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Mercedes-AMG EQE 43 4MATIC

Von Fortschritt, negativer Beschleunigung und Verzicht. Wir sind den neuen Mercedes-AMG EQE 43 4MATIC gefahren, die sportliche Interpretation der elektrischen Oberklasse-Limousine Mercedes-Benz EQE, also eine Stufe unter dem ebenfalls von uns gefahrenen Mercedes Benz EQS 580 – wir erinnern uns.

Schauen wir uns erst die technischen Daten an: Der Mercedes-AMG EQE 43 4MATIC verfügt über 476 PS, bis zu 858 Nm Drehmoment, beschleunigt in 4,2 Sekunden auf Tempo 100 und weiter bis zu 210 km/h abgeriegelter Höchstgeschwindigkeit. Der nutzbare Teil der Batterie ist 90.56 kWh gross, die maximale Ladeleistung liegt bei 170 kW. Aufladen soll von 10-80% am Schnelllader in 32 Minuten passieren, die Reichweite wird im WLTP Zyklus mit bis zu 533 km angegeben. Soweit die trockenen Daten aus dem Datenblatt.

Theorie und Praxis sind zwei paar Schuhe. Die Reichweite war bei uns mit Komfortverbraucher (Klimaanlage etc.) bei 100% jeweils zwischen 380 km und 450 km, je nach vorangegangener Fahrweise. Klima aus, keine Heizung und alles in Eco haben wir einmal sogar 480 km gesehen. Ordentliche Werte, bedenkt man die übliche Differenz zwischen Realität und WLTP-Angaben in kälteren Jahreszeiten.

Der 43er AMG möchte aber mehr sein, als seine leistungsschwächeren Brüder, die gleichermassen mit etwas mehr Reichweite punkten können (EQE 300, bis zu 626 km, EQE 350+, bis zu 672 km, EQE350 4MATIC, bis zu 583 km, EQE 500 4MATIC, bis zu 581 km – alle Werte nach WLTP) und das spürt man. Auf unserer Testfahrt mussten wir relativ früh verhältnismässig stark bremsen und die optionalen AMG Keramik-Hochleistungs-Bremsanlage ankert aber sowas von kompromisslos, dass wir gleich wussten, dass die etwas über 5’000 CHF teure Option eine gute Investition ist.

Allgemein ist die Bremse ein sehr lobenswerter Punkt. Der Übergang zwischen Rekuperation und Einsatz der „richtigen“ Bremse ist bei sportlichen Elektroautos oft ein Knackpunkt. Es ist schwierig ein Bremsgefühl zu modellieren und dabei den Fahrer den Übergang im Pedal „spüren“ zu lassen. Genau da haben die Ingenieure von AMG angesetzt und den Bremskraftverstärker so modifiziert, dass er früh ein sportliches „Beissen“ simuliert und so das oftmals gefühlslose und lange Bremspedal der E-Autos eliminiert. Die 440x40mm grossen Bremsscheiben gibt es übrigens nur in Kombination mit den 21-Zoll-Felgen, Schnelligkeit erfordert auch Bremsenpower. Negative Beschleunigung.

Ist der Rest vom Fahrverhalten auch so AMG’ig wie die Bremse? Power haben alle Elektroautos in dieser Leistungsklasse, das müssen wir nicht mehr erwähnen, aber viele mögen Kurven nicht so wirklich. Hier ist der EQE 43er eine Ausnahme. Er kann sein Gewicht lange kaschieren, setzt den tiefen Schwerpunkt gut ein, lenkt Hinterachs-betont aus der Kurve und man merkt, dass auch hier Hand angelegt wurde. Genauer wurden AMG-spezifische Radträger, Fahrwerkslenker und Querstabilisatoren verbaut. Der Hinterachsträger ist am Karosserie-Rohbau mit 50 Prozent steiferen Lagern und reduziertem Lagerspiel verbunden. Resultat: Eine höhere Steifigkeit und die sonst so schwebende „Entkopplung“ des Asphalts wurde rückgängig gemacht. Zusammen mit den 21-Zoll grossen Felgen poltert es da ab und an schon mal, trotz Drei-Kammer-Luftfederung, aber in jeder Kurve freut man sich über die nachgewürzten Komponenten der Ingenieure von AMG. AMG steht übrigens für die beiden Gründer (Hans-Werner) Aufrecht, (Erhard) Melcher und (dem Gründungsort) Grossaspach.

