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Yamaha FJR 1300 AS: As time goes by

Nach 20 Jahren verabschiedet sich eines der besten Tourenmotorräder aller Zeiten. Die Yamaha FJR 1300 verband Motorenwucht und Komfort in zuvor unbekanntem Ausmass. Das tut sie immer noch, doch bieten bieten Crossover und Reiseenduros noch grössere Vielseitigkeit.

Zuweilen sind es kleine, fast anekdotische Erinnerungen, welche die Beziehung zu einem Fahrzeug prägen. Im Falles des sportlichen Komfortourers Yamaha FJR 1300 ist es eine Reise durch die französischen Alpen. Jahre ist es her.

Etwa mal wunderten sich die Kollegen auf anderen Motorrädern, mit welcher Leichtigkeit ich an ihnen dranblieb. Dann ging es auf der engen, gewundenen D98 hinauf zum Col d’Allos. Die meisten Kollegen blieben zurück, und auch Jo auf seiner leichten Reiseenduro schüttelte mich nicht ab. Noch besser: ich warf die FJR mühelos und vollkommen entspannt in die Ecken bis die Rasten glühten und hatte doch nie das Gefühl, auch nur das Geringste dabei zu riskieren. Gutes Motorrad, braves Motorrad!

Zur Illustration: Google Street View vom Strässchen hinauf zum Col d’Allos, das die «dicke» FJR verblüffend behände meisterte.

Das Grundgefühl war also eines freudiger Erwartung, als ich nun, im Frühling 2020, die FJR erneut zum Test übernahm. «Die FJR», diese Kurzform genügte stets, um den Luxusschlitten von Yamaha zu bezeichnen. Denn seit seiner Lancierung vor 20 Jahren blieb die Bezeichnung im Modellname, 1300, dieselbe. Ganz einfach, weil Yamaha über die Jahre am ursprünglich gewählten Hubraum von 1298 ccm festgehalten hat. Unter uns Betschwestern: das reicht ja auch!

Dann rolle ich los und denke schon nach wenigen Kilometern: Oh, war da nicht schon mal mehr drin im Motor? Druck aus dem Drehzahlkeller war doch immer die grosse Stärke des Vierzylinders gewesen. Erst ein Blick auf die mittige der drei Anzeigen im weitläufigen Armaturenbrett schafft Klarheit: Ich bin im Regenmodus losgefahren, der Ansprechverhalten und Motorenpower passend zu glitschigem Untergrund sediert. Ich wechsle auf Modus S und alles ist gut. Seine fast 140 Nm und fast 150 PS liefert das Triebwerk ohne Trompeten und Fanfaren, aber stets mit Nachdruck, souveränen Überholreserven und hohem Komfortniveau mit geringen Vibrationen.

Ein zweiter spontaner Eindruck hingegen sollte sich nicht mit einem Klick wegwählen lassen: Der Gedanke, dass die FJR ein veritabler Brocken sei und dass man heutzutage fürs komfortable Reisen nicht unbedingt auf ein 300-Kilo-Eisen angewiesen ist.

Gerade auf Reisen macht eine gewisse Leichtigkeit Sinn: Will man sich mit einem Dickschiff wirklich diese unbekannte, vielleicht sogar geschotterte Stichstrasse rauf getrauen? Ohne zu wissen, ob man am Ende das Wendemanöver hinkriegt? Bikes wie die FJR sind Meilenfresser und Autobahn-Könige, fürs kleine Abenteuer eignen sie sich weniger.

Zu dieser Einsicht ist auch die Käuferschaft gelangt, die Motorräder wie die Yamaha FJR 1300 oder die BMW K 1300 kaum mehr nachfragt. Crossover wie die Yamaha Tracer 900 verdrängen die schweren Reisemaschinen zusehends.

Deshalb hat für die FJR 1300 die letzte Saison geschlagen. Freunde dieser Art von Motorrad bietet sich die Gelegenheit, eine Ultimate Edition zu ergattern. Dafür gibt’s 20 Jahre Modell-Weiterentwicklung in einem edel schwarz-gold lackierten und top verarbeiteten Motorrad. In der Stückzahl begrenzt, ist sie in den voll ausgestatteten Varianten AE und AS erhältlich. Mit der AS erhält man ein technisches Alleinstellungsmerkmal: das automatisierte Schaltgetriebe.

