Das letzte Genesis-Modell hat uns im Test begeistert, jedoch beim Motor einiges an Potenzial offengelassen. Nun kommt der etwas kleinere Genesis GV70 mit reinem Elektroantrieb und 490 PS, macht er nun alles richtig?
Der Genesis GV70 zielt auf das Boom-Segment der kompakten SUV ab, also Porsche Macan, BMW (i)X3, Audi Q5 – wir kennen sie und sehen sie an jeder Ecke. Der Koreaner erhält nun, nebst 2,2 Liter Dieselmotor (201 PS) oder 2,5 Liter Turbo-Benzinmotor (304 PS), noch einen 490 PS starken Elektroantrieb, der mittels zwei Motoren (einmal an der Hinterachse, einmal an der Vorderachse) zum Kampfpreis neue Marktsegmente erobern soll.
Gelingt Genesis das? Bisher sieht es vielversprechend aus. Genesis hat im Jahre 2022 in der Schweiz gesamthaft 487 Fahrzeuge neu eingelöst und somit den Marktanteil auf 0.2% erhöht. Genauer haben die Koreaner in der Schweiz zwischen Januar und Dezember 2022 56 Stück G70 verkauft,36 Stück G80, 168 Stück GV60, 174 Stück GV70 und 53 Stück GV80. Unser Testwagen ist also mit all seinen Motorisierungen der Bestseller.
Zum Vergleich: Lexus hatte 2022 auch nur 539 Neueinlösungen, Jaguar nur dessen 552. Bei Emil Frey hat mal also alle Gründe, einmal leer zu schlucken, wenn eine Marke innert zwei Jahren das schafft, was Lexus seit Markteintritt im Jahre 1990 mühsam aufgebaut hat.
Und mit dem Genesis GV70 Electrified sind sie absolut auf der goldrichtigen Spur. Während Porsche mit dem Elektromacan weiterhin verspätet ist, trumpft Genesis mit ultraschnellem 800 V-Ladesystem, guter Reichweite (dazu später mehr), mehr als genügend Leistung und zügiger Beschleunigung, alles verpackt in einer luxuriösen Hülle, die «interessant» wirkt. Das ist mir während zwei Wochen Genesis-Erfahrung immer wieder präsent geworden. Passanten haben mich angesprochen, zu welcher Luxusmarke dieses Auto gehöre und fanden das Konzept stimmig und «interessant». Nachbarn, denen ich den Innenraum gezeigt habe, fanden es stimmig und sehr hochwertig, haben den Genesis fast auf den doppelten Kaufpreis geschätzt, den er effektiv hat. Es fällt auf, wie wir Schweizer gerne sagen: «Es verhebed».
Das beginnt bei der Auslieferung, die bei Genesis generell über eine Haustürlieferung abgehandelt wird und das ist etwa kein Journalisten-«Schöggeli», nein, auch bei normalen Kunden werden die Fahrzeuge für Probefahrten oder später bei Wartungsterminen an der Haustüre abgeholt. Das hat bei uns nun schon viermal absolut perfekt funktioniert.
Die erste Testfahrt ist vielversprechend. Das aktive Noise-Cancelling fällt als erstes positiv auf. Trotz grosser Räder (20-Zoll) ist die Ruhe im Innenraum überdurchschnittlich angenehm. Elektromotor-typisch hängt der Genesis gut am Gas, natürlich auch abhängig vom gewählten Fahrmodus stürmt er direkt oder noch direkter los. Im Alltag hat man stets 436 PS abrufbar und über einen «Boost»-Knopf am Lenkrad werden dann für 10-Sekunden die vollen 490 PS entfaltet. Im Boost-Modus geht es übrigens in nur 4,2 Sekunden von null auf 100 km/h.
Die grundsätzliche Fahrwerksausrichtung ist komfortabel. Sucht man das Haar in der Suppe, kann man dem GV70 einen etwas geringen Spagat zwischen den beiden Dämpferabstimmungen vorwerfen. In Sport ist die Lenkung etwas direkter, die Dämpfer etwas straffer, aber weder beim Einlenken, noch in Kurven ist besonders viel Feedback da. Im Gegenteil, die Neigung ist spürbar und so will man gar nicht erst in den Bereich vordringen, in dem man spüren würde, dass die Kraft mit Fokus auf die Hinterachse verteilt wird. Nein, zurück in den Komfortmodus, hier ist alles prima. Fast alles, wie schon beim GV80 sind auch hier die optionalen, grösseren Räder verbaut, die kleine Unebenheiten bei tiefer Geschwindigkeit etwas gar unkomfortabel überfahren. Fährt man über 60 km/h wird das deutlich unauffälliger und das gesamte Fahrverhalten ist entspannt und komfortabel.
