Suzuki belebt eine Legende der 1980er wieder: Die Katana ist kein Retro-Roadster, aber auch nicht topmodern. Quasi Vintage in modern, vom Fahrgefühl her aber doch ziemlich old school. Trotz konzeptioneller Rätsel ist das Japan-Schwert ein cooles Bike.
Eine Legende wiederzubeleben ist kein Garant für Markterfog. Suzuki hat die Katana letztes Jahr lanciert und damit keinen Bestseller gelandet. In der offiziellen Zulassungsstatistik 2019 findet sich das offiziell GSX-S 1000 S, geht vermutlich auf in die auch nicht mehr berauschenden Verkäufe der GSX-S 1000, auf dem die Katana technisch aufgebaut ist. Vielleicht liegt die Erfolgs-Ebbe ja in der Modellfamilie, denn schon die Ur-Katana war, obgleich viel beachtet, kein Verkaufshit und verschwand bald wieder aus dem Modellprogramm…
Die neue Katana, die ist wie ihre Vorgängerin, die GSX 1100 Katana, ein langes, ein hohes, ein grosses Motorrad. Jedenfalls für heutige Massstäbe. Wobei, das ist eigentlich ein optischer Trick. Denn technisch entspricht die Katana dem Naked Bike GSX-S 1000, und die wirkt, trotz gleichen Radstands und nur minimal niedrigerer Sitzhöhe, zeitgemäss kompakt.
Cool ist ja schon mal der Name. Kein Mischmasch von Ziffern und Buchstaben, sondern eine symbolhafte Bezeichnung. Als Katana wird ein japanisches Langschwert genannt, geformt aus zigfach gefaltetem und geschmiedetem Stahl. Es wird meist zweihändig geführt (ja, genau, wie Uma Thurman in Kill Bill). Zugegeben, kein Symbol reiner Friedfertigkeit, aber doch ganz fürs Töfffahren passend für kontrollierte Aggression.
Womit wir beim Design wären. Dieses ist mit der Form von Tank, Tankflanken und Scheinwerfer-Verkleidung der Ur-Katana nachempfunden, und die war tatsächlich ein langes Motorrad. Sie erinnere ihn an die Concorde (für jüngere Leser: das erste Überschall-Passagierflugzeug der Welt). Der Ansatz, einem Motorrad mittels Kunststoffteilen ein dezidiert anderes Aussehen zu geben, war damals, Anfang der 1980er, noch weitgehend neu.
Vom Motor ist wenig zu sehen. Nur die Zahl der Auspuffkrümmer weist auf die Natur des Triebwerks hin.
Heute hingegen sind die meisten «Naked» Bikes teilverschalt. Schon nur, um Kühler, Leitungen und Kabel bestmöglich zu kaschieren. Denn das ist der Unterschied von alt und neu, auch im Falle der Katana: Einst sah man viel Motor, mit schicken Rippen zur Kühlung und allenfalls einem kleinen Ölkühler.
Heute drängen die gesetzlichen Vorschriften zu flüssigkeitsgekühlten Aggregaten, und genauso sehen sie auch: wie Aggregate. Ausnahmen sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, der hübsch verpackte Twin der neuen Indian Challenger oder die piekfein gestalteten Honda-Vierzylinder ihrer Nakeds (650er und 1000er).
Wir aber haben nun die neue Katana. Mit einer spannenden Neuinterpretation der Designsprache, mit gechopptem Heck, einem ungewöhnlichen Kennzeichenhalter. Aber halt auch: Einem modernen Alugussrahmen, der optisch wenig hergibt und in Schwarz nicht weiter auffällt. Und einem Reihenvierzylinder, der richtig Dampf im Kessel hat, aber ohne Verdacht bleibt, hübsch zu sein. Das wollen wir ihm gar nicht vorwerfen, schliesslich wurde er hinter der Verschalung der GSX-R 1000 von 2005 geboren – dort fragte man weder nach optischem Spektakel noch mechanischer Schönheit. Folgerichtig lackiert Suzuki auch den 150-PS-Powerbrocken in diskret Schwarz.
