Suche

Mercedes-Benz EQS 580 – Reisebericht / Roadtrip in die Toskana

Ein Roadtrip mit dem EQS 580 4Matic. Für einen Verbrenner geplant, wurde unser Roadtrip kurzfristig zur Elektro-Erfahrungsreise. Mit einem der modernsten und reichweitenstärksten Elektroautos in die Toskana: Wird das gut gehen? Wie sind unsere Eindrücke? Gibt es noch Reichweitenangst beim EQS? Schauen wir uns das genauer an.

Die Idee, am ersten Wochenende im September auf den Spuren der Mille Miglia durch Italien zu düsen, war grundsätzlich auf das gebuchte Mercedes-AMG E53 Cabrio ausgelegt. Einige Tage vor dem besagten Wochenende wurde uns jedoch der E53 abgesagt. Alternativ wurden ein CLA 250 e Shooting Brake oder ein EQS 580 angeboten, letzteres sei eines der ersten Fahrzeuge in der Schweiz. Nach kurzem Überdenken gewann der Reiz am Unbekannten.

Wir tauschten also meinen privaten Audi A6 Diesel mit über 1000 km Reichweite, gegen einen EQS. Abfahrt Schlieren, bei Zürich. Nächstes Ziel: Porto Santo Stefano, bei Grossetto. 757 km. Fahrtdauer: 8 Stunden. Der EQS ist randvoll mit feinstem Strom und wir fahren in den Süden. Nach dem Zugersee durch den Kanton Schwyz und weiter über die A2 in Richtung Gotthardtunnel. Noch vor Ankunft im Tessin sind wir verwundert, dass der EQS zwar erkennt, dass seine Reichweite nicht ausreicht, um das eingegebene Ziel im Navigationssystem zu erreichen, aber gleichermassen auch keine Ladestops vorschlägt.

Des Rätsels Lösung ist „Mercedes Me“. Dieser Dienst beinhaltet beim EQS über 50 Features, die nur nach einer Registrierung freigeschaltet werden. So auch die Navigation mit «Electric Intelligence», also einfach gesagt: Das Auto berechnet mir, wo wir wie lange Aufladen müssen, um mit einer vordefinierten Ladekapazität am Ziel anzukommen. Nun gut, kurzer Halt, Mercedes-Me App installiert, registriert und wieder ins Auto. Verbinden mit dem Fahrzeug ging kinderleicht über einen QR Code, aber halt. Es tut sich nichts. Keine intelligente Navigation verfügbar. Woran mag das liegen, fragen wir die Mercedes-Helpdesk übers Telefon. Die Antwort: Es kann mehrere Stunden oder sogar Tage dauern, die Dienste zu aktiveren. Für uns heisst das also: Wir müssen mit einer App einer Drittpartei unsere Route zusammenschustern.

Soweit so gut, die App «Chargemap» schlägt uns zwei kurze Ladestops beim Ionity Piacenza und dem Ionity Versilia Ovest vor. Für Elektroauto-Neulinge: Ab 80% lädt ein Elektroauto sehr langsam, daher lohnen sich oftmals zwei kurze Stops mehr, als ein langer Stop. Schont wohl auch die Batterie. Der erste Fahreindruck? Wow! Wir sind beeindruckt. Nicht nur von den Hürden der intelligenten Routenplanung, sondern auch vom Rest des EQS. Obwohl die S-Klasse das komfortable Fahren sehr gut beherrscht, ist es hier auf einem noch besseren Level. Keine Windgeräusche, kaum Abrollgeräusche, selten überhaupt Fahrbahnrückmeldungen, so gleitet es sich, dank serienmässiger Luftfederung, komfortabel über die Landesgrenze in Richtung Italien. Wir fahren meistens auf Eco, da wir möglichst kurz laden wollen, um möglichst zügig anzukommen. Das Gaspedal ist lang, der EQS ist kein Auto was dich motiviert zügig zu fahren. Im Eco-Modus sowieso nicht.

Wie in der S-Klasse haben wir auch hier eine Armee an Assistenten zur Verfügung, die ihre Dienste vorzüglich tun. Der EQS hilft die Distanz zu halten, stellt die mittige Fahrt innerhalb der Fahrspuren sicher, lenkt selbst um eine Rettungsgasse zu bilden, erkennt Verkehrszeichen, hilft beim Spurwechsel, zeigt Objekte im toten Winkel an, bremst und weicht in Notsituation sogar selbstständig Objekten aus. Beeindruckend.