Das gefällt mir, wir fahren hier schliesslich kein Fahrzeug mit Sportabzeichen, sondern die «normale» Ausbaustufe. Es wird ja gemunkelt, dass der sportive IONIQ 5 als «N» ebenfalls diese Leistungsstufe bekommen soll, da die Fahrzeuge allgemein sehr eng verwandt sind, wäre das gut möglich und dann wäre unser Wunsch nach einem «Kurvenfresser» wohl da besser aufgehoben als in unserem leistungsstarken, aber komfortablen Kompakt-SUV.
Das ist tatsächlich auch eine beliebte Nische, vor allem in der leistungsverliebten Schweiz, die gerne PS-starke Fahrzeuge hat, aber nicht unbedingt das Schütteln und Rütteln der sportivsten Fahrwerksabstimmung, wobei leider viele Hersteller Leistung auch immer mit modifiziertem Fahrwerk verbinden.
Kleiner Aussencheck. Die geteilten Frontscheinwerfer als klares Genesis-Erkennungszeichen, der grosse, ausgefüllte Kühlergrill, der auch die Ladebuchse verbirgt und die sportliche Linien von der Haube bis zum Heck, die den GV70 breit und athletisch wirken lassen. Mir gefällt die Front ausserordentlich gut, auch das minimalistische Heck, nur die Seitenansicht mit der markanten C-Säule kann ich bis heute nicht nachvollziehen.
Der Innenraum ist eines der Highlights an diesem Auto. Obwohl wir nicht die optionale Nappaleder-Ausstattung in unserem Testwagen hatten, war der Innenraum ein Vorzeigebeispiel für Haptik und Optik. Jeder Schalter, jedes Wählrad, die Lenkradtasten, die Klimabedienung sind intuitiv, wunderbar anzufassen und reagieren prompt. So auch der grosse 14.3-Zoll Touchscreen, der uns sogar Geländemodi auswählen liess. Gefällt.
Wie beim GV80 waren auch hier eine Vielzahl von Assistenten an Bord. Totwinkelassistent mit Anzeige des Totwinkels im digitalen Tacho, Frontkollisionsassistent, Spurfolge- und Halteassistent, Aufmerksamkeitsassistent, Frontbeleuchtungsassistent, Abstandhalteassistent, sowie ein navigationsbasierter intelligenter Tempomat. Zusätzlich auch noch ein automatischer Parkassistent, den man auch über den Schlüssel aktivieren kann und so den Genesis aus sicherer Entfernung in eine Parklücke oder heraus manövrieren kann. Nervig auch hier, die Vielzahl der Töne. Zündung an: Es kommt koreanische Musik, dasselbe bei Zündung aus (lässt sich aber deaktivieren). Nicht deaktivieren lassen sich leider allerhand Warntöne, z.B. beim ferngesteuerten Öffnen der Heckklappe oder wenn der Spurhalteassistent die Spur aufgrund fehlender Markierungen verliert.
Die Reichweite und das Aufladen. Wie schon beim IONIQ 5 kann der GV70 Electrified bidirektionales Laden. Heisst: Wir können über eine Haushaltssteckdose im Kofferraum Geräte anschliessen oder auch aussen über die Ladebuchse, rein theoretisch, andere E-Autos aufladen. Dank dem 800-V-Ladegerät verspricht Genesis, dass am 350 kW Lader in nur 18 Minuten von 10% auf 80% geladen werden kann. Nun, dafür muss allerdings die Batterie optimal vorgewärmt sein, was wir in unserem Test nicht beachtet haben. Am 350 kW Lader haben wir bei 6-Grad-Aussentemperatur von 33% auf 80% in 27 Minuten geschafft und von 33% auf 100% in 52 Minuten. Die maximale Reichweite gibt Genesis mit 455 Kilometern an, wir hatten, ebenfalls bei winterlichen Konditionen, maximal 407 km Reichweite in Eco, 395 km in Normal und 384 km in Sport, das alles ohne Klimaanlage. Aktiviert man diese, verliert man sofort erneut etwa 50 km.
Was bleibt also?
Im IONIQ 5 habe ich nach einem etwas hochwertigeren «Look & Feel» gesucht, im Genesis GV80 nach einem stärkeren Motor, hier habe ich beides gefunden. Der Genesis GV70 Electrified ist mein aktueller Kauftipp in seiner Klasse und seinem Preisbereich. Eine sehr hochwertige, komfortable und leistungsstarke Neuerscheinung, die den Reiz am «Neuen» sehr gut umsetzt und mit 5 Jahren Vollgarantie, 5 Jahren gratis Service und 5 Jahren Bring- und Abholservice eine tolle Alternative bietet.
Wir haben über die gesamte Testdauer im sportlichen Schnitt 24.8 kWh/100 km verbraucht. Unser Testwagen war in „Mauna Red“ konfiguriert, mit einem Basispreis ab CHF 72’100, Testwagenpreis inkl. Optionen: CHF 85’050.
Der OneMoreLap-Konfigurationstipp:
Aussenfarbe „Uyuni White Metallic“, 19″ Leichtmetallräder, Nappaleder mit Steppungen Obsidian Black.
Weitere Impressionen: