zum Einsatz. Die Idee dahinter ist simpel und doch technisch kompliziert: Bei einem Heckaufprall können die beiden Sitze vorne um einige Zentimeter nach hinten fahren und sich um ca. 15° nach unten neigen. Diese Bewegung fängt den Körper sanft auf und dämpft die wirkenden Kräfte somit deutlich ab. Clever!
Die Sicherheitssysteme im XC90 würden genug Inhalt für eine ganze Artikelserie bieten, so belassen wir es bei diesem kurzen Einblick und gehen stattdessen weiter zum Innenraum. Gewählt wurde feinstes Leder und Carbon Dekoreinlagen, die einen sportlichen Look vermitteln. Der Innenraum ist hervorragend verarbeitet, sämtliche verwendeten Materialien erfüllen die Erwartungen an ein Fahrzeug dieser Preisklasse vollauf. Ein besonderer Blickfang ist definitiv der Gang-Wählhebel in der Mittelkonsole. Eine blau-beleuchtete Diamantschliff-artige-Skulptur, die eher an Rolls-Royce oder Bentley erinnert, als an einen Volvo, der noch vor 10-15 Jahren als ein Lehrer-Auto galt und oft mit alternativen Aufklebern wie „Atomkraft? Nein danke“ gesehen werden konnte.
Weiter ist auch der Start-Dreh-Knopf aussergewöhnlich. Ebenfalls formschön, zeigt er einen alternativen Weg zur üblichen Start-Stopp-Knopf Methodik. Die Sitze bieten eine integrierte Kopfstütze und wirken auf den ersten Blick sportlich geformt und hart, da die Polsterung zumindest optisch nicht so üppig ausfällt wie in Konkurrenzmodellen. Erstmal Platz genommen verschwinden diese Zweifel dennoch zügig. Man fühlt sich sofort wohl, hat genügend Seitenhalt und will eigentlich nicht mehr aussteigen. Ähnlich wie eine Couch an einem kalten Sonntagmorgen.
Die Multimediaeinheit im Volvo ist zentral angebracht, 9-Zoll gross und bei allen Ausstattungsvarianten serienmässig verbaut. Darin enthalten sind so gut wie alle Funktionen und Einstellungen, die man mit Wischen in verschiedene Richtungen schnell abrufen kann. Ähnlich wie bei einem Smartphone gibt es nur noch eine Home-Taste, alles andere versteckt sich in den unzähligen Menüebenen, von links nach rechts und über Untermenüs.
Viele Parallelen zum Smartphone machen die Benutzerführung einfach ableitbar und vorhersehbar. So ist es auch ein Kinderspiel, über die Anwendung der Heizung, den Wagen, auf die gewünschte Innenraumtemperatur, die Stufe der Sitzheizung und nicht zu vergessen die Lenkradheizung einzustellen. Danach noch „Wöchentlich wiederholen“ antippen, sowie die Werktage anwählen und schon erwartet einem der XC90 mit der eingestellten Temperatur zur gewünschten Zeit. Davon kann man ganze acht verschiedene Einstellungen parallel wählen. Fantastisch.
Fahreindruck gefällig? Wird auch langsam mal Zeit! Der T8 ist die höchste Motorisierung des XC90 und leistet 407 PS, kombiniert aus einem 320 PS starken vierzylindrigen Turbo-Kompressor-Motor und einer 87 PS E-Maschine. Damit soll das 2,3 Tonnen schwere SUV sportliche Fahrleistungen erzeugen und gleichzeitig noch bis zu 45 km weit rein elektrisch fahren. Soweit die Theorie. Das Fahrgefühl ist weit weg von Sportwagen und eher „wie auf Wolken“. Verstärkt wird dieses Gefühl durch den Pure Fahrmodus, wobei sich der Elektromotor die Elektronen aus der Hochvolt-Batterie saugt und diese in Vortrieb umwandelt. Damit kommt man etwa 30 Kilometer rein elektrisch.
Perfekt für die Staus der Pendler oder Kurzstrecken. Dazu passt auch das Luftfahrwerk, was je nach Modus auch seine Dämpferkennlinie anpasst, aber uns im entspanntesten Modus am Besten gefiel. Im Power-Modus steht die volle Leistung von 407 PS und 640 Nm Drehmoment bereit. Das sorgt auch für ordentlich Schub, allerdings nur, solange die Batterie ausreichend geladen ist. Entsprechend schnell saugt diese sich nämlich dann leer und statt 407 PS mit sofortigem „Boost“ durch den Elektromotor, verbleiben wir mit einem 320 PS Vierzylinder der unter dem massigen Gewicht (u.A. auch durch die Batterien) dann sehr träge wirkt. Auch in Kurven begeistert der XC90 den Sportwagenfan nicht sonderlich. Statt wie der kürzlich getestet Range Rover Velar, der im Sportmodus in Kurven leicht über die Hinterräder schiebt und somit Hecktriebler-Attribute suggeriert, kennt der XC90 nur Untersteuern.