Die Assistenten haben einen grossen Anteil daran, dass wir beim ersten Stopp, nach 3,5 Stunden an der Ionity Piacenza Ladestation, noch lange nicht an eine Pause gedacht hätten, wenn es unsere Routenplanung nicht so vorgeschlagen hätte. So stehen wir also hinter einem Baumarkt am Ende eines grossen Supermarkt-Parkplatzes und manövrieren den EQS in die Nähe der Ladesäule. CCS Kabel aus der Ladesäule und rein in den EQS. Es passiert: nichts. Mercedes Kunden profitieren im ersten Jahr von unlimitiertem Ladespass an Ionity-Schnellladesäulen, sowie parallel dazu von einem vereinfachten Abrechnungssystem über Mercedes-Me Charge. Da sämtliche Mercedes-Me Dienste aber weiterhin nicht funktionieren, müssen wir uns bei Ionity, dem Anbieter dieser Ladestation registrieren. Nach wenigen Minuten ist auch diese App heruntergeladen, installiert und ein Benutzerkonto angelegt. Standort ausgewählt, Ladesäule angetippt, eingesteckt, Auto erkannt und weiter zur Zahlungsmethode. Die erste Kreditkarte wurde vom Anbieter abgelehnt und der Ladevorgang noch abgebrochen, bevor er gestartet hat. Alternative Zahlungsmethoden zur Kreditkarte kennt Ionity nicht, kein Paypal, kein Twint, keine Lastschrift und natürlich auch keine Barzahlung. Meine Kreditkarte funktioniert dann glücklicherweise und das Auto lädt auf. 25 Minuten, 54 kWh für 43 Euro, Kosten pro kWh: 0.79 Euro. Von 25% auf knapp 75% in unter einer halben Stunde. Das ist sehr ordentlich. Mit bis zu 200 kW lässt sich der EQS an Schnellladestationen mit Gleichstrom laden, Ionity bietet CCS Lademöglichkeiten mit bis zu 350 kW.

Also gleich weiter und die nächsten Kilometer abspulen. 2 Stunden und 200 km später laden wir nochmals auf. Da es unterhalb Florenz tatsächlich nur noch drei Ionity-Schnellladestationen auf dem ganzen italienischen Festland gibt, nehmen wir noch mit, was geht. Zwei zwischen Neapel und Bari und eine bei Arezzo. Alle drei nicht auf unserer Route. Unsere Wahl also: Versilia Ovest, 20 Minuten, 39 kWh, 31 Euro, Kosten pro kWh: 0.79 Euro. Gleichzeitig ein Panini von der Autobahnraststätte und weiter geht die Fahrt. Nun sollten wir bis zu unserem Hotel kommen und auch wieder zurück, mit einem hauchdünnen Rest, vorausgesetzt, wir fahren beim Hotel nicht noch allzu grosse Strecken.

Unser Hotel wollte uns mit einem Verlängerungskabel zur normalen Haushaltssteckdose aushelfen, was für die 107.8 kWh grosse Batterie natürlich gar nichts bringt und sich am EQS mittels fehlendem Adapter gar nicht erst anschliessen lässt. Die grosse Batterie kann übrigens, wenn man sich im Eco-Modus hält und dem «Eco-Assistenten» das situationsoptimierte Rekuperation überlässt, realistische 678 Kilometer Reichweite aufbringen. Damit haben wir sogar die WLTP Angabe von 676 km übertrumpft. Nur der PS-schwächere EQS 450+ ohne Allrad schafft mit 780 km (nach WLTP) noch mehr.

Da wir unsere Reise mit dem E53 Cabrio geplant hatten, war eine Lademöglichkeit beim Hotel keines unserer Auswahlkriterien. Ist man mit dem e-Auto unterwegs, sollte das jedoch ein wichtiges Kriterium sein. Die Rückreise und eine knappe Restreichweitenkalkulation zum nächsten Schnelllader lassen es uns nicht zu, das Auto für einen kurzen Ausflug ins nächste Ort zu entführen. Hotelrestaurant und Hotelbar müssen stattdessen dienen. Am Folgetag sieht die Welt wieder anders aus, leichter Sonnenbrand und ein kleiner Hunger bringen uns an der Küste entlang in ein nächstes Dorf. Tripadvisor zeigt gute Restaurants, Chargemap zeigt Ladestationen. Die bis zu 10-Grad mit- oder gegenlenkende Hinterachse und die guten 360-Grad-Kameras sind in engen italienischen Örtchen bei einer Fahrzeuglänge von 5.21 Meter sehr hilfreich.