Ein leidiges Thema sind die „sportlichen“ Geräusche oder auch die „AMG Sound Experience“ –  verschiedene Soundprogramme, die das Soundsystem mithilfe von speziellen Lautsprechern, Bassaktuatoren und einem Soundgenerator erstellt. Ganz lustig, um das mal anzuhören. Es beginnt beim Entriegeln und wird immer präsenter, je sportlicher der Fahrmodus ist oder natürlich der Gaspedal-Input. Ich bleibe dabei: Um Fahrradfahrer oder Spaziergänger zu warnen ist das manchmal ganz sinnvoll, aber zur Bespassung nach Innen ist es nach wenigen Metern nur mühsam. Gut kann man das über die individuell belegbaren Tasten am Lenkrad zügig an- und abschalten. Mein Vorschlag wäre jedoch, das gesamte Innenraum-AMG-Soundexperience-System inklusive den Kabeln aus dem Auto werfen, um sich einigen Kilos des speckigen Leergewichts von 2’525 kg entledigen zu können. Radikal, ich weiss – für das ist normalerweise unser Kollege bei radical-mag.com zuständig, aber heute sind wir ehrlich. Verzicht.

Ehrlich müssen wir sowieso mal sein. Es ist Zeit für den „Elephant-in-the-room“. Der 43er hat einen grösseren Bruder. Den EQE 53 AMG. Dessen Basispreis ist nur CHF 6’100 teurer, dafür gibt es ganze 149 PS mehr, also 626 PS oder sogar 687 PS (mit Dyn. Plus Paket für weitere 4’984 CHF) und 950 / 1000 Nm Drehmoment bei kaum schwächerer Reichweite und gleichem Gewicht. Er bekommt auch AMG-spezifische E-Motoren mit angepassten Wicklungen und Blechpaketen, höheren Strömen und spezifischem Inverter. Wo liegt also der Reiz am 43er? Gute Frage. Für mich hört sich das PS/CHF Aufpreisniveau von nur rund 41 Franken pro PS verlockend an, besonders kombiniert mit dem wohl besseren Werterhalt.

Aber zurück zum 43er AMG. Optisch ist er weiterhin deutlich als EQ-Familienmitglied erkennbar. Es fällt schwer Ecken und Kanten zu finden und nur die AMG-Spoilerlippe am Stummelheck bringt etwas Schärfe ins Land der cW-optimierten Rundungen mit. Weitere AMG-spezifische Erkennungsmerkmale sind der schwarze Grill vorne mit vertikalen Streben und integriertem Mercedes-Stern, sowie die AMG-Projektion der Scheinwerfer-Show bei Ent- und Verriegelung. Hier etwas mehr Lufteinlässe, da einige Zierteile in Hochglanzschwarz und zum Schluss ein schöner Diffusor, fertig ist der AMG-isierte EQE. Mit den 21-Zoll-Felgen, die ebenfalls aerodynamisch optimiert sind, wirkt das weiterhin wie ein entflohener Prototyp im Jogginganzug, der seinen Weg aus dem Affalterbach’schen Experimentierkeller gefunden hat.

Innen dominiert der optionale MBUX Hyperscreen für knappe CHF 9’000 Aufpreis. Überragend an Darstellung mit Augmented Reality und, nach einiger Eingewöhnungszeit, auch gut zu bedienen. Die Schaltflächen sind alle sehr gross und entsprechend einfach anzusteuern mit den Patschefingern. Die Spannweite der drei Bildschirme beträgt übrigens 1.4 Meter. Gut gefallen haben uns die frei-konfigurierbaren Tasten am Lenkrad im „Manettino“ Stil, also wie ältere Ferrari-Modelle, die als Pioniere ihre Funktionen mittels Drehschalter ans Lenkrad verlegt haben. Die Touchflächen auf dem Lenkrad für die Bedienung, naja. Ich mag scrollen, drehen und drücken doch noch besser als swipen und touchen, vor allem im sportlichen Umfeld auf einer OneMoreLap.

