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VW Arteon Shooting Brake R

Wir mögen die Sparte “Shooting Brake” sehr und obwohl Mercedes-Benz den CLS Shooting Brake gestrichen hat, wagt sich VW mit einem neuen Versuch an diese Nische. Weg von der Nische, hin zum Volk? Wir sind den 320 PS-starken VW Arteon Shooting Brake R gefahren.

Seit 2017 gibt es den Arteon Shooting Brake, obwohl ein «Shooting Brake» per Definition übrigens ein zweitüriges Coupé mit Steilheck und Heckklappe darstellen soll. Trotzdem tragen auch CLA und ProCeed, sowie früher auch der CLS stolz diesen Beinamen.

In der Pressemeldung spricht VW vom «Avantgardemodell unter den Geschäfts- und Reiseautomobilen», wir sagen: der hübschere Passat. Doch merken wir uns das mit dem avantgardistisch für später. Eine Woche mit viel Zeit «on-the-road» steht an. Kurzstrecken, Langstrecken, Autobahn, Landstrasse, Innenstädte. Einsteigen und los.

Langstrecke zuerst. Der Komfort ist über dem erwarteten Level. Die Belagsübergänge auf der deutschen Autobahn werden bei allen Geschwindigkeiten erstaunlich gut weggedämpft. Die Innengeräuschdämpfung ist auf einem hohen Level, Windgeräusche sind kaum zu hören. Wenig Neigung in schnellen Kurven und bei über 4 Stunden rappelvoller deutscher Autobahnen ein Verbrauch von unter 9 Litern bei 500 km Fahrstrecke. Bei 66 Liter Tankinhalt ergibt das eine Reichweite von fast 800 km und bei gesitteterer Fahrweise auf Autobahnen in der Schweiz mit 7 Liter / 100km über 940 km. Warum schreiben wir das? Tanken nervt und kostet Zeit, daher ist die Reichweite eines Fahrzeugs ein wichtiges Kriterium für uns.

Grossen Anteil an diesem moderaten Verbrauch hat der Motor. Der 320 PS starke Vierzylinder-Turbomotor EA888 evo4 ist uns aus dem Golf R bestens bekannt und kommt auch hier zum Einsatz. Bereits bei 2100 U/min entwickelt der 2,0-Liter-TSI ein maximales Drehmoment von 420 Nm und hält dieses Drehmoment bis 5350 U/min. Grundsätzlich ein guter Motor, nur waren wir uns bis zum Schluss über seine Rolle im Arteon Shooting Brake R uneinig. Soll man dankbar dafür sein, dass VW hier keinen langstreckenuntauglichen Plug-In-Krempel verbaut hat oder darf man einen Sechszylinder offenkundig vermissen?

Hauptkritikpunkt ist mitunter das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, welches mit mehr Abstufungen das Drehmoment hätte erlebbarer gestalten können, wie das beispielsweise der Ford Ranger Raptor mit seinem 10-Gang-Getriebe gut zeigt und sich dabei dann auch weniger angestrengt anhören würde. Grundsätzlich ist die Performance nicht verkehrt, eine 0-100 km/h Zeit von 4,9 Sekunden bestätigt das und doch sind es die Zwischenspurts und der vergebliche Versuch des unangestrengten Reitens auf der Drehmomentwelle, die diesen Motor in diesem grossen und schweren Auto zurückhalten.

Zurück zu unserer Reise. Die Zeit auf der Autobahn ist vorüber und vor uns liegen einige kurvige Abschnitte. Das adaptive Fahrwerk (DCC) lässt sich wunschgenau über 15-Stufen einstellen. Auch die Lenkung, Antrieb, Motorsound und mehr lassen sich anpassen. Die Strassen hier sind uneben, schmal und kurvig, also definieren wir eine Comfort+ Stellung und nun das Beste: Der Motorsound lässt sich mit «Pure» so definieren, dass er aussen hörbar ist, aber im Innenraum nicht durch einen Aktuator unterstützt wird, herrlich. Danke VW. Der Sound ist sportlich-zurückhaltend, es klopft bei Gaswegnahme etwas nach, beim Herunterschalten etwas aggressiver und eine bassige Note schwimmt mit. Gefällt.

Mit Lenkung und Antrieb auf «Sport» fährt es sich zielgenau, der Arteon bremst zackig an und lenkt schön ein. Für einen Kombi von dieser Grösse ist das schon gut. Werden die Kurven etwas enger, merkt man nun auch, wie das Hinterachsdifferenzial mit „R-Performance Torque Vectoring“ dafür sorgt, dass die Antriebskraft nicht nur variabel zwischen den Achsen, sondern ebenso situativ zwischen den Hinterrädern verteilt wird. Einen Driftmodus, der im Golf R durch dieses Feature Einzug findet, gibt es hier nicht. Vermissen wir auch nicht.