In seinem grundehrlichen Wesen macht der 1000er aber allfällige kosmetische Makel wett. 178 PS bei 11’000/min lieferte das Racing-Triebwerk, mit leicht milderen Ventilsteuerzeiten und mit Euro 4 bringt es die Katana auf 150 PS bei 10’000 Umdrehungen. Im wahren Leben ist einfach immer viel Druck da, geht schon bei 2000/min los, hat irgendwo bei 4000/min eine leichte Verschnaufpause und drüber wird’s arg. Also gut. Die Getriebe-Untersetzung ist für einen solchen Kraftwürfel recht kurz, was für die Landstrasse wunderbar passt und es erlaubt, schon bei legalem Tempo ausserorts bedenkenlos den 6. Gang einzuwerfen. Mach ich sonst nur selten, denn meist muss man ja grad wieder überholen. Kann die Katana auch im grossen Gang.
Tieftourig geht der Motor minimal verzögert ans Gas, aber dort wo man ernsthaft fährt, sind die Lastwechsel vernachlässigbar. Vibrationen schon ab mittlerer Drehzahl machen klar, dass trotz breitem Drehmoment-Plateau kein Elektromotor drückt. Im Regelfall gefällt dieser Charakterzug, nur bei Konstanttempo beispielsweise auf der Autobahn beginnt es in den Händen und dem Allerwertesten spürbar zu kribbeln, eben auch wegen der relativ kurzen Endübersetzung. Aber die Katana ist ja nicht für Fernreisen konzipiert.
Dazu fehlen Möglichkeiten, Gepäck zu verstauen (kurze Sozius-Sitzbank, keine Befestigungshaken). Aber auch die Batterie, pardon der Tank ist klein geraten. Der Designer wollte nur 12 Liter zugestehen, und so ist es nun. Mit einem Verbrauch um 5 Liter auch bei frohem Fahren sind dennoch gut 200 km drin. Hier geht die Form vor Funktionalität.
In der Ergonomie hingegen macht Suzuki kaum Kompromisse. Anders als ihre Urahnin – tiefe Sitzbank, hohe Lenkerstellung – bietet die Katana eine entspannt neutrale Position. Die Sitzbank ist recht hoch, was den Kniewinkel öffnet. Der einteilige Lenker ist breit und hoch und etwas weiter vom Fahrer entfernt als auf den meisten heutigen Roadsters.
Damit bringt der Pilot etwas weniger Druck aufs Vorderrad, als Sportliche es möchten. Mit der Folge, dass die Front zuweilen etwas mehr in Bewegung ist als nötig scheint, wie bei Motorrädern mit längeren Federwegen. Das liesse sich womöglich mit Einstellarbeit an den Federelementen optimieren, doch dazu fehlte beim Test im regnerischen Juni die Zeit.
Davon abgesehen passt das Setup. Richtungswechsel gehen leicht, wenngleich nicht zackig von der Hand. Die Katana ist kein Leichtfuss, sondern eine ausgewachsene Tausender. Sie taucht neutral in Schräglage und bleibt auch dort ohne Nachkorrekturen. Der Dunlop Roadsport 2 grippt verlässlich, die Aufstellneigung beim Bremsen in Schräglage bleibt beherrschbar und so flutscht man mit viel Vertrauen durchs Kurvengewühl. Der Kontakt zum Töff über die Tankflanken ist gut. Bei meinen kurzen Armen rutsche ich natürlich weit nach vorn mit der Folge, dass die Rahmenrohre im Kniebereich zwicken. Piloten über 175 cm dürfte dies erspart bleiben.
Insgesamt vermittelt die neue Katana den Eindruck eines soliden, stabilen, gewichtigen und doch einfach fahrbahren Roadsters. Das ist ein wenig «old school», wie auch Kupplung und Bremsen, die mehr Handkraft benötigen als heute üblich, daneben aber tadellos funktionieren. ABS regelt sämig, das Heck bleibt stets am Boden.
Die Traktionskontrolle lässt sich einfach, auch im Fahren, in drei Stufen ein- oder auch ganz abstellen (Einradfahrer schätzen dies). Auf Stufe 3 greift die Rutschkontrolle stark ein, hält den Vortrieb am Kurveneingang spürbar zurück. Auf Stufe 1 hingegen gibt sich die TC so diskret, dass mein Mut nicht ausreicht, um das entsprechende Warn-Lämpchen zum Glühen zu bringen…
Von der Traktionskontrolle abgesehen ist Design-Suzuki noch stark im analogen Zeitalter verhaftet. Gas gibt man noch über einen Kabelzug, Motormodi, Kurven-ABS, elektronisches Fahrwerk etc. sind nicht verfügbar. Vermisst man nicht wirklich, weil die Primärtugenden des Motorrades stimmen, doch in die Zukunft weist ein so konsequenter Verzicht moderner Technik halt auch nicht.
