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Dauertest: Audi e-tron 55 Quattro (2019 / GE)

Ein Neuzugang im Fuhrpark. Mein neuer Schlechtwege-Begleiter: Er fährt rein elektrisch und hört auf den Namen Audi e-tron 55 Quattro. Was die Beweggründe zum Wechsel sind, warum ein e-tron und wieso das gerade jetzt – das und mehr erzähle ich nun ausführlich.

Bei OneMoreLap.com beschäftigen wir uns ja gerne auch mit dem optimalen Alltagswagen als Gegenpol zum Sportwagen. Der e-tron ist genau das für mich – ein Alltagswagen, vielleicht sogar der ideale Alltagswagen. Doch beginnen wir von vorne. 2019 hat uns Audi angeboten, den Demowagen, der eigentlich für festliche Enthüllungen temporär in der Schweiz war, zwischen zweien solcher Enthüllungen auszuborgen und einen kurzen anderthalbtägigen Fahrtest durchzuführen – eine grosse Ehre und eine tolle Möglichkeit. Den Bericht dazu, kann man hier nachlesen (Fahrbericht von März 2019: Audi e-tron 55 Quattro) und schliesst mit dem Fazit: „Nun was bleibt? Ein Elektroauto, das endlich mal nicht in jedem Attribut zeigen will, dass es besonders «geeky», modern oder eben «anders» ist. Der e-tron ist primär ein Audi, leider nicht allzu sportlich, aber dafür sehr komfortabel. Genau diese Mischung wird ihm hierzulande wohl zum Erfolg verhelfen. – Dieses Fazit unterschreibe ich weiterhin zu 100%.

Diese exklusive Möglichkeit, eines der ersten e-tron Exemplare in der Schweiz fahren zu dürfen, sowie der komfortable, souveräne und durchzugsstarke Fahreindruck hat sich bei mir positiv eingebrannt. Andererseits war da der Audi A6 Allroad Bi-TDI – ein treues Gefährt, der über viele Jahre mein liebster Schlechtwege-Begleiter war und erst, als der Nachfolger schon auf dem Weg war, ein grösseres Wehwehchen hervorgebracht hat – doch dazu später mehr in einem separaten Artikel.

Der A6 war angezählt, mit unterdessen über 160’000 km und 9 Jahre auf dem Buckel war es langsam Zeit, das damals als Experiment „Daily Driver“ gedachte Projekt zu ersetzen. Perfekt passend: Unsere gemeinsam genutzte Tiefgarage wurde mit Wallboxen ausgestattet. Was lag also näher, als sich ein PHEV (Plug-in Hybrid Electric Vehicle) oder BEV („Battery-Electric-Car“ / Elektroauto) anzuschaffen, um weitere negative „Abnutzungserscheinungen“ von meinen zahlreichen Kurzstreckenfahrten zu reduzieren?

Die Gebrauchtwagen-Modelle in der engeren Auswahl mussten einige Vorgaben beherrschen. Dazu zählten genügend Leistung für dynamische Zwischenspurts, Allrad, eine sehr komfortable Federungsauslegung, gute Bodenfreiheit, einen grossen Kofferraum mit Platz für eine grosse Hundebox, Fahrassistenten wie Abstandehaltetempomat und Spurhalteassistent, falls möglich von einem deutschen Premiumhersteller, gute Konnektivität, 360-Grad-Kameras, eine Soundanlage die guten (Surround-)Klang hat, ohne laut hören zu müssen, nicht älter als 5 Jahre und einen möglichst hohen Wertverlust bereits hinter sich hat.

Von der ersten Auswahl in die zweite, engere Auswahl kamen nur wenige Fahrzeuge. Um einige der Ausgeschiedenen aufzuzählen: Tesla Model Y (keine 360-Grad-Kameras, hartes Fahrwerk), XC90 T8 (veraltet, träger 4 Zylinder), Ioniq 5 (zu kleiner Kofferraum), A6 e TFSI (zu wenig Bodenfreiheit), Touareg R PHEV (kaum Gebrauchtwagen, hohe Preise) und so weiter – die Liste wäre noch sehr lange. In der engeren Wahl waren schlussendlich nur der BMW X5 45e PHEV (hier getestet >>) und der Audi e-tron 55 als reines BEV. Immer mal wieder habe ich auf den e-tron S geschielt, aber der Preisunterschied für 100 PS Mehrleistung, mehr und grössere Motoren bei praktisch gleicher Batteriegrösse und somit weniger Reichweite waren für mich nicht attraktiv genug.

