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Husqvarna Vitpilen 701: Kein Firlefanz

Die Verheissungen des Marketings funktionieren eben doch: ich fühle mich gerade echt hip, urban-modern und ein bisschen rebellisch, dabei zähle ich gemäss Taufschein 55 Jahre und wohne auf dem Land. Aaaber… ich sitze auf einem Vehikel, das durch alle Poren urbane Coolness atmet. Und ich gleich mit, oder?!

Das Wundermittel der Verwandlung heisst Husqvarna 701 Vitpilen, ein ausserhalb gängiger Töff-Konventionen gestyltes Motorrad der Marke mit schwedischem Stammbaum.

Ich ballere (gemütlich, aber der Einzylinder ballert halt, sorry) mit dem Einzylinder-Café Racer durch Frauenfeld, was wohl nicht ganz so angesagt ist wie New York oder Hong Kong, aber das passt schon.


Die Kapitale des Thurgau als OneMoreLap? Klar doch, diese Lap ist keine stumpfe Standard-Runde, man muss den Testparcours dem Gefährt anpassen. Und diese Husqvarna gehört nun mal downtown, keine Frage, und sei es „nur“ downtown Womensfield! Und da fühlt man sich mit der Vitpilen (das schwedische Wort für weisser Pfeil) durchaus wohl.

Dabei wäre es falsch, die «grosse» Vitpilen (es gibt auch eine „Kleine“, die 401 Vitpilen) einfach als Design-Töffli abzutun, denn sie fährt richtig gut. Die Sitzposition ist längst nicht so angestrengt langgestreckt, wie andere Neu-Café-Racer. Auf der Vitpilen sitzt man versammelt kompakt und greift zu Lenkerstummel, die am hoch sitzenden Lenkkopf angebracht sind. Man möchte jetzt nicht unbedingt bis ans Nordkap fahren, aber eine Tagestour sollte keine Tortour werden.

Die Sitzbank hat zwar die Anmutung einer Holzplanke, doch in der Roadstersitzposition federn die Beine mit und entlasten den Hintern. Summa summarum kommt man selbst als Ü50 ohne Nackenstarre und schmerzender Gelenke durch den city traffic. Sehr gut, denn es ist absolut uncool, mit erkennbar steifen Gliedern vom coolen Bock zu steigen!

Funktional ist also vieles im Lot an diesem Designstück, nur nicht für bierbäuchige Hünen. Die Vitpilen hat man (bildlich gesprochen) von weitem kommen sehen: Lange bevor der weisse Pfeil letztes Jahr erstmals zu fahren war, machte Husqvarna den Zweiradenthusiasten mit Designstudien den Mund wässrig. Ein Fahrgerät für den urbanen Menschen mit eigenem Stil sollte es werden. Anders als heutzutage üblich setzten die Schweden – pardon, die Österreicher, dazu gleich mehr – nicht auf Retro-Look, sondern auf gestalterische Modernität. Kühles Schwedendesign frei von Chrom- und Formenbarock. «Pur» ist ein Wort, das Husqvarna häufig auf den weissen Pfeil und das Schwestermodell, den schwarzen Pfeil (Svartpilen) anwendet.

Ganz so clean wie die Konzeptfahrzeuge konnte die Vitpilen (und die 2019 lancierte Svartpilen – mit höherem, breiterem Lenker) nicht geraten. So wurde der von KTM übernommene und vielfach gelobte Einzylindermotor mit seinen Schläuchen und Kabeln nicht unbedingt für ein Dasein gänzlich im Freien geboren. Ausserdem finden sich am weissen Pfeil nebst feinen Teilen auch billige Plastikschalter aus der Massenproduktion.

