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Mercedes-Benz S 500 4MATIC W223

Die neue S-Klasse will Luxus neu definieren. Ein grosser Anspruch an sich selbst und Grund genug, das näher anzusehen. Eine Hochzeit von Freunden stand an, 5 Stunden Fahrzeit entfernt. Perfekt für die Luxuslimousine. Die Hochzeit wurde virusbedingt abgesagt, die S-Klasse kam trotzdem in unseren Testfuhrpark.

Starten wir mit einigen Zahlen. Die S-Klasse ist die meistverkaufte Luxuslimousine der Welt. Insgesamt sind seit der Einführung der jetzt auslaufenden Generation mehr als 500.000 S-Klasse Limousinen verkauft worden. Von der letzten Generation der S-Klasse (Baureihe 222; Debüt 2013) ging mehr als ein Drittel aller Limousinen nach China. Dort sind die Kunden der S-Klasse mit einem Durchschnittsalter von rund 40 Jahren am jüngsten. Die S-Klasse Limousine wird weltweit überwiegend mit langem Radstand verkauft: Etwa 9 von 10 Kunden entscheiden sich für die Langversion der S-Klasse Limousine.

Am Tag der Abholung fahre ich ins Emmental. Einige Stunden Autobahn zum hoch-geschätzten Kollegen Peter Ruch von radical-mag.com, der mich auf ein «totes Tier vom Grill» und viele gute Gespräche eingeladen hat. Die Fahrt ist geprägt von Stau und stockendem Verkehr. Die S-Klasse fährt zwar nur Teilautonom (Stufe 2), könnte aber technisch gesehen, auch die nächste Stufe zünden (Stufe 3: hochautomatisiert). Sie kann auf, wie Mercedes schreibt, „geeigneten Autobahnabschnitten“ und bei hohem Verkehrsaufkommen dem Fahrer anbieten, dass der «Drive Pilot» die Fahraufgabe bis zu den gesetzlich erlaubten 60 km/h übernimmt. Aktiviert der Fahrer dieses System, regelt der Benz Geschwindigkeit & Abstand und führt das Fahrzeug souverän innerhalb der Spur. Streckenverlauf, auftretende Streckenereignisse und Verkehrszeichen werden ausgewertet und entsprechend berücksichtigt. Auch unerwartet auftretende Verkehrssituationen werden dann erkannt und durch Ausweichmanöver innerhalb der Spur oder durch Bremsmanöver eigenständig bewältigt. Soweit die Theorie, bei mir hat sich der «DrivePilot» nie gemeldet und ich gab mich mit dem sehr hohen Komfort, bei gleichzeitig nur 6,9 Liter Verbrauch zufrieden. Kleines nettes Detail: Fährt man an ein Stauende, erkennt die S-Klasse in welcher Spur man sich befindet und erstellt ganz von selbst die Rettungsgasse. Vorbildlich!

Der Komfort ist sehr gut, die Luftfederung verbindet Luftfederbälge und adaptive Dämpfer, deren Kennung vollautomatisch geregelt an jedem Rad individuell veränderlich ist und zwar in Zug- und Druckstufe getrennt. Sensorik und Algorithmik stellen die Dämpfer entsprechend der Fahrbahnbeschaffenheit so ein, dass beispielsweise das Überfahren einer Unebenheit mit nur einem Rad sich nicht auf die ganze Achse und den Fahrgastraum überträgt. Die Niveauregulierung wird die Karosserie im Programm «Comfort» bei hohen Geschwindigkeiten über 120 km/h um 10 mm und über 160 km/h um weitere 10 mm abgesenkt, um den Luftwiderstand zu verringern und die Fahrstabilität zu erhöhen. Im Fahrprogramm «Sport» liegt die Karosserie grundsätzlich 10 mm tiefer, in «Sport+» sogar 17 mm. Bis 60 km/h kann die Karosserie durch Tastendruck um 30 mm angehoben werden.