Solange man den XC90 T8 entspannt bewegt, ist das Zusammenspiel der beiden Antriebe also ausgesprochen harmonisch. Der Fahrer hat die Wahl zwischen sechs vorgegebenen Fahrmodi (Hybrid, Pure, Save, Off Road, AWD, Power) und einem Individual-Modus, in dem man die Einstellungen für Lenkung, Motor/Getriebe/Allradantrieb, Bremsen, Federung und Klimaeinstellung nach seinen Wünschen konfigurieren kann. Weder die Achtstufen-Automatik von Aisin, die im Vergleich zur Achtstufen-Automatik von ZF (verbaut in Jaguar / LandRover, BMW, Audi, Alfa Romeo) im Spagat zwischen Sport und Komfort etwas unausgereifter wirkt, noch die Lenkung schaffen ganz dieselbe Spreizung wie es die Konkurrenz kann, dafür glänzen sie umso mehr, wenn man es gemütlich angehen will.
In der letzten Modellgeneration stand T8 für einen V8. Vermissen wir ihn? Nein. Durch die moderne Antriebstechnologie lässt sich einen V8 Motor gut imitieren. Der Elektromotor ist dem Verbrenner deutlich überlegen, was das Anfahrdrehmoment angeht, denn im Vergleich zum grossvolumigen V8, kann er das Drehmoment sofort bereitstellen. Leider ist die Batterie aber etwas klein, um auch bei längeren Etappen das nötige Drehmoment beizusteuern. Das Geräusch der fehlenden vier Zylinder kann übrigens ruhigen Gewissens durch Musik aus der fantastischen Bowers & Wilkins Anlage mit 19 Lautsprechern und Verstärker kompensiert werden.
Doch zurück zur Frage vom Anfang, macht ein Plug-in-Hybrid wirklich mehr Sinn als ein Sechszylinder(-Selbstzünder)? Nein, der hier verbaute Antriebsmix funktioniert perfekt. Allerdings nur, solange die Batterien stets vollgeladen sind und man die Leistung nicht übermässig abfordert. Sind die Batterien erschöpft, fehlt die Souveränität von einem Sechszylinder, der als Dieselmotor noch einen deutlich höheren Wirkungsgrad aufweisen würde. Zudem sehen wir die Reichweite als ein echtes Problem.
Das Tankvolumen ist beim T8 im Vergleich zu den tieferen Motorisierungen um 21 Liter auf 50 Liter reduziert. Verbräuche von 8 bis 12 Liter sind normal, somit steht man schon nach etwas über 400 km an der Tankstelle. Das Konzept überzeugt also, jedoch ist für den grossen SUV der Elektromotor mit zugehöriger Batterieeinheit zu klein. Dafür verliert man im Vergleich zur Konkurrenz nur wenig Kofferraumvolumen (640 l statt 692 l).
Mein Fazit zum Volvo XC90 T8 Twin Engine: Meine Erwartungen waren sehr hoch und wurden grösstenteils auch nicht enttäuscht. Der Volvo punktet mit einem Understatement-Image im Vergleich zu seinen Konkurrenten aus Deutschland und setzt die Segel am richtigen Ort. Die fantastische Materialwahl im Innenraum, das komfortable Fahrgefühl und der gelungene technische Fortschritt sind bemerkenswert, jedoch sollte Volvo das im Ansatz gute TwinEngine Prinzip nochmals angehen und mit leistungsstärkeren Batterien und E-Motor ausstatten. Der Verzicht auf Sechszylinder ist für mich zu radikal und nicht nachvollziehbar in diesem Segment. Für mich ist der XC90 T8 eine gute Ergänzung zum heimischen Fahrzeugpark, wenn man zum Beispiel seine Familie in Sicherheit wägen mag und nebenher noch auf einen Sportwagen zurückgreifen kann.
Der Durchschnittsverbrauch lag während unserer Testdauer bei 8,9 Liter auf 100 km. Der Basispreis des XC90 T8 startet bei CHF 100’700.-. Unser von Volvo Schweiz zur Verfügung gestellter Testwagen in Onyx Black lag bei rund CHF 123’820.-
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