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BMW S 1000 RR: Der schnellste Sporttourer

Offiziell gilt die BMW S 1000 RR als Supersportler. 207 PS, Stummellenker, alles klar… Aber die Münchner Rakete ist so bequem wie keine ihrer Klasse. Damit geht’s tipptopp auch auf Tour.

Als Schreibender provoziere ich gerne. Ein bisschen. Darum meine Etikette «Sporttourer» auf einem Motorrad, das als Rennstreckenfeile konzipiert wurde. Dazu hat die BMW S 1000 RR bestimmt beste Talente. Doch für die Strasse homologierte Supersportler haben bekanntlich die Schwäche, dass sie für den Gebrauch auf der Strasse kaum taugen. Deshalb haben sich die Münchner des Themas Fahrbarkeit angenommen, und zwar so gründlich, dass ich mir durchaus vorstellen könnte, mit ihr, versehen mit einem cleveren Gepäcksystem, auf grosse Tour zu gehen. Und dies, obgleich ich mich keines zarten Alters mehr rühmen kann und deshalb nicht mehr als gelenkiges Muskelwunder gelten darf.

S 1000 RR

Meine zwei ersten Gedanken beim Aufsitzen: Wie hoch! Wie bequem! Sitzbank und Lenkkopf/Lenker sind hoch angesetzt, vermutlich auch der Schwerpunkt, was schnelles Umlegen bei höherem Tempo begünstigt. Die Sitzposition versammelt-kompakt, aber nicht so frontlastig-anstrengend wie auf der Konkurrenz von Aprilia, Ducati, Yamaha und (seit Modelljahr 2020) Honda. Sitzbank hoch bedeutet, dass der 1,68-m-Autor beidbeinig grad die Zehenspitzen auf den Boden bringt, aber auch, dass der Kniewinkel recht offen ist. Damit kommen nicht nur Jockeys zurecht.

Bevor ich von der ultraschnellen S 1000 RR spreche noch kurz ein paar Ergänzungen zur Tourentauglichkeit (oder auch nicht). Eher hart im Nehmen sollte der Hintern sein, denn die Sitzbank ist dünn gepolstert; man kann es gefühlsecht nennen. Eher bescheiden ist der Windschutz. Eine höhere Scheibe sieht weniger schnittig aus, ist aber sowohl auf der Rennstrecke wie auf der Autobahn willkommen. Findet sich natürlich, wie so vieles andere, im Sonderzubehör.

Heizgriffe, Tempomat. Echt jetzt? Sicher doch!
Dafür Serie: Grosse Rückspiegel (wenn auch nicht verwackelungsfrei), Heizgriffe und Tempomat. Heizgriffe erlauben auch bei kühleren Temperaturen ungefütterte Sporthandschuhe (fördern also die Sportlichkeit des Piloten). Und der Tempomat entlastet die Gashand, die bei konstantem Griff unter den durchaus vorhandenen Vibrationen litte – BMW verzichtet beim Reihenvierer auf Ausgleichswellen. Cool übrigens, dass ein Schaltvorgang den Tempomaten nicht deaktiviert. Man kann also bei gleichbleibender Geschwindigkeit mit Zehendruck per Quickshifter die Schaltbox hochklicken.

Diese netten Features erhöhen die Touring-Qualitäten, doch sie nützten wenig, wäre da nicht die entspannte Ergonomie. Um es etwas zuzuspitzen: Für die Pilotage der meisten Supersportmaschinen empfiehlt sich vor Fahrtbeginn ein sorgfältiges Stretching. Als Vorbereitung auf die S 1000 RR genügt ein kurzes Schütteln der Glieder.

Wach hingegen sollte man sein. Wir haben hier ein Leistungsgewicht von mehr als 1 PS pro kg Fahrzeuggewicht. Das ist für knapp 20’000 Franken mehr, als ein 2,5 Millionen teurer Bugatti Chiron bietet. Um hiermit wieder einmal auf die soziale oder doch demokratische Seite des Motorrads hinzuweisen.