Die Frage war also: PHEV oder BEV. Ausschlaggebend für die Entscheidung war auch der Test des Lexus NX 450h+, einem PHEV, der über eine ähnliche Reichweite wie der X5 verfügte und ich doch einige Male Kickdown in den eiskalten Motor geben musste, um zügig einen Traktor o.Ä. auf der Landstrasse überholen zu können. Irgendwie fühlte sich das schlecht an, wenn auch nur mental. Das will man einem mechanischen und auch filigranen Aggregat nicht antun müssen und doch bleibt einem manchmal keine Wahl, will man doch Kurzstrecken eigentlich rein-elektrisch zurücklegen.

Der zweite Punkt war mein Streckenprofil der letzten 12 Monate. Kurzstrecken unter 20 km machen die deutliche Mehrheit aus, Langstrecken über 100 km knapp ein Fünftel aller Fahrten und exakt 2 Fahrten waren über 300 km. Argument Numero Tre war der Preisunterschied. Ein gebrauchter X5 PHEV lag zum Kaufzeitpunkt 15-20 Tsd. Franken über dem eines e-tron 55 und wer höher kauft, verliert prozentual vielleicht ähnlich viel, aber 30% von 60’000 sind mehr als 30% von 40’000 CHF. Allerdings muss man sich nichts vormachen, beide Kategorien, PHEV und BEV sind durch ihre schnelle technologische Weiterentwicklung sehr anfällig für Wertverfall. Letzter Punkt war die zusätzliche Grösse, vor allem die über 2 Meter Breite des X5 (+7 cm Breite, +2 cm Länge, +12 cm Höhe), die mir hinderlich sein könnte, da ich beruflich oft durch enge Parkhäuser manövrieren muss.

Es brauchte also eine mutige Entscheidung, sich ins Becken der BEV zu stürzen. Als dann ein e-tron 55 in Gletscherweiss Metallic (selbe Farbe wie der A6 Allroad) mit fortlaufender Werksgarantie, aus seriösem Vorbesitz und einigen kleinen Makeln für einen verhältnismässig schmalen Taler aufgetaucht ist, habe ich zugeschlagen.

Bei der Recherche der Ausstattungswünsche und der Unterschiede pro Modelljahr hat mir die Seite „Electric has gone Audi“ (https://electrichasgoneaudi.net/models/e-tron/) sehr geholfen, die eine tolle Bandbreite an Informationen übersichtlich auflisten und man sich richtig „reinfuchsen“ kann. So habe ich zum Beispiel herausgefunden, dass der LIDAR-Sensor im Jahre 2020 still und heimlich wegrationiert wurde, aber mein 2019er Modell noch damit fährt.

Das Exemplar meiner Wahl ist, wie erwähnt, Gletscherweiss Metallic, verfügt über die erweiterte Lackierung (Stossfänger in Wagenfarbe), die 21-Zoll Turbinen Felgen, Matrix LED Scheinwerfer, Akustikverglasung mit verdunkelten Scheiben, Panorama-Glasdach und orangenen Bremssätteln (warum auch immer..). Innen geht es weiter mit Bang & Olufsen Soundsystem, Sportsitze in Leder, Komfortschlüssel, Softclose, Beduftung, Bedientasten in Glasoptik, Umgebungskameras, allen Assistenzpaketen und vielem mehr. Laufleistung bei Kauf: 38’541 km.

Einzig den Garagentüröffner aus dem A6 vermisse ich etwas, aber ansonsten fehlt mir nichts – im Gegenteil. Selbst Dinge, die ich eigentlich nicht spezifisch gesucht habe, sind mir positiv aufgefallen. Wir hatten kürzlich einen e-tron Facelift als „Q8 etron“ (Bericht folgt), mit deutlich spärlicherer Ausstattung, der schon nach knapp 20’000 km keinen frischen Neuwagengeruch mehr hatte und die Stoffeinsätze in den Teilledersportsitzen bereits Abnutzungen zeigten. Die optionale Beduftung in meinem e-tron sorgt dafür, dass selbst der nasse Hund im Kofferraum oder der Pizza-Transport vom Vorabend nicht wahrzunehmen sind.

Nun, 3’765 km später, sind es aber nicht nur die kleinen Features, die ich erst belächelt habe, wie die Beduftung, sondern die grösseren Optionen, die das bereits komfortable Fahrgefühl des A6 Allroad nochmals deutlich ins nächste Level bringt. Die Akustikverglasung der Frontscheibe (Serie), wie aber auch der Seitenscheiben (optional) sorgt für Totenstille im Innenraum.