Dazu passend inspiriert sich die LCD-Anzeige an den uncharmanten Displays im Fiat Tipo der 1990er Jahre. Da wäre etwas mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Zutaten nicht falsch. Schliesslich ist die Katana mit Fr. 15’495 nicht überteuert, aber gewiss auch kein Sonderangebot – die konsequenter durchgestylte Kawasaki Z 900 RS mit nur unwesentlich weniger Motorenbumms ist ab Fr. 13’500 zu haben.
Wobei diese Kawa eher ein Vintage-Roadster, die Katana aber eine moderne Neuinterpretation des Alten darstellt. Suzuki hätte einen ähnlichen Weg wie Kawasaki gehen können, in gewisser Weise sogar einen konsequenteren: Stahlrohrrahmen, Stereo-Federbeine und luftgekühlter Motor aus der GSX 1400, das Triebwerk für Euro 5 fit machen und so die Katana als Vintage-Drehmoment-Monster (Stichwort: nutzbare Landstrassen-Leistung) neu positionieren. Doch das wäre mit viel Ingenieursarbeit verbunden gewesen, zu der man bei Suzuki Motorcycles nicht oder besser seit der Finanzkrise 2008/2009 und den damals riesigen Verlusten nicht mehr bereit ist. Als einzige echte Neuentwicklung der letzten Jahre fällt mir die 2017 lancierte GSX-R 1000 mit neuem Motor (variable Ventilsteuerung) ein.
Zuletzt noch ein Wort zum derzeit mit am heissest diskutierten Thema in der Motorradwelt: Der Motorensound, anderswo auch Lärm genannt. Das österreichische Land Tirol hat für einige Strecken ein Fahrverbot für «besonders laute» Motorräder für den ganzen Sommer verhängt. Wie sich ein Töff das Prädikat laut verdient? Nicht etwa mit Illegalität, sondern mit einem dokumentierten Standgeräusch von mehr als 95 dB. Diesen Wert reissen heute viele neue Modelle, obschon sie die für die Homologation nötige Durchfahrtsmessung schaffen. Auch die Katana fällt mit ihren offiziell 99 dB Standgeräusch in die im Tirol verbotene Klasse. Selbst Anwohner müssen solche Bikes in der Garage lassen. Früher galt mal der Grundsatz: Ist ein Fahrzeug homologiert, darf es auch genutzt werden, unbesehen des Alters. Diese Bestandsgarantie wurde schon mit den Umweltzonen ausgehebelt. Da traf es ältere Autos mit höheren Emisisonsgrenzwerten; im Tirol nun greift man sogar aktuell käufliche Töff an.
Interessanterweise habe ich am Testmotorrad lediglich 92 dB – also massiv weniger als eingetragen – gemessen. Okay, nur mit einer Dezibel-App auf dem Smartphone, aber die hat sich in der Vergangenheit schon als recht genau entpuppt. Ich habe ausserdem auch mehrere, nicht motorradaffine Passanten gefragt, wie der Töff denn klinge. Und alle sprachen von angenehm bassigen, diskreten Sound. Rollt man mit 2000 bis 3000/min durchs Dorf, werden sie sich auf den Balkons erfreut zurufen: «Der Brummelbär ist wieder da.» Das ist dann schon doppelt frustrierend: Die Katana klingt angenehm und scheint erst noch leiser als die Werksangabe und muss um die gesperrten Strassen in Tirols Ausserfern dennoch einen weiten Bogen fahren…
Künftig wird OneMoreLap das Standgeräusch nominell und gemessen in die technischen Daten aufnehmen. Nur so als Richtwert und auch im Hinblick auf mögliche künftige Fahreinschränkungen. In Österreich werden Lärmgegner bestimmt gespannt das Vorpreschen von Tirol beobachten und auch Deutschland ist einiges im Gang. Bleibt zu hoffen, dass das Tiroler Modell nicht Schule macht. In einer Umfrage haben die Anwohner der lärmbelasteten Strecken klar zu Protokoll gegeben, dass vor allem hochdrehende Motoren als lärmbelastend empfunden werden. Dem aber ist über die Messkrücke Standgeräusch nicht beizukommen, nur mit einem Umdenken und entsprechender Rücksichtnahme der Bikerinnen und Biker.
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