In einem leicht-heruntergekommeneren Stadtteil, zwischen alten Waschmaschinen, spielenden Kindern und teils zwielichtigen Gestalten finden wir eine 22 kW Lademöglichkeit auf dem Parkdeck eines Supermarktes. Angekommen entpuppt sie sich als 11 kW Ladesäule, die eine weitere App mit erneuter Registration und erneuter Angabe aller Kreditkartendetails will. Alles erledigt, es lädt. Wir lassen den Mercedes zurück und machen uns auf den Weg in Richtung idyllischem Hafenörtchen. Einmal quer durch die Ortschaft, 2.5 km Fussmarsch. Eine sehr leckere Pizza, eine Gelati und diverse Espressi später, kehren wir zum Auto zurück. 3 Stunden Ladezeit, 33 kWh für 13 CHF. Bedeutet, 0.40 CHF pro kWh, das ist günstig! Laden bei Ionity kostet doppelt so viel, jedoch garantiert mit 100 Prozent regenerativem Strom. Schnell, total grün, aber halt teuer.

Optikcheck. Der EQS ist brav. Manche mögen ihn «rundgelutscht» nennen. Fest steht, im Gegensatz zu S-Klasse ist er weit zurückhaltender. Doch seine Form ist grösstenteils einem Rekord geschuldet. Der EQS ist nämlich Weltrekordhalter. Sein Design mit glattem Unterboden und meist geschlossener Kühlerjalousie, sowie die günstige Grundform mit Coupé-Dach und viel Länge waren eine gute Ausgangsbasis für die Strömungsoptimierung. Mit viel Akribie konnten die Aerodynamiker in enger Kooperation mit den Designern den neuen Rekord-cw-Wert 0,20 erzielen. Allein im virtuellen Windkanal wurden mehrere tausend Rechenläufe durchgeführt. Mercedes bietet zudem in den Grössen 19, 20 und 21 Zoll ein im Windkanal optimiertes Aerorad an. Von der guten Windschlüpfrigkeit profitiert die Reichweite. Auch beim Geräuschkomfort gehört er dadurch zu den Besten. Vorne wie hinten trägt der EQS ein durchgehendes Leuchtenband, eines der Erkennungszeichen der EQ-Linie von Mercedes Benz.

Der Innenraum. Als erster Mercedes-EQ basiert der EQS auf einer reinen Elektroplattform. Das lässt neue Möglichkeiten zu. Der sogenannte «MBUX Hyperscreen» ist ein durchgängiger Widescreen mit drei Monitorflächen in der Form einer Welle. Die Auflösung ist hervorragend, das Betriebssystem, wie schon in der S-Klasse gelobt, vorzüglich. Der 3D-Tacho ist optional erhältlich, war bei uns jedoch nicht verbaut. Im Gegensatz zur S-Klasse finden wir hier die bekannten Turbinendüsen der Lüftung, die mir weit besser gefallen (optisch und haptisch), als das Pendant im S 500. Die Sitze sind zwar auch mit den Kopfkissen ausgestattet, jedoch nicht ganz so üppig gepolstert wie in der S-Klasse. Der Komfort ist jedoch weiterhin vorzüglich.

Auch hier gibt es die animierte Ambietebeleuchtung, die auch in die Fahrassistenzprogramme eingebunden ist und im Notfall entsprechend ihre Farbe ändert, pulsiert oder blinkt. Wir kannten die Technik und einen Teil der Möglichkeiten bereits aus der S-Klasse, ansonsten hätte es weit länger gedauert, bis man sich in die Bedienung «eingefuchst» hätte, wobei die grundsätzlichen Fahrelemente sehr einfach verständlich angeordnet sind, jedoch die erweiterten Funktionen und ihre unzähligen Einstellmöglichkeiten dann schnell viel Aufmerksamkeit erfordern. Die Verarbeitung ist makellos, die Materialanmutung ebenfalls. Einzig die kleinen «Flügel», also die Aussenteile des «Hyperscreens», die bis an die Türe ragen, geben beim Anfassen Knarzgeräusche von sich.

