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Motorrad-Neuheiten: 2020 hat begonnen

Die nächste Töffsaison bringt ganz viel neues, leckeres Fahrmaterial. Gibt’s neue Trends? Nicht unbedingt, aber doch Entwicklungen, auch solche, die Hoffnung machen.

Von Motorrad- (und noch viel mehr von Auto-) Messen fährt man oft mit schwindligem Kopf heim. Kündigt sich da nun ein guter nächster Jahrgang an? Oder haben die Hersteller bloss mit Einsatz von vielen Schweinwerfern und Trockeneis zu kaschieren versucht, dass man eigentlich getrost hätte zuhause bleiben können?

Nach der Eicma in Mailand (besser: nach den Pressetagen, die Ausstellung läuft noch bis Sonntag geöffnet) ist der Fall klar: 2020 geht was, die Hersteller ballern Neuheiten auf breiter Front raus.

Was auch klar ist: Greta Thunberg hat auf die Arbeit der Motorradentwicklern keinen Einfluss. CO2 ist ein in dieser Branche unbekannter Stoff, denn er steht nirgends in den Gesetzestexten für Motorrädern. Nicht ganz zu unrecht, mit sparsameren Luxus-Töff (und davon ist hier die Rede, bescheidene Rollerli fürs Pendeln zur Arbeit sind ein anderes Thema) würde sich die Gletscherschmelze kaum bremsen lassen.

Aber auch sonst ist von Achtsamkeit oder Feminisierung der Gesellschaft an einer Motorradmesse nichts zu finden. Vielmehr wird voll zugelangt, mit Hubraum und Leistung, dass es, so muss ich zugeben, eine Freude ist.

Aber lassen wir das grosse Ganze, das plagt uns schon im normalen Leben (hoffentlich) immer wieder, geben wir uns dem Vergnügen der Mailänder Neuheiten-Party hin. Ein paar Bikes habe ich ausgesucht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder auch nur Gerechtigkeit. Mit der wunderbaren Narrenfreiheit eines freiwillig unbezahlten Töff-Bloggers.

Weil schon das Aufmacherbild von MV Agusta stammt, bleiben wir beim kleinen Hersteller vom Lago di Varese: Die Superveloce 800 (links im Bild) geistert seit einiger Zeit herum, ist jetzt aber definitiv bestellbar. Verspricht Fahrspass und guten Retrolook.

Die Übersicht über die Modellgenerationen und -vielfalt der MV Agusta Brutale 1000 habe ich längst verloren. Macht nix, sieht eh rattenscharf aus wie eh