Auf der Autobahn wird das zum fliegenden Teppich, mit einem leichten Federn, aber ohne ständiges Schaukeln. Next Level? Jein. Die bei uns verbauten 21-Zoll-Felgen haben bei Geschwindigkeiten unter 80 km/h für verhältnismässig viel Poltern gesorgt. Schade in diesem Kontext, aber wohl eine reine Ausstattungssache. Zusätzlich fehlte bei uns die Option «E-Active Body Control», die noch mehr Sportlichkeit bei gleichzeitig mehr Komfort verspricht.

Doch zurück zu unserem Besuch im Emmental, irgendwo zwischen Solothurn, Biel und Bern. Enges Wohngebiet, lange Limousine und gute Wendigkeit. Auch hier stehen uns die 21-Zoll Felgen wieder im Weg, sprichwörtlich. Kunden haben bei der optionalen Hinterachslenkung die Wahl zwischen zwei Varianten: Hinterachslenkung 4,5° und 10°. Bei der Variante 10° ist die Radgrösse auf maximal 255/40 R 20 beschränkt, was einen grösseren Radeinschlag ermöglicht. So mussten wir uns mit unseren grossen 21″ Felgen mit nur 4,5 Grad zufrieden geben, wobei doch 10 Grad die wirklich brandheisse Neuigkeit gewesen wäre.

Kurzer Aussencheck. Die S-Klasse gefält mir vorne sehr gut. Kurzer Überhang, gestreckte Motorhaube, die aufrechte Front mit stehendem Stern. Die Scheinwerfer bestimmen das Gesicht des Fahrzeugs. Sie besitzen das für die S-Klasse typische Drei-Punkt-Tagfahrlichtdesign, sind aber flacher und insgesamt kleiner als beim Vorgänger. Die bündig in die Türen eingelassenen Türgriffe wurden komplett neu entwickelt. Sie fahren elektrisch aus, wenn sich der Fahrer nähert oder die Aussenfläche des Türgriffs berührt wird.

Es folgt die lange Fahrgastzelle sowie eine fliessende C-Säule und wird in viel-diskutierten Heckleuchten abgeschlossen. Die breite Spur und die in unserem Falle sehr grossen Räder mit Felgen im AMG Design, wie auch der Rest der Karosserie lassen das Fahrzeug auch dank AMG Styling Paket muskulös wirken.

Obgleich die Stirnfläche der neuen S-Klasse leicht auf 2,5 m2 gestiegen ist, konnte der Luftwiderstand gegenüber dem Vorgänger nochmals gesenkt werden. Mit einem c-Wert ab 0,221 gehört die S-Klasse zu den strömungsgünstigsten Fahrzeugen überhaupt, besonders im Segment der Luxuslimousinen. Gegenüber einem SUV mit ähnlichem Angebot an Platz und Komfort hat das Vorteile bei Verbrauch, Dynamik und Geräuschkomfort.

Zwei Beispiele: Die Aussenspiegel besitzen sogenannte Aerostripes. Diese kleinen Kanten an der Innenseite der Spiegel erzeugen Turbulenz und verbessern so die Umströmung. Auch aeroakustisch sind die Aerostripes vorteilhaft. S-Klasse Modelle mit Panorama-Glasdach besitzen hinten Unterboden-Diagonalstreben zur Versteifung des Rohbaus. Diese wurden zur Verbesserung der Aerodynamik aus der Diffusoranströmung herausgenommen und über die Abgasanlage gelegt.

Das optionale «Digital Light» ist eine Premiere und hat in unserem Test fantastisch funktioniert. Basierend auf der LED-Technologie mit ganz viel digitaler Intelligenz kann es beispielsweise erkannte Fussgänger am Fahrbahnrand mit einer Spotlight Funktion anleuchten und dazu noch Projektionen auf die Fahrbahn wiedergeben. Beispielsweise werden auf verengten Fahrbahnen (Baustelle) Führungsmarkierungen auf die Fahrbahn projiziert, selbiges auch bei Ampeln, Stoppschildern oder Einfahrverboten mittels Projektion eines Warnsymbols auf die Fahrbahn. Clever, gefällt!