Wir müssen das nun nochmals ansprechen: Die Dämpfer sind wohl die beste Zutat im Kapitel Fahrdynamik. Auf dieser Landstrasse sind sie, genauso wie auf der Autobahn, absolut ohne Tadel und durch die grosse Einstellmöglichkeiten auch für jede Vorliebe einstellbar. Mag man es lieber ohne Nachwippen bei Unebenheiten, schiebt man den Regler etwas nach rechts. Soll es wieder etwas komfortabler werden, wieder nach links. Das ist nun keine Neuheit, das ist mir bewusst, nur bei diesem Fahrzeug mit langem Radstand und ordentlicher Breite kommt der gelungene Spagat besonders gut zur Geltung. Schade: Der Arteon speichert zwar die «Individual» Einstellungen, startet aber nach jedem Motorstart wieder in Comfort.

Kurze Pause. Aussencheck. Der Arteon Shooting Brake R ist für mich optisch der aktuell sportlichste Volkswagen. Vorne hat er genau diese Schärfe, die der neue Golf R nicht hat, während die Dach- und Fensterlinien verlängert wurden und die Karosserieform von unten jedoch leicht ansteigt und so in einem typischen Shooting Brake-Heck endet. Markante Streben vorne, grosse Lufteinlässe und die durchgängige LED-Leiste sorgen für jede Menge Überholprestige. Hinten findet man vier echte Auspuffendrohre im quadratischen CLS-63-AMG Look, sowie einen angedeuteten Heckdiffusor und das prägnante R-Logo.

Im Innenraum ist es eine Mischrechnung. Die Sitze mit eingesticktem R-Logo sind zwar bequem, bieten allerdings für mich einen Hauch zu wenig Seitenhalt, bei zu hoher Sitzposition und zu kurzer Schenkelauflage. Im Gegenzug gibt es eine schöne Ambientebeleuchtung mit 30 verschiedenen Farben, ein klangstarkes Harman/Kardon Audiosystem, kabelloses Apple Carplay, ein projiziertes R-auf den Asphalt bei offenen Türen, verlängerte und hochwertige Schaltwippen, eine R-Modus-Direktwahltaste auf dem Lenkrad, sowie weitere blaue Akzente im ganzen Innenraum. Das Head-Up-Display ist eine ausfahrbare, angewinkelte Scheibe, die sich vor dem Fahrer emporhebt und Informationen anzeigt. Weder zeitgemäss, noch „avantgardistisch“ oder dem Preis angepasst. Die Klimabedienung funktioniert hier weiterhin über Tasten, so dass nur die Intensität und die Temperatur über Touchflächen bedient werden müssen. Materialwahl und Verarbeitung des Innenraums sind in Ordnung, nahe am Passat, aber beim Blick auf den Grundpreis nicht über alle Zweifel erhaben.

Serienmässig kommt der Travel Assist in den Arteon R. Das System ermöglicht das teilautomatisierte Fahren bis 210 km/h mittel automatischer Distanzregelung, Spurhalteassistent «Lane Assist», sowie Notbremsassistent «Front Assist» mit Fussgängererkennung. Weiterentwickelt wurde die Rückfahrkamera «Rear View», die nun zusätzlich unter anderem einen «Cornerview» (Erweiterung des Kamerabildes im Screen des Infotainment-systems von 90 auf 170 Grad Weitwinkel) und eine spezielle «Anhängeransicht» (von oben auf die Deichsel, um das Ankuppeln zu erleichtern) bietet.

Was bleibt also?
Der Arteon Shooting Brake R gefällt mir gut, primär optisch und durch seinen (Langstrecken-)Komfort. Sportdiff, Bremsen, Lenkung und Dämpfer wären durchaus performant, können ihre Sonnenseite aber mangels Motorperformance nur nur selten zeigen. Er ist zwar in seiner Nische fast konkurrenzlos, aber trotzdem darf man für den Preis etwas mehr von Motor, Innenraum und Emotionen erwarten.

Blickt man auf einen Kia Stinger GT (ausschliesslich als Limousine erhältlich) mit 3,3 Liter Sechszylinder-Benziner für einen Basispreis von CHF 64’600.- (Vollausstattung CHF 66’450.-), ist der Arteon R Shooting Brake mit Basispreis CHF 73’500.- und in der Ausstattung unseres Testwagens in „Lapiz Blue Metallic“ mit optionaler Ausstattung bei CHF 90’490.-, schon eine teure Wahl. Der Verbrauch lag im Schnitt über die gesamte Testdauer bei 8,9 Liter Benzin / 100 km.

Der OneMoreLap-Konfigurationstipp zur Optik:
Lapiz Blue Metallic, Leichtmetallfelgen „Estoril“ 8J x 20″ – Reifen 245/35 R20

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4 Kommentar

  1. Ciao Andreas
    Einmal mehr ein top aufbereiteter, ehrlicher und authentischer Test. Bin absolut deiner Meinung, was den immer mehr grassierenden „Plug-in-Krempel“ betrifft. 😉
    Jedoch gab es ab 2017 den Arteon nur als Limousine, der Shooting Brake ist ganz neu und wurde erst mit dem Facelift eingeführt.

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