Ankommende Rettungsfahrzeuge mit Blaulicht und Horn sieht man, bevor man sie hört, Reifen- und Windgeräusche sind kaum wahrzunehmen, dafür sorgt die B&O Anlage für klaren, aber sehr Höhen-fokussierten Surround-Sound. Tiefen und druckvolle Mitten mag sie nicht so, aber bei Gesang oder Instrumenten-Solos trumpft sie so richtig auf. Beispiele gefällig? „Coldplay – Fix you“, „Dire Straits – Money For Nothing“ oder auch „Eminem – Fall“. Die Quelle sollte natürlich auf (Hi-Res-)Lossless setzen und kabelgebunden angeschlossen werden.

Du siehst also, der e-tron ist ein Geländewagen, der dich für die Dauer der Fahrt vom Alltag isoliert, dir den Stress vom letzten Termin abnimmt, dich vom Lärm, dem Geruch, der Hektik draussen verschont. Ein Refugium. Dazu passend: Die Gasannahme ist deutlich zurückhaltender als in anderen Elektroautos. Die Kraft baut sich zügig, aber nicht überraschend auf, wie bei einem sehr drehmomentstarken Verbrenner. Nackenschläge oder Drehmoment-Überraschungen gibt es im e-tron nicht. Der 55er kommt mit 408 PS Boostleistung und 664 Nm Drehmoment.

Mein Fahrzeug mit Luftfederung (Serie) aber ohne S-Line Abstimmung lässt sich in drei Dämpferkennlinien fahren. Komfortabel, ausgeglichen und dynamisch. Natürlich ist meiner immer in der komfortabelsten Einstellung „geparkt“, das gibt ihm dieses entspannte Nachschwingen nach Unebenheiten, dieses Luftkissen-artige „Schweben“, wie man es von einem Range Rover kennt. Kurvendynamik ist dann natürlich sekundär.

Der e-tron hat einen tiefen Schwerpunkt, trotzdem wankt und neigt er sich vor und in Kurven spürbar. Fährt man ihn allerdings wie einen 911er, also „Slow-in, fast out“, bekommt man die Wankneigung gut unter Kontrolle. Die Batterie würde gerne am Kurvenscheitelpunkt zum Kurvenäusseren schieben, so dass ein dynamisches „Mitnehmen“ der Geschwindigkeit keine gute Idee ist. Besser vor der Kurve deutlich abbremsen und die 60-40 Kraftverteilung, zugunsten der Hinterachse, mit stetigem, aber feinen Gasfuss durch die Kurve dirigieren – dann geht das auch ohne Fischkutter-bei-Wellengang-Neigungswinkel durch Kurven.

Der e-tron ist erst Audi und dann Elektroauto. Er kann Dinge wie Qualität, Verarbeitung, Materialwahl, Komfort und macht Umsteigern aus Verbrenner-Audis das Leben einfach. Er ist aus verschiedenen Gründen nicht sonderlich effizient und definitiv kein Sparwunder, aber wer sparen will, fährt grundsätzlich kein grosses Audi-SUV mit 2.5 Tonnen. Die Reichweite schwankt je nach Fahrstil, Jahreszeit und Komfortverbraucher zwischen 270 und 370 km. Konnektivität ist keine der Stärken von Audi, die App Verbindung zum Fahrzeug ist eine Lotterie, manchmal für ganze Tage nicht verfügbar, bei mir aktuell seit über einer Woche – aber man will sich darum kümmern, verspricht der Support.

Kein Verbrauchswunder und trotzdem werden die Betriebskosten deutlich sinken. Über die letzten 3’765 km war mein Verbrauch durchschnittlich bei 25.6 kWh / 100 km. Den A6 Allroad 3.0 TDI bin ich im Langzeitschnitt mit 8.6 Liter Diesel / 100 km gefahren. Rechne ich nun diesen Verbrauch auf dieselbe Laufleistung hoch, mit einem Treibstoffpreis von 1.85 CHF pro Liter Diesel, komme ich auf Treibstoffkosten von CHF 599.00, genauer CHF 15.91 pro 100 km.

Den e-tron habe ich, mit zwei Ausnahmen, immer daheim geladen zu einem kWh Preis von 24.4 Rp./kWh, so komme ich auf Treibstoffkosten von CHF 235.31, genauer CHF 6.25 pro 100 km. Rechnen wir nun noch die zwei Ionity-Schnellladungen dazu, sind wir bei CHF 323.43.

Weniger laufende Kosten für mehr Komfort, mehr Luxus, mehr Durchzug und modernere Technik – das ist für mich ein funktionierendes Bekenntnis zu fortschrittlicher Technologie und Innovation. Der e-tron ist nicht nur das teuerste je entwickelte Fahrzeug von Audi, nein, er steht symbolisch für eine aufregende, technologisch bereichernde Fahrt in die Zukunft. Ich freue mich auf die vielen Kilometer, die noch vor mir liegen, und bin gespannt auf die Entdeckungen, positiv wie auch negativ. Ich werde berichten..

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