Innen wird nun das richtige Technikfeuerwerk gezündet. Highlight ist das neue 3D-Fahrer-Display, welches auf Knopfdruck erstmals eine räumliche Wahrnehmung durch Eye-Tracking darstellen kann. Echte Tiefenwirkung wird erzielt, ohne dass eine spezielle 3D-Brille getragen werden muss. Zwei integrierte Kameras bestimmen die Augenposition des Beobachters und rechnen das Bild blitzschnell in 3D um, so dass es in unserem Test jederzeit, auch während Kopfbewegungen, verzögerungsfrei funktioniert hat.

Das Head-Up-Display bietet Augmented-Reality (AR-)Inhalte. So werden bei der Navigation beispielsweise animierte Abbiegepfeile virtuell und passgenau über die Fahrbahn gelegt. Bei den Assistenzfunktionen werden Informationen beispielsweise zum aktiven Abstands-Assistenten angezeigt. Das Bild liegt virtuell in einer Entfernung von 10 Metern. Diese grosse Bilddistanz ermöglicht ein sehr grosses Bild: Die Anzeigefläche entspricht einem Monitor mit einer Diagonalen von 77 Zoll, das ist nun absolut «Next Level».

Der Sitzkomfort ist vorzüglich, die Kissen an der Kopfstütze sind ein Traum. Das Leder und die Verarbeitung sind auf sehr hohem Niveau. Will man die Nadel im Heuhaufen suchen, kann man kritisieren, dass der dünne Getriebewählhebel am Lenkrad etwas hochwertiger sein dürfte und eine etwas definiertere Rückmeldung geben dürfte. Auch die Lüftungsöffnungen oberhalb des grossen Infotainmentscreens sind kein Fortschritt gegenüber den sehr wertigen Lüftungsdüsen, die wir noch aus dem CLS 53 AMG kennen.

Und wenn wir gleich dabei sind: Das Triebwerk ist ebenfalls dasselbe wie im erwähnten 53er AMG. Der Reihensechszylinder leistet im neuen Mercedes-Benz S 500 4MATIC 435 PS und bietet 520 Nm Drehmoment. Über EQ Boost stehen kurzfristig weitere 250 Nm Drehmoment, sowie 22 PS Leistung zur Verfügung. Eine intelligente Aufladung unter anderem mit elektrischem Zusatzverdichter, sowie der integrierte Starter-Generator sorgen zwar für extrem schnelle und rüttelfreie Startzeiten des Motors, sodass die Start-Stopp-Funktion für den Fahrer fast unmerklich erfolgt, gibt jedoch die Zusatzleistung nur nach Lust und Laune frei. Man sieht nirgends, wann die Zusatzleistung verfügbar ist und kann somit bei einem Überholmanöver nicht abschätzen, ob man mit oder ohne Elektro-Zusatzboost auskommen muss. Der Motor passt ausgezeichnet in den 53er AMG, doch in der S-Klasse harmoniert sein sportlich-bemühter Charakter für mich nicht optimal. Das Surfen auf der Drehmomentwelle, wie es der Bentley ausgezeichnet konnte, geht hier leider, trotz 9-Gang-Getriebe, deutlich weniger gut. Viel früher wird ein deutlich tieferer Gang eingeworfen und mit angestrengterem Gebrumme beschleunigt.

In einer S-Klasse und speziell in deren Hauptmärkten China und USA sitzen die Chefs oft hinten. Entsprechend hat Mercedes-Benz die Neuauflage seines Flaggschiffs konsequent von hinten gedacht. Ein Beispiel dafür: Die Fondpassagiere erleben dasselbe umfangreiche Infotainment- und Komfort-Angebot wie Fahrer und Beifahrer und können darüber hinaus mit (Klapp-)Tisch und Tablet noch Filme schauen oder im Internet surfen. Sie verfügen über bis zu drei Touchscreen-Bildschirme und vielfältige intuitive Bedienmöglichkeiten wie den Sprachassistenten „Hey Mercedes“. Der Beifahrersitz lässt sich nach vorne fahren, um möglichst viel Beinfreiheit für den Passagier hinten rechts zu ermöglichen.

