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Kurztest: Ford F-150 Lightning Lariat

Ford hat eingeladen: Es ist kurz vor Weihnachten, der Kalender sagt eigentlich nein, aber ich nehme die Einladung zur Testfahrt des Ford F-150 Lightning trotzdem an. Mich interessiert der amerikanische Fullsize-Elektro-Pickup im Umfeld der Schweizer Strassenlandschaft sehr, perfekte vor-weihnachtliche Abwechslung also.

Am Anfang schmunzle ich über den Obelix-haften Auftritt des F-150 Lightning. Ich parke meinem E-Tron neben zwei F-150, steige aus und mein eigentlich grosser SUV verschwindet nahezu vollständig. Grösse ist eben auch nur eine Frage der Relation. Kurzes Briefing, dazu kommen wir später noch. Jetzt steigen wir um, rein in den F-150 Lightning oder besser gesagt: hoch in den Pickup. Sehr hoch.

Im Innenraum angekommen ist das Raumgefühl genau so luftig und grosszügig, wie in einem grossen SUV – nur dass wir halt nebst zwei Sitzreihen (Super Crew Cab), noch eine vollwertige Pritsche mit 1.70m Länge und 1.29m Breite haben. Gesamthaft sind wir dann bei 6.29m Länge, 2.06m Breite und 2.00 Höhe. Der Ford Ranger Raptor, ein für uns „grosses Auto“, ist dagegen mit 5.38m Länge, 2.02m Breite und 1.92m Höhe deutlich kleiner.

Ich fahre los. Die Strassenbreite will im Auge behalten werden, in engen Haarnadeln will man geschickt ausholen und langsam einlenken, viel am Lenkrad kurbeln, immer den Gegenverkehr auf LKWs oder Busse scannen und dann ist die Grösse nach 10 Minuten bereits kein Problem mehr. Im Gegenteil. Freude kommt auf, wenn man merkt, wie leicht die sofort-verfügbare Leistung den fast 3-Tonnen-schweren Koloss durch die Gegend schiebt. 458 PS (337 kW) und bis zu 1050 Nm Drehmoment entladen eine 98 kWh grosse Batterie je nach Gaspedal-Einsatz zügiger oder eben weniger zügig.

Es arbeitet je ein Elektromotor an Vorder- und Hinterachse. Ford verspricht, die 0-100 km/h Zeit liegt bei unter 5 Sekunden. So fühlt sich das ehrlicherweise auch an. Die Zwischenspurts sind deutlich dynamischer als nur „elektro-typisch gut“. Im Sportmodus ist die Längsbeschleunigung wirklich „sportlich“, wobei Lenkung, Fahrwerk und daraus-resultierendes Kurvenverhalten die Grösse und das Gewicht deutlich weniger kaschieren können. Neben „Sport“, hätten wir auch noch „Offroad“, „Tow/Haul“ und „Normal“. Offroad können wir nicht ausprobieren, ein Anhänger ist auch nicht verfügbar (genau so wenig meine Fahrerlaubs dazu) – also zurück zu „Normal.“ Fahren lässt sich in nur Heckantrieb oder mit Allrad. Witzigerweise lässt es sich in Heckantrieb auch so fahren, dass die Hinterachse leicht zuckt, wenn man sie mit spontanem Drehmoment „überfällt“. Sehr amüsant.

Cruisen macht Freude. Lässig und geräuschlos gucke ich in leicht entsetzte Gesichter am Strassenrand – hey, ein E-Auto muss nicht immer langweilig und klein sein – nein, genau in dieser Fahrzeuggrösse macht das richtig viel Sinn. Der Komfort ist, wie man sich von einem amerikanischen Bigger-is-better-Pickup denken kann, absolut herausragend und nur beim Anbremsen merkt man dann deutlich, wie viel Gewicht der grosse „Blitz“ mit sich herumfährt. Apropos „mit-sich-herumfahren“ – mit einer Anhängelast von bis zu 3,5 Tonnen und 600 Kilogramm Nutzlast kann man allerhand Dinge mit sich herumfahren – Boote, Pferde, Rennautos.

