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Suzuki Virus 1000: Voll krank, 2.0

Das Rezept ist einfach: Man nehme ein Superbike ab Stange, demontiere Lenkerstummel und Plastikteile, montiere eine Lenkstange und fertig ist das heisse Super Naked. Ist es wirklich so einfach?

Wenn man ein neues Fahrzeug zur Probe fährt, weiss man oft schon nach wenigen Metern, woran man ist. Bei meiner Begegnung mit der Suzuki Virus war es eine Gerade zwischen zwei Kreiseln im Industriegebiet von Avanches, dort wo der Suzuki-Importeur daheim ist. Das erste Gedanke: etwa bis ca. 4000/min fährt sich der Töff wie ein normales Motorrad…

Der Clou an dieser Erkenntnis ist, dass ab 4000/min bis zum Drehzahlbegrenzer noch weitere 10’000/min übrig sind, der Reihenvierer ist ja ein lupenreines Sportaggregat. Und wie es mit Verbrennungsmotoren so läuft, multipliziert sich steigende Drehzahl mit zunehmendem Drehmoment. Der Atem stockt, das Herz rast, die Muskeln spannen sich an. Wunderbaaar…

Das geschieht auf einer GSX-R 1000 R oder einer andern 200-PS-Boden-Boden-Rakete auch, nur sitzt man auf der Virus am breiten Lenker deutlich aufrechter, entsprechend heftiger reisst es dir die Sitzbank unter dem Hintern weg. Man hat fast 14’000/min wachsenden Wahnsinns in einer drittel Umdrehung des Gasgriffs in der Hand und kommt fast nicht nach mit Schauen. Bei 13’200/min ist der Leistungszenit von 203 PS erreicht, was ich allerdings offiziell nur wissen, aber nicht erfahren darf, weil die Virus schon im 1. Gang über das helvetische Autobahnlimit hinausdreht. Von den 5 anderen Gängen nicht zu reden. Attacke bei Nenndrehzahl ist, wie in dieser Klasse von Superbikes und Supernakeds üblich, also selbst im „Anfahrgang“ zu schnell fürs hiesige Gesetz.

Also, lieber durchatmen, Fakten checken. Suzuki Virus: was soll das, was ist das überhaupt? Man könnte sie als offizielles Customizing bezeichnen. Der Kniff: man macht aus einem Stummellenker-Renner (GSX-R 1000) einen Streetfighter (weniger Plastik, höherer Lenker). 2011 gab es die erste Virus, acht Jahre später liefert Suzuki Japan immer noch nicht so ganz das, wonach es Schweizer Töfffahrer hungert, deshalb folgt nun Virus II.

Als Einschub darf man erwähnen, dass zwischen Virus I und II das japanische Werk immerhin die GSX-S 1000 aus dem Ärmel gezaubert hat. Mehr Naked Bike als Streetfighter, nicht zu verachtende 150 PS und für so manchen Kunden womöglich einfacher fahrbar als die vollblütige Virus. Und um eine tüchtige Portion günstiger.


Wie damals entstand die Virus in der Zusammenarbeit zwischen dem Fribourger Töffhändler Dominique Grangier (als ehemaliger Berg-Schweizermeister auch am Gasgriff kein Kind von Traurigkeit) und Suzuki-Importeurin Frankonia. Damit hat der wilde Streetfighter den offiziellen Stempel inklusive Garantieleistungen. Und zum Preis des Superbikes gibt’s die Virus UND die von der GSX-R demontierten Teile. Das klingt wirklich nach einem fairen Deal, auch wenn der Grundpreis für dieses edle Fahrmaterial (22’000 Franken) nichts ist, was man schnell mal aus der Kaffeekasse schüttelt.

Die Virus I (auch schon mit 185 PS) kam vor acht Jahren ohne elektronische Assistenz und ohne ABS. Heute undenkbar – wie die Zeit doch vergeht! Virus II hingegen verfügt über das ziemlich volle Programm, mit schräglagenabhängigem ABS und Traktionskontrolle, mit Wheeliekontrolle und natürlich mit unterschiedlichen Motormappings. Und natürlich hochwertigen, voll einstellbaren Federelementen.

Beim Motormapping empfehle ich eher ein mild Setup, weil die Virus auch so direkt ans Gas geht und – zuweilen irritierend – beim Schliessen des Griffs ziemlich barsch vom Gas fällt.

Ansonsten ist der Antrieb ein Gedicht. Nicht einfach ein Schmeichler von einem Vierzylinder, sondern ein Charakterdarsteller mit einer gesunden Dosis Vibration und sattem Ton. Das Drehzahlband ist unendlich breit, weiter flexibilisiert durch die variable Ventilsteuerung.

Für halbwegs zivilisiertes Fahren erübrigen sich deshalb Schaltvorgänge weitgehend, der Druckreaktor der Virus zieht immer, so nach dem Motto: von 20 bis 200 km/h alles im Vierten… Dennoch habe ich gerne die Gänge durchgesteppt, denn der Schaltautomat funktioniert beim Rauf- und Runterschalten gut wie keiner, unter Teillast, unter Volllast, immer. Beinahe perfekt, mit kaum merkbarer Kraftschlussunterbrechung. So sollte es sein, ist es heute aber längst noch nicht an allen Motorrädern!

Die Fahrerei ist, dank der erwähnten Fahrwerkskomponenten aus dem Top-Regal, vom allerfeinsten. Sämige, kontrollierte Dämpfung ohne unnötige Härten. In Schräglage liegt die Virus wie hingetackert, man fühlt sich nach wenigen Bögen schon unstürzbar. Am Kurveneingang verhält sie sich neutral-stabil. Sie ist kein flockig-lockeres Tanzmobil, die Virus nimmt Sport ernst.

Gut ablesbares Display in der Nacht, leider blass des Tags

Um die eingehend gestellte Frage zu beantworten: Es sieht ganz danach aus, als ob es wirklich recht einfach ist, ein Superbike in einen Streefighter zu verwandeln. Durchaus verblüffend, denn öfter mal wollen uns die Hersteller weismachen, man müsse vom Fahrwerk über die Getriebeübersetzung bis zum Motortuning alles neue erfinden, damit das Paket stimme.

Bei der Virus II stimmt alles auf Anhieb. Ausser vielleicht die Sitzergonomie. Dem Sitzpolster merkt man an, dass es für einen Supersportler ausgelegt ist. In der aufrechteren Haltung verschieben sich die Druckpunkte, wird der Po an anderer Stelle und stärker belastet. Kein Drama, doch da gäbe es allenfalls Optimierungsbedarf. Und wenn man denn wünschen könnte, würde man den Tank ein Muggesäggli schmaler, weniger beinespreizend konstruieren.

Das Kritteln am Detail ändert aber nichts daran, dass die Suzuki Virus der Hammer und so nebenbei das stärkste «Serien»-Naked Bike der Welt ist. Und wer hat’s erfunden? Nicht Suzuki… sondern die Schweizer!

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