Die Testmaschine kostet 24’350 Franken. Die 4600 Franken zusätzlich werden fürs M-Paket (nicht zu verwechseln mit der zusätzlich lancierten M 1000 RR – dazu unten mehr) fällig. Zum M-Paket gehören die Dreifarben-Lackierung, zusätzliche Elektronikfeatures für den engagierten Zeitenfeiler, eine leichte Li-Ionen-Batterie und, anschwellender Trommelwirbel, Carbon-Räder!

Carbon-Räder machen aus dem Tiger eine Ballerina

193,5 kg vollgetankt, geringe rotierende Massen dank Kohlefaser-Räder. Kein Wunder, bewegt sich die S 1000 RR mit M-Paket so unpackbar agil. Davon profitiert der Sportler in allen Lebenslagen: Die Leichtfüssigkeit macht den Alltagseinsatz zum Kinderspiel, erzeugt flockiges Handling beim Pässefahren, und auf der Rennstrecke kann man schnelle Schikanen ohne übermässigen Krafteinsatz durcheilen. Während sich gewisse Supersportler nur mit Hanging-Off geschmeidig lenken lassen, kommt – bei mir jedenfalls – auf der S 1000 RR der Drang zum Rumhampeln gar nie auf.

Von den Qualitäten des elektronisch regelnden Fahrwerks weiss ich gar nicht viel zu berichten, denn es funktioniert schlicht wunderbar, beim Bummeln wie beim Brummen.

Bei allen tänzerischen Talenten interessiert bei einem Supersportler zuallererst, ob er auch marschiert. Nur, was soll da ein Tester berichten, wenn er es mit einem Fahrzeuggewicht von klar unter 200 kg und einer Motorleistung von 207 PS zu tun hat? Genau. Marschiert wie Hölle. Alles ausser die längste aller Zielgeraden oder ein freies Stück deutscher Autobahn stellen für diese Fahrzeugklasse keine Herausforderung dar.

Sehr wohl hat BMW den bekannt kernigen Vierzylinder markant weiterentwickelt. Mit neu in Steuerzeit und Hub variabler Steuerung der Einlassventile – über zwei unterschiedliche Nockenprofile – wurde das hochverdichtete Kraftpaket zukunftssicher gemacht. Ausserdem liefert der Shift Cam im für Normalsterblichen wichtigen Bereich zwischen 3000 und 8000/min mehr Drehmoment als zuvor, wie Messungen von Motorradmagazinen belegt haben.

Im schnöden Alltagsbetrieb fällt neben den Vibrationen eine gewisse Zipfeligkeit am Gas bei 3000/min auf. Lieber rollt man mit 2000 oder dann 4000/min rum. Im OneMoreLap-Test kam meist der Motoren-Modus Road zum Einsatz, der mit direkter, vor allem aber weicher Gasannahme glänzt.

Man lässt sich abfeuern
207 PS auf der öffentlichen Strasse auszufahren, ist für Menschen mit Gewissen nicht möglich. Grad noch mit meinem persönlichen Gewissen zu vereinbaren sind zwei, drei Starts von 0 auf … sagen wir mal etwas über 100. Auf einer übersichtlichen, geraden, wenig befahrenen Landstrasse. Die Launch Control schenk ich mir, in den Mappings greife ich zu Dynamik.

Ein paar 1000 Umdrehungen auf der Uhr, die Kupplung heftig einschiessen lassen… und die Elektronik den Rest überlassen. Die ersten 20 m vergehen ohne Drama, noch sucht der Reihenvierer die Drehzahlen. Und schon wird es arg. Der Motor beisst, das Vorderrad wird leicht, bleibt aber eine Handbreit über Boden. Man ist Pilot und Pilotierter zugleich. Egal, das ist heftigster Vortrieb, es öffnen sich die Tore zum Paradies. Oder zur Hölle, je nach mentaler Stabilität. Statt in längst illegalen Temporegionen den zweiten Gang einzulegen, drehe ich den Gasgriff zu. Hat nur Sekunden gedauert. Dennoch schnaufe ich durch. Nein, man braucht keine 200 PS fürs Biker-Glück. Aber solche Adrenalin-Momente sind schon ein grosses Tüpfelchen aufs i.