Die Rückreise steht an. Die Mercedes-Me Dienste wurden nun freigeschaltet, so dass wir ohne Drittpartein-App die Route kalkulieren konnten. Mit unserer abendlichen Ladeaktion haben wir uns ein komfortables Polster eingekauft, so dass wir am Tag der Rückreise direkt Ionity Versilia Ovest ansteuern. Da die Ladesäule auf der gegenüberliegenden Autobahnseite liegt, müssen wir erst an ihr vorbeifahren, dann Maut bezahlen, von der Autobahn abfahren, wieder auf die Autobahn auffahren, Ticket ziehen, nächste Ausfahrt wieder runter, anstöpseln und die Aufladung starten. Neben uns parkt ein Mercedes EQC, daneben ein iX3 und mit uns sind so 3/3 der schnellen CCS Lader besetzt. Der ankommende Mustang Mach-E muss sich über 10 Minuten gedulden, bis er an eine freiwerdende CCS-Säule fahren kann. Wir haben in dieser Zeit ausgiebig gefrühstückt und fahren nach 29 Minuten und 69 kWh aufgeladenem Stromguthaben weiter. Preis: 55 Euro, pro kWh: 0.79 Euro. Als Abschluss, na wer erräts? Auf die Autobahn auffahren, nächste Ausfahrt runter, Maut bezahlen, wieder auffahren, neues Mautticket ziehen und dann geht es wieder in die richtige Richtung. Auch im Jahre 2021 müssen e-Autofahrer noch leiden.

5 Stunden und 395 km später erreichen wir den nächsten Ionity-Schnelllader in Bellinzona. Ein paar Snacks später, fahren wir weiter. 25 Minuten Ladedauer und 65 kWh zu 51 CHF. Preis pro kWh: 0.80 CHF. Der Gotthardpass ist unsere kleine OneMoreLap, ein Umweg auf dem der EQS auch mal noch sportlicher fahren darf, das Polster an Restreichweite ist gross genug. Fazit nach einigen Kurven: Die Beschleunigung ist gut (lt. Datenblatt: 4,3 Sekunden), ein Kurvenräuber ist es nicht, die Entschleunigung ist besser.

Das ist genau der springende Punkt. Der EQS kann noch besser «entschleunigen» als die S-Klasse. Er nutzt all die Vorteile, die ein Elektroauto konstruktionsbedingt mit sich bringt und verstärkt diese mit sinnvollen Massnahmen bis zu einem Punkt, bei dem das Elektroauto, in Sachen Komfort, dem Verbrenner deutlich überlegen ist. Dazu die grosse Reichweite macht den EQS zu einem sehr ernsthaften Automobil, was hinter einem leichten Technik-Overkill im Innenraum zeigt, was bei den Hardfacts grundsätzlich möglich wäre.

Was bleibt also?
Der EQS ist eine Freude für Geeks und Komfortverliebte. Er glänzt mit seinem Komfort, punktet mit dem futuristischen Innenraum und setzt dazu neue Massstäbe in Sachen Reichweite, die realistisch umsetzbar sind. Der Trend hin zu Software as a Service (SaaS) im Automobilbereich muss aber kritisiert werden. Ich möchte einsteigen und die Features meines Fahrzeuges nutzen können. Sofort.

Wer mit seinem Elektroauto auf eine längere Reise geht, sollte die Schnellladestationen im Auge halten, ein Hotel mit Lademöglichkeit aussuchen und sicherstellen, dass er Datenroaming, mehrere Kreditkarten und Geduld mit sich bringt. Wir haben pro 9 Stunden Fahrt, nochmals je rund 1 Stunde mit Laden verbracht. Das will einkalkuliert werden.

Wir haben leider kein Datenblatt zum Testfahrzeug bekommen, jedoch startet der Grundpreis für den EQS 580 bei CHF 165’400.– Unser Testwagen war mit 21″ AMG Leichtmetallräder im Vielspeichen-Design ausgestattet, dazu der AMG-Exterieurline.

Der OneMoreLap-Konfigurationstipp zur Optik:
Sodalithblau Metallic, (21″) AMG Leichtmetallräder im Vielspeichen-Design, Wärmedämmend dunkel getöntes Glas, Kühlerverkleidung mit Mercedes-Benz Pattern

3 Kommentar

Schreibe eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schliessen
Impressum & Datenschutzerklärung | Partner von: RINGLI.media © 2023. Alle Rechte vorbehalten.
Schliessen