Ein Elektromotor nimmt dem Piloten das Kuppeln ab, nicht aber das Schalten. Den Befehl zum Kuppeln gibt man entweder wie gewohnt mit dem linken Fuss oder, weniger gewohnt, über Wippschalter am linken Lenker. Man könnte dies Halbautomatik nennen, de facto haben wir sogar eine Art Dreiviertel-Automatik an Bord. Denn auch beim Thema AS kam der FJR die Modell-Weiterentwicklung zugute. Seit 2006 kann man den Tourer mit dem YCC-S genannten System ordern, 2013 kam der «Stop Mode» hinzu, der sich per Knopfdruck (siehe Bilder unten) aktivieren lässt. Dies ist eine bedarfsgerechte Herunterschaltautomatik. Sie schaltet ohne Zutun des Fahrers hinunter und verhindert, dass man, beispielsweise aus Nachlässigkeit, im grossen Gang von der Ampel losfährt und so die Kupplung verbrät.

Das YCC-S funktioniert in den meisten Lebenslagen annähernd perfekt, die Gänge rasten mit kurzer, fast nicht spürbaren Zugunterbrechung ein. Ein paar kurze Schreckmomente hatte ich bei Manövern. Mit knapp Schritttempo kommt es vor, dass die Automatik kurz auskuppelt, um den Kraftschluss, mit einem Ruck, gleich wieder herzustellen. Starker Lenkeinschlag, 292 kg vollgetankt, und dann zack… Würde Yamaha das 25-Jahre-Jubiläum für die FJR anstreben, bräuchte der Kupplungsautomat für diese Anwendung nochmals Feintuning.

Beim Hochschalten hilft es übrigens, nicht bei offenen Drosselklappen zu schalten, sondern mit leichter Wegnahme des Gas. Dies im Unterschied zu den heute immer gebräuchlicheren Schaltautomaten (Quickshifter), die es mögen, in der vollen Beschleunigung angetippt zu werden, weil dann die elektronisch geregelte, kurze Zündunterbrechung die gewünschte Wirkung am besten. Die mechanisch betätigten Quickshifter, günstiger und leichter als das YCC-S, dürften mit ein Grund sein, weshalb die innovative Yamaha-Technik nie über die FJR hinauskam.

Noch eine Besonderheit von YCC-S: Bei ausgeschalteter Zündung rastet das Getriebe stets im 1. Gang ein. Ohne Zündschlüssel noch huschhusch die FJR umparkieren, das funktioniert mit der Version AS nicht.

Generell ist das Reisen mit der FJR 1300 von hohem Komfort. Dazu tragen der geschmeidige Motor und das lastwechselfreie Verhalten des (wartungsfreien) Kardan-Endantriebs bei. Die breite, bequeme Sitzbank. Der Tempomat. Die elektronisch einstellbaren Federelemente.

Oder die elektrisch bedienbare Windschutzscheibe. Acrlyglas von höchster Güte, das nie vibriert, sich dem Wind breit und auf Wunsch sehr hoch entgegenstellt. Auf der Landstrasse lässt sich wunderbar bei offenem Visier fahren, bei Autobahntempo ergeben sich bloss minimale Verwirbelungen um den Helm (aber deutlich ruhiger als alles, was ich von Reiseenduros kenne). Der Unterschied zwischen hoher und niedrigster Stellung der Scheibe ist so gross, dass es die FJR beinahe verwandelt. Aus dem gemütlichen Touren-Wal wird, ohne Scheibe vor dem Gesicht, gefühlt ein übermütiger Kurven-Delphin. Selbst das Gefühl fürs Vorderrad scheint besser zu werden.

Die soliden Seitenkoffer sind im Preis inbegriffen. Ohne wirkt das Heck leicht und luftig. Für heutige Verhältnisse erstaunlich schlank: der Auspuff.

Kaum Beachtung, das gebe ich zu, habe ich auf meiner eher kurzen Testfahrt dem elektronisch einstellbaren Fahrwerk gewidmet. Es hat gepasst, wie es war, da beginnt man gar nicht erst rumzudüdeln. Natürlich ist die FJR kein echtes Kurvenwiesel, doch mit dem niedrigen Schwerpunkt stellen sich grosse Neutralität, Solidität und Vertrauen ein, während der breite Lenker den nötigen Hebel für recht müheloses Umlegen bietet. Diese Leichtigkeit rührt wohl auch von einer gewissen Hecklastigkeit: Nimmt man bei Tempo 80 die Hände vom Lenker, beginnt dieser leicht zu pendeln. Bei 60 beruhigt sich das Boot wieder. Ist nichts Bedrohliches, lediglich ein Hinweis auf die Gewichtsverteilung auf der FJR.

Zum Fernreiseexpress wird die FJR 1300 auch durch ihr massives Spritfass. 25 Liter passen rein. Der Landstrassenverbrauch schwankte zwischen 5,7 und 5,9 l/100 km, auf der Autobahn waren es noch weniger. Daraus ergeben sich Praxis-Reichweiten von 400 bis 500 km. Das reicht, auch Eisenärsche brauchen mal eine Pause…

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