Die AMG-Sitze, das Sportlenkrad, Sportpedalen, Fussmatten und Lenkradtasten sind auffallend und bedürfen keiner Kritik, rücken allerdings nicht so wirklich in den Vordergrund. Die Ergonomie ist weiterhin näher an einer E-Klasse als an einem Porsche Taycan. Der Wow-Effekt im Innenraum überlässt man der Technikshow. Am Tag von Halloween kommen „over-the-air“ Kürbisse in die Bildschirme, nachts gibt es eine gigantische Show an Lichteffekten. Es gibt zwar auch einige AMG-spezifische Bildschirmansichten, aber das ist bei weitem nicht so ausgeprägt wie beispielsweise die Einstellmöglichkeiten der Ambientebeleuchtung. Selbst bei VW lassen sich mittlerweile die Dämpfer per Touchregler genauer justieren als hier. YouTube-Influencer freuen sich, Fahrenthusiasten weniger.

An Fahrassistenten hingegen mangelt es nicht. Im Gegenteil, ganz wie der EQS ist Mercedes-Benz hier führend und auch beim EQE 43 sind sie alle vorhanden. Um einige aufzuzählen: Aktiver Abstands-Assistent DISTRONIC, Aktiver Lenk-Assistent, Verkehrszeichen-Assistent, Aktiver Spurhalte-Assistent, Aktiver Spurwechsel-Assistent, Aktiver Nothalt-Assistent, ATTENTION ASSIST, Aktiver Brems-Assistent mit Kreuzungsfunktion, Aktiver Totwinkel-Assistent und Ausstiegswarnfunktion, Ausweich-Lenk-Assistent – das alles begleitet von übersichtlichen Grafiken im Fahrerdisplay mit klaren Anweisungen, wann der Fahrer Inputs geben soll. Vorbildlich. Gefällt!

Ein weiteres Beispiel an Vernetzung wurde uns aufgezeigt, als der EQE 43 Opfer von einem kleinen Parkrempler wurde. Ein Dritter fuhr unabsichtlich rückwärts in unseren Testwagen und der EQE hat uns beim Einsteigen sofort benachrichtigt und Umfeldaufnahmen 360-Grad um das Fahrzeug herum nur Momente nach dem Aufprall erstellt. Das ist Teil des Paketes „URBAN GUARD Fahrzeugschutz Plus“ und kann einen echten Pluspunkt darstellen, wenn man unverschuldet Opfer einer Beschädigung wird und über die digitale Spurensuche den Verursacher finden möchte. Fortschritt.

Was bleibt also?
Der EQE 43 verknüpft bekannte sportliche Attribute der AMG Modelle mit dem futuristischen EQE und schafft somit Wiederkennungswerte für Umsteiger. Smart und connected. Hört sich an wie eine Werbung für einen Fernseher und fühlt sich manchmal auch so an. Man sitzt einer 1.4 Meter breiten Displayfront gegenüber und wird von künstlichen Klängen bedudelt, je mehr man beschleunigt, desto lauter. Auch wenn er sich bemüht, gut um die Ecken düsen zu wollen und fantastisch verzögert, schlussendlich konvertiert Mercedes-AMG hier einen sehr komfortablen Techniker mit nächtlichem Show&Shine Flair zum Sportler. Gelingt zwar, aber für Fahrenthusiasten gibt es bessere Alternativen. Wer Reichweite, Komfort und ein Technikfeuerwerk sucht, ist bei den normalen EQE-Modellen sicher sehr gut aufgehoben. Wer allerdings Fahrspass und Technikfeuerwerk kombinieren möchte, ist hier goldrichtig.

Grundpreis: CHF 121’100, Gesamtpreis inklusive aller Optionen: CHF 156’926. Exterieurfarbe „Spektralblau Metallic“

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