Ein Detail, wohl auch für unsere Mercedes-Kunden in China ist, ist die animierte Ambientebeleuchtung. Neben einem statischen Licht können sich die Farben über den gesamten Lichtleiter abwechseln, um Inszenierungen durch das ganze Auto darzustellen. Die «aktive Ambientebeleuchtung» erzeugt ein Lichtband, das aus rund 250 LED besteht, die nebeneinander im Abstand von 1,6 Zentimetern im Fahrzeuginnenraum als zusätzliche Lichtebene verteilt sind. Hierbei ist die Optik so ausgelegt, dass eine durchgehende Lichtlinie entsteht.

Ein weiteres Highlight ist das optionale Burmester High-End 4D-Surround-Soundsystem. Es beinhaltet neben den 31 Lautsprechern auch 8 Körperschallwandler. Auf jedem Sitzplatz sind zwei dieser Vibrationsmotoren in die Rückenlehne integriert. Die direkte Wiedergabe des Körperschalls in den Sitzen ergänzt das dreidimensionale Hörerlebnis um eine weitere Ebene – den 4D-Sound. Dabei kann die fühlbare Intensität des Klangs für jeden Sitzplatz individuell eingestellt werden. Der Effekt: Das beste und „fühlbarste“ Erlebnis von Musik in einem Auto bisher.

Weiter gibt es 10 verschiedene Massageprogramme, zwei neue, speziell für die S-Klasse entwickelte Programme nutzen die erwähnten Körperschallwandler. Der Effekt der entspannenden Massage nach dem Hot-Stone-Prinzip wird auch durch Wärme gesteigert. Hierfür wird die Sitzheizung mit den aufblasbaren Luftkammern der Aktiv-Multikontursitze kombiniert. Auch die «Energizing Comfort» Programme, die auf Knopfdruck für Vitalität, Entspannung oder Wärme sorgen, sind mit den Körperschallwandler noch erlebbarer geworden. Die Heimfahrt in der Nacht wurde durch die vitalisierende Massage mit Aktivierung deutlich abwechslungsreicher.

Ich könnte noch endlos weiter Details und Features aus dem Innenraum aufzählen. Es ist ein Schaulaufen an Technik, welches zu Beginn eine gewisse Zeit an Eingewöhnung braucht, aber dann durch das fantastische MBUX Mercedes-Betriebssystem sehr intuitiv zu bedienen ist. Gewisse Features sind absolut überflüssig, aber die Überflutung an Technik lässt den inneren Nerd aufhorchen und dann schlussendlich auch Freude an den vielen Möglichkeiten, Tweaks und Einstellungen aufkommen.

Was bleibt also?
Die S-Klasse als S 500 feuert ein Technikfeurerwerk ab und begeistert mit vielen Neuerungen. Die Spanne reicht von „sehr sinnvoll“ bis „Spielerei“ und zeigt, was in den nächsten Jahren auch in den darunterliegenden Klassen Einzug halten wird. Dazu ist sie der perfekte Langstreckengleiter mit allen Annehmlichkeiten für Fahrer, Beifahrer und Mitfahrer auf der Rückbank. Mein Highlight war ein ganz kleines Detail, fernab von 3D-Tacho oder 4D-Soundsystem: Der stehende Stern auf der Motorhaube, stets im Blick des Fahrers. Früher ganz normal, heute etwas sehr exklusives. Bitte wieder mehr (Hauben-)Sterne für die Karossen „vom Daimler“.

Der Verbrauch lag im Schnitt über die gesamte Testdauer bei 8,2 Liter Benzin / 100 km. Der Basispreis für den Mercedes Benz S 500 liegt bei CHF 144’600, unser Testwagen in der Aussenfarbe “Anthrazitblau Metallic”, mit dem Innendesign „Leder Exklusiv Nappa schwarz“, Zierelementen „Holz Pappel schwarz glänzend“” und optionaler Ausstattung lag bei CHF 192’797.

Der OneMoreLap-Konfigurationstipp zur Optik:
Aussenfarbe Mojavesilber Metallic, 50,8 cm (20″) AMG Leichtmetallräder im Vielspeichen-Design, AMG Line, Night Paket, Leder Exklusiv Nappa schwarz, Zierelemente Holz Pappel anthrazit offenporig, Mittelkonsole Glasoptik schwarz dotted lines, Multifunktions-Sportlenkrad in Leder Nappa

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