Mein Probegalopp führte durch Frauenfeld und die umliegenden Hügel. Im Kurvenswing gefiel nicht nur die überraschend taugliche Ergonomie inklusive engem Kniewinkel. Der Einzylinder-Motor macht gross Laune, hat aber konstruktionsbedingt mit nur einer Zündung jede zweite Kurbelwellenumdrehung gewisse Eigenheiten. So schlegelt er bis gut 3000/min trotz zweier Ausgleichswellen sein singletypisches, bassiges Lied. Das klingt gut, fühlt sich aber etwas grob an, weshalb man stets versucht, den Motor bei Drehzahl zu halten. Heisst man schaltet viel, in langsamen Passagen oft bis runter in den Einser. Heisst: nicht unbedingt die einfachste Wahl für Einsteiger und Wenigfahrer.

Ausserorts, mit etwas Zug am Gasgriff, erübrigt sich die Arbeit am Kupplungshebel dank des Zwei-Wege-Quickshifters. Funktioniert fehlerfrei und steigert den ohnehin grossen Spass am 75 PS starken 693-Kubik-Motor… und am Rest der Vitpilen.

Der vollgetankt 165 kg leichte Töff gibt sich kurvengierig, ohne nervös oder kippelig zu reagieren. Schnelle Kurven wollen mit deutlichem Lenkimpuls am schmalen Lenker eingeleitet werden. Man hilft gerne mit Körpereinsatz nach, worauf man sich wie von selbst als Dynamiker fühlt. Die Federelemente sind erfreulich weich und schluckfreudig ausgelegt, dazu einstellbar. Gut dosierbar die Bremsen; eigentlich die erste Einscheiben-Vorderradbremse, die mich je überzeugte – das geringe Fahrzeuggewicht hilft.

Die Vitpilen 701 verfügt über zeitgemässe Assistenzsysteme (Fahrmodi, Traktionskontrolle, ABS sowieso). Das Rundinstrument mit TFT-Anzeige ist schick, in seiner Blässlichkeit leider aber höchst mässig ablesbar.


Mit seinem Pfeile-Quartett (Vitpilen und Svartpilen je als 401 und 701) sowie der 701 Supermoto versucht man bei Husqvarna nebst den bekannten, erfolgreichen Geländemotorrädern einen neuen Weg zu gehen, jenen auf Asphalt. Ein Weg, wie ihn zuvor schon die Konzernmarke KTM absolviert hat und nun auch der Schwestermarke zu höheren Stückzahlen verhelfen soll.

In Sachen Besitzer übrigens blickt die 1903 gegründete Marke auf eine bewegte Geschichte zurück: was lange schwedisch war, blieb schwedisch (Elektrolux), ging nach Italien (Cagiva/MV Agusta), fand dann, schon in diesem Jahrhundert, über Deutschland (BMW) nach Österreich, wo die KTM Industries Group dem Offroad-Brand seit 2013 eine neue, duale Identität für Gelände und Strasse zu verpassen versucht.

Fazit: Die Vitpilen 701 ist fahrtechnisch begeisternd, vom Styling her interessant, preislich dafür durchaus ambitiös, denn nach üblicher Betrachtungsweise sind 12’399 Franken recht viel für ein Monozylinder-Motorrad.

Nicht ganz durchzuhalten ist wohl die an vielen (aber eben nicht allen) Stellen erkennbare Premium-Idee, und der auf Leistung gezüchtete Einzylinder erfordert ein Minimum an Geschick im Umgang mit Kupplungs- und Gashand.

Die Idee vom einfach fahrbaren Styling-Rad mit Schwerpunkt urbaner Einsatz würde, zu Ende gedacht, zum Elektrotöff – runder Motorlauf, keine Schaltung – führen. Harley-Davidson zeigt mit der Lancierung der LifeWire in der zweiten Jahreshälfte 2019 aber auch, wohin das unter heutigen Bedingungen führen kann: nämlich in preislich neue Sphären – für 36’500 Franken wird der Milwaukee-Stromer gehandelt.

Husqvarna hat bereits angekündigt, seine Bikes künftig ebenfalls elektrifizieren zu wollen. Aber wohl kaum auf diesem Preisniveau.

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