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Porsche 911 Targa 4S (Baureihe 992) / Alt & Neu

Zwischen dem Porsche 911 (992) Targa 4S und meinem Porsche 911 Carrera 3.2 Targa (G-Modell) liegen 33 Jahre. Wir beleuchten die Historie, die Herkunft der Targa-Bauform, suchen Gemeinsamkeiten, Unterschiede und das Wichtigste: Entführen beide auf eine schöne Ausfahrt am Sonntagmorgen. Einsteigen und los.

Die Ausfahrt beginnt im alten Elfer. Hier braucht es einen festen Griff mit einem Schuss Feingefühl, die Bedienung von Schaltung, Lenkung und der Bremse erfordert Aufmerksamkeit und Hingabe. Die Fahrdynamik ist ebenfalls gewöhnungsbedürftig, wie im Artikel «Neuzugang: Porsche 911 Carrera 3.2 Targa» ausführlich beschrieben. Daher überspringen wir dieses Kapitel. Als die Motoren warmgefahren sind, stoppen wir um das herausnehmbare Faltdach zu entfernen.

Dieses Faltdach ist der Namensgeber der 911 Varianten «mit Bügel» und war auch in anderen Fahrzeugen, wie dem Porsche 914 oder dem Carrera GT anzutreffen. In den 60er Jahren suchte Porsche nach einem neuen Konzept für die gestiegenen Sicherheitsbedürfnisse bei offenen Fahrzeugen für den amerikanischen Markt, in dem sogar zeitweise ein Cabrio-Verbot im Raum stand. Um dem zu entgehen musste eine Lösung her.

Im August 1965 meldet Porsche das Targa-Konzept zum Patent an und ab Herbst 1966 ergänzt der Targa beim 911, 911 S und 912 das bisherige Coupé und stiess auf grossen Anklang. Von Spätsommer 1967 an konnten die Targa-Modelle auf Wunsch auch mit einer fest eingebauten, beheizbaren Heckscheibe aus Sicherheitsglas an Stelle der herunterklappbaren Kunststoffheckscheibe geordert werden. Eine Lösung, die bereits im Jahr darauf zur Serienausstattung wird und den Targa bis zum Jahr 1993 praktisch unverändert begleitet.

Bei der Suche nach einer Modellbezeichnung wird nach Rennstrecken gesucht, auf denen Porsche besonders erfolgreich ist und so fällt rasch die „Targa Florio“ – das Strassenrennen auf Sizilien, bei dem Porsche seit Mitte der 1950er-Jahre grosse Motorsport-Erfolge feiert. Kurzfristig steht „911 Flori” im Raum, bis Inland-Verkaufsleiter Harald Wagner die Suche eher beiläufig mit der Frage entscheidet: „Warum sagen wir eigentlich nicht nur Targa?” Dass der italienische Begriff auch noch „Schild” bedeutet, fiel – so sagt es die Legende – erst den Textern des Verkaufsprospekts auf.

Soweit die Geschichte: In der Realität bedeutet das beim alten Modell einiges an Handarbeit. Der vordere Kofferraum will entriegelt und geöffnet werden, dazu das Dach zweifach entriegeln, herausheben, auf den Fuss stellen, zusammenfalten und im Kofferraum verstauen.  Während beim 993, dem 996 und dem 997 das Targadach eher zu einem langen Glasschiebedach wurde, fand es ab der Modellreihe 991 (ab 2011) wieder zurück zu einem der Historie entsprechenden spektakulären Mechanismus.

Beim 991 und 992 gelingt es, die klassische Targa-Idee mit modernem Dachkomfort zu verbinden. Wie der legendäre Ur-Targa besitzt das neue Modell den charakteristischen breiten Bügel anstelle der B-Säulen, ein bewegliches Dachteil über den Vordersitzen und eine umlaufende Heckscheibe ohne C-Säule. Nun wird das Dachsegment jedoch auf Knopfdruck geöffnet und geschlossen. Dabei lässt die komplizierte Konstruktion erst die Motorabdeckung und die Heckscheibe anheben und nach hinten fahren, so dass die Stoffeinlage nun auf spektakuläre Weise elektrisch hinter der Fondsitzanlage verschwindet. Zeitdauer: 19 Sekunden. Einziger Wermutstropfen: Das kann nur im Stillstand passieren, während das 992 Cabrio, sein Verdeck auch während der Fahrt öffnen kann.

Also steigen wir um. Im 911 Targa 4S aus dem Jahre 2021 wird serienmässig per Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe bedient, optional auch per Siebengang-Handschaltung. Wer sich für einen Targa interessiert wird zwangsweise auch am Allrad nicht vorbeikommen. Das Datenblatt verspricht 450 PS und 530 Newtonmeter Drehmoment zwischen 2.300 und 5.000 1/min. Aus einem stehenden Start erreicht er die 100 km/h-Marke in 3,6 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 304 km/h.