Interessant: Im F-150 kann man fast jedem anderen Fahrzeug von oben-herab in die Seitenscheiben schauen, sogar bei den bei uns üblichen „Lieferwägeli“. Dann sieht man erst mal, wie viele Fahrer während der Fahrt auf ihrem Mobiltelefon tippen, ein Report auf dem Klemmbrett ausfüllen oder sonst deutlich abgelenkt am Verkehr teilnehmen. Somit wäre der F-150 Lightning ein ideales Streifenfahrzeug für die Polizei und nicht nur darum. Aus Gründen des EU-Fussgängerschutzes musste ein „Rammbügel“ an die Frontschürze montiert werden – kein Scherz. Ich musste erst laut lachen, aber das ist purer und absolut verblödeter EU-Reglemente-Wahnsinn. Doch damit nicht genug – damit die F-150 Lightning fit für die hiesige Zulassung sind, werden sie in mehreren Arbeitstagen bei Ford in Köln zerlegt und von US-Technik auf EU-Technik umgebaut. Das bedeutet grob zusammengefasst: Neues Lademodul, neuer Wechselrichter, neue Hochvolt-Verkabelung. Neue Blinker & Reflektoren in der Stossstange hinten, neue Steckdosen, neues Anhängermodul und ein anderes Infotainment mit EU-SYNC-Software und nun 64 GB Speicher.

Spätestens hier verging mir das Lachen. Der comicartige F-150 Lightning – den ich als kleinen „grossen“ Marketing-Stunt eingestuft hatte und ausserhalb der USA nur in der Schweiz und in Norwegen offiziell erhältlich ist, macht ernst. So auch bei den Verkaufszahlen, von 100 Stück die in den Schweizer Markt kommen, waren im Dezember nach seiner Schweizer Premiere auf der Auto-Zürich bereits über die Hälfte verbindlich reserviert – ohne jegliche weitere Marketingmassnahmen. Starkes Stück – das hätte ich nicht gedacht. Meine Vermutung war, dass potenzielle F-150 Käufer in Richtung V6 oder V8 schielen und bei Elektro die Nase rümpfen.

Optisch erkennt man den elektrischen F-150 an durchgehenden Leuchten vorne und hinten. An der Seite befindet sich ein blauer „Lightning“ Schriftzug. Alle Fahrzeuge dieser limitierten Serie verfügen dazu über 20-Zoll-Felgen und kommen in der Aussenfarbe „Antimatter Blue Metallic“.

Der Innenraum. Ein 15.5 Zoll grosser Touchscreen steht in der Mitte – darauf ein physisches Wahlrad wie wir es aus dem Mustang Mach-E kennen. In meiner zweistündigen Testfahrt habe ich irgendwann mein iPhone verbunden und Apple CarPlay nimmt dann die obere Hälfte ein, während unten weiterhin Schnellzugriffe und die Klimabedienung ersichtlich bleiben. Das B&O Soundsystem macht das Beste aus dem grosszügigen Raumangebot – gefällt! Materialanmutung und Verarbeitungsqualität sind gut – es gibt eine Kontrastnaht in hellbraun, die sich mit dem holz-ähnlichen Material in der Türe und dem Armaturenbrett wiederfindet, zwischendrin etwas graues Textil als Deko und so wirkt das dann stimmig. Fahrassistenten sind natürlich auch an Bord und funktionieren, zumindest auf unserer kurzen Autobahnetappe, problemlos. Ein ausklappbarer Tisch aus der Mittelkonsole zwischen Fahrer- und Beifahrersitz kann mir als Arbeitsfläche dienen, während ich z.B. mein Notebook oder meine Bohrmaschine an einer der naheliegenden 230V-Steckdosen auflade.

Die Reichweite soll bei 437 km liegen, das wäre ein durchschnittlicher Verbrauch von 22.4 kWh / 100 km. Auf meiner gemischten und eher sportlichen Testrunde bei kalten Dezember Temperaturen lag der Verbrauch am Schluss bei 29.6 kWh – somit hätte ich eine maximale Reichweite bei voller Batterie von 331 km. Ford verspricht: Der Ford F-150 Lightning lässt sich an einem Gleichstrom-Schnell-Lader mit 150 kW in nur 39 Minuten von 15 auf 80 Prozent aufladen. Vorne gibt es noch eine kleine Überraschung. Ein Gepäckraum unter der „Motorhaube“ der weitere 400 Liter Stauraum und bis zu 181 Kilogramm Fracht aufnimmt.

Was bleibt also?
Für CHF 127’000 bekommt man den zur Zeit einzigen „Full-Size“ Pickup mit Elektromotor auf dem Schweizer Markt. Ein praktischer „Truck“ mit Komfort und sportlichem Durchzug – aktuell noch „1 out of 100“. Ich habe ihn unterschätzt und den Schweizer Markteintritt fälschlicherweise belächelt, aber das Paket ist rund und wer mit den Dimensionen leben kann, bekommt einen tollen Pick-Up – nicht umsonst wurden in den USA schon über 200’000 Lightning bestellt..

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