Die harte Realität: nur der 1. Gang…
Auch mit dem durchzugsstarken Vierzylinder der BMW ein Thema: die für Supersportler typisch lange Übersetzung. In der Anfahrt zum Jaunpass hänge ich mich an eine schmissig gefahrene Ducati Monster, die mich zuvor auf einer Geraden (Mensch, es gibt Tempolimits!) überholt hat. Wir fahren weitgehend im Duett, nur auf den ersten Metern nach Spitzkehren zoomt sich die Duc weg. Mein Fehler, auch eine S 1000 RR braucht in Haarnadeln den 1. Gang, sonst wird das nix. Ah übrigens, beim Gipfel-Kaffee offenbart sich, dass die Monster von einer gar nicht so jungen aber umso eleganteren Dame aus der Romandie pilotiert wird. Weder Alter noch Weiblichkeit schützen vor einer flotten Sohle…

Der bidirektionale Schaltautomat funktioniert fehlerfrei, gibt allerdings eher teigig Rückmeldung. Rätsel gab mir das Schalten mit Kupplung auf: Die Dosierbarkeit mässig, das Einlegen des Leerlaufs in kleines Kunststück.

Keine Rätsel gibt die Bedienung der Bordelektronik über Kontroll-Drehrad und den oft und zurecht gelobten, bestens ablesbaren 6,5-Zoll-Bildschirm auf. Vier verschiedene Darstellungsoptionen passen für unterschiedliche Einsatzzwecke – man will auf einer Rennstrecke andere Dinge sehen als auf öffentlichen Strassen beispielsweise. Immer gerne gesehen die Schräglagen-Anzeige, einerseits aktuell (bitte nicht hingucken) und maximale Schräglage anderseits (darf man in der Boxengasse oder am Ende der Tour gerne mal gucken).

Also, mein Verdikt ist einfach: Die BMW S 1000 RR ist eine sehr ansehnliche Rakete mit Langstreckenqualitäten. Was schon ein sehr breiter Einsatzbereich darstellt. Aber natürlich kann man Qualität stets noch steigern. Im Falle der Tausender in Form von Werkstuning:

Wie erwähnt fuhr ich die S 1000 RR in der edlen Version, sprich mit M Paket. Doch neuerdings geht es noch edler und natürlich teurer. Im vergangenen Herbst hat BMW das erste M-Motorrad lanciert, analog zu den vierrädrigen M-Modellen, genannt M 1000 RR.

Das erste BMW M-Motorrad
Für die M RR hat BMW nochmals tüchtig in die Trickkiste gegriffen. So steigt die Motorleistung über höhere Drehzahlen auf 212 PS. Schmiedekolben von Mahle und Titan-Pleuel von Pankl machen den Reihenvierer drehzahlfest und druckresistent, wie auch leichteren Schlepphebeln. Auch zwischen 6000 und 9000/min drückt die M entschieden härter ab als die S, zeigt BMW in Leistungskurven, während die edle M tieftourig sanfter zu Werke geht. Mit Rennstreckenübersetzung sollen 315 km/h Topspeed drin sein.

Im Rennsport inzwischen übliche Winglets liefern mehr Anpressdruck, die blau elexierten Bremsbacken sollen noch fadingfreier zupacken. Diese Liste liesse sich noch deutlich verlängern, doch überlassen wir das Studium der Details jenen, die auch bereit sind, mindestens 33’200 Franken für den Kauf der ersten M locker zu machen.

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1 Kommentar

  1. Verehrtester drDänu!
    Mit Genuss lese ich Ihre Zeilen. Aber schauen Sie doch bitte, dass der nicht unnötig durch Flüchtigkeitsartikelchen getrübt wird! Sonst gerne kurz vorab in meinen Briefkasten. Ich finde immer Fehler.

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