Der Fahreindruck ist gewaltig. Im Vergleich zum Targa-Ur-Vater braucht man, durch die jahrelange Weiterentwicklung, weniger Respekt vor der Heckmotor-Fahrphysik. Im 992 ist es die pure Leistung und der stetige Vortrieb, die für Respekt sorgen. Egal, welchen Porsche ich bisher gefahren bin, die PS- und Nm-Angabe des Datenblattes haben sich in Realität immer deutlich wilder angefühlt. So auch hier.

Fährt man einige kurvige Landstrassen wird sofort klar: Die Lenkung ist messerscharf, die Pferdchen motiviert, das Getriebe blitzschnell und mitdenkend, fast schon überirdisch gut prophezeiend, die Hinterachs-Quersperre jederzeit bereit und die Fahrsicherheitshelferlein nie störend. Dazu ein schöner, wenn auch zurückhaltender Klang des Sechszylinder-Boxermotors mit drei Litern Hubraum, optionaler Sportabgasanlage und Biturbo-Aufladung. Die Biturbo-Aufladung ist präsent, nicht im Sinne eines Turboloches, sondern akustisch. Besonders bei geschlossenem Dach hört man ein deutliches Zischen über der Schulter, wenn man in einem hohen Gang bei wenig Drehzahlen die Last erhöht und dann zügig vom Gas geht. Mir gefällt das sehr gut, sogar sehr sehr gut, aber für Generationen, die nicht mit «The Fast & the Furious» aufgewachsen sind und ihrem Sauger hinterherträumen, kann das vielleicht etwas spanisch, respektive japanisch, vorkommen.

Fährt man zügiger als Landstrassentempo mit geöffnetem Verdeck, kann es zu Windverwirbelungen kommen, die aufs Trommelfell hämmern, woran Porsche jedoch gedacht hat. Ein ausklappbarer Windabweiser oberhalb der Windschutzscheibe kann man händisch, ja genau, manuell, ganz wie im alten Targa lösen, so dass dieser die Verwirbelungen dann reduziert.

Wechseln wir wieder zum alten Porsche. Hier fehlt eine solche Ingenieurskunst. Die Lösung ist einfach: Fenster etwas runterlassen oder weniger schnell fahren. Die Targa-Modelle sind bekanntlich Geniesserautos. Geniessen kann man im alten Elfer nicht annährend die Geschwindigkeitsspähren, in denen sich ein 992 noch pudelwohl fühlt. Hier geht es filigraner zur Sache, das Bedienen der Mechanik muss hier Teil des Genussprogrammes sein, sonst findet man keinen Spass. Mitverantwortlich dafür sind die Abmessungen und das Gewicht des 992.

Wir pausieren und vergleichen die Optik. Der Unterscheid der Dimensionen sind gewaltig. Der 992 wirft 4,51m Länge, 1.85m Breite und 1.29m Höhe in den Ring. Das G-Modell aus dem Jahre 1988 misst dagegen nur 4.29m Länge, 1.65m Breite und 1.32m Höhe. Selbes Spiel bei den Reifen. Der 992 rollt auf 245/35 ZR 20-Zoll-Rädern vorne und 305/30 ZR auf 21-Zoll-Rädern hinten. Der 1988er Porsche auf 205/55 ZR 16-Zoll-Rädern vorne und 225/50 ZR 16-Zoll-Rädern hinten.

Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten. Der Vorderwagen des 992 greift ein traditionelles Thema der G-Modelle auf: Die lang nach vorn gezogene Kofferraumhaube mit einer markanten Vertiefung vor der Windschutzscheibe. Beides streckt die Frontpartie und verleiht ihr optisch Dynamik. Die LED-Scheinwerfer zeigen den Fortschritt und sind trotzdem im Design der typischen 911 Formensprache gehalten. Rund und aufrecht fügen sie sich nahezu fugenlos in die Kotflügel ein. Der Targabügel mit seinen Kiemen ist beim neuen Modell in klassischem Silber, bei meinem alten Targa in Schwarz. Auch am Heck erkennen wir mit dem durchgehenden Band, welches unterdessen als durchgehendes Leuchtenband fungiert, wieder Gemeinsamkeiten. Beim 992 stört mich der weit höher oben angelegte Abschluss verglichen mit seinen Vorgängern. Die typische Absenkung der Heckpartie kommt deutlich weniger zur Geltung.

Auch im Innenraum ist der 992 ein «echter» Nachfahre seiner ikonischen Vorgänger. Neu wird der analoge Drehzahlmesser von zwei rahmenlosen Displays umgeben. Informationen sind da genau so schlecht lesbar wie bei meinem G-Modell. Legendäre Unvollkommenheit. Ungewohnt von Porsche, aber sympathisch. Die Armaturentafel verläuft wie beim alten Elfer über die gesamte Breite. Daneben ist der neue, 10,9 Zoll grosse PCM-Touchscreen eingearbeitet. Dazu zwei Schalter, einmal am Lenkrad und einmal unterhalb des Infotainmentdisplays, welche individuell konfiguriert werden können. Eine Individualisierung, die ich mir so auch von anderen Herstellern wünschen würde.

Die Ergonomie ist hervorragend. Perfekte Sitzposition, wunderbarer Seitenhalt, bei vielfachen Einstellmöglichkeiten und genug Komfort. Die Materialwahl grösstenteils auch. Einzig die Fensterheber und die Getränkehalter erinnern in der Bedienung und beim reinen Berühren eher an einen Golf, als einen Porsche 911. So auch der Automatik-Wählhebel, der optisch und haptisch viel zu nahe an weit günstigeren Produkten aus dem Volkswagen-Konzern ist.

Ein interessantes Gadget ist die Nässe-Erkennung, der «Wet-Mode». Das System kann dank akustischer Sensoren in den vorderen Radhäusern aufgewirbeltes Spritzwasser erkennen. Es unterscheidet sich dadurch grundlegend von Regensensoren zur Ansteuerung der Scheibenwischer, die unabhängig vom Fahrbahnzustand lediglich optisch auf Wassertropfen auf der Windschutzscheibe reagieren. Wird ein nasser Fahrbahnzustand erkannt, wird das Ansprechverhalten der Systeme vorbereitet. Daraufhin informiert das System den Fahrer über die erkannte Nässe und empfiehlt, manuell in den Wet Mode zu wechseln.

Über den Drehschalter am Lenkrad kann man den Wet Mode dann aktivieren, so dass unter anderem die Stabilitätskontrolle, die Traktionskontrolle, die Hinterachssperre und das Ansprechverhalten des Motors angepasst werden, um im Regen zügig aber bei maximaler Sicherheit unterwegs zu sein. Der Heckspoiler geht ab 90 km/h auf maximalen Abtrieb, die Kühlluftklappen öffnen, die Gaspedal-Kennlinie wird flacher, PSM Off oder Sport Modus können nicht mehr aktiviert werden.

Der 992 Targa hat auch massenweise Assistenzssyteme an Bord. Viele davon optional, einige seriensmässig. Darunter gibt es: Spurhalteassistent mit Verkehrszeichenerkennung, Spurwechselassistent mit optischer Warnung, Nachtsichtassistent mit Wärmebildkamera, Park-Assistent mit Surround-View und Abstandsregeltempomat.

Was bleibt also?
Der Porsche 992 Targa 4S ist einer der schönsten Kompromisse der Welt. Die Vorteile von Coupé und Cabrio lagen noch nie näher beisammen. Die Targa-Mechanik ist faszinierend, allerdings könnte ich mich auch für etwas manuelle Handarbeit, wie im 718 Boxster Spyder, begeistern. Ansonsten bleibt der 992 ein fantastischer Elfer. Zeitgenössisch gewachsen, technisch wie optisch. Alltagstauglich und mit mehr respekteinflössender Performance, schon als 4S. Der Purist und Anhänger der 911er mit schmaler Karrosserie in mir, kann sich jedoch auch Jahre nach der Markteinführung des 992 nicht damit abgeben, dass Porsche die schmale Karrosserie nicht mehr baut. Die Frage, die ich während der Testdauer am meisten gehört habe, war: „Welchen würdest du nun auswählen?“ – Der alte Targa für den Sonntagmorgen, der neue Targa für die restliche Zeit. Beide auf ihre ganz eigene Weise emotional, fantastisch und doch im selben, wunderschönen Kleid.

Verbrauch & Preis
Der Verbrauch lag im Schnitt bei 9,6 Liter pro 100 km. Der Testwagen, der von Porsche Schweiz zur Verfügung gestellt wurde, war in der Farbe «Achatgrau Metallic» lackiert und lag preislich bei CHF 213’750.-. Die Konfiguration für den Targa 4S startet bei CHF 177’900.-.

Der OneMoreLap-Konfigurationstipp zur Optik:
Aussenfarbe in Enzianblau Metallic, 20-/21-Zoll Carrera Classic Räder, Lederausstattung in Graphitblau, Kontrastnaht kreide, SportDesign Paket lackiert in Schwarz (hochglanz), Entfall Modellbezeichnung, Sportabgasanlage (Endrohrblenden in schwarz), LED-Matrix Hauptscheinwerfer abgedunkelt inkl. Porsche Dynamic Light System Plus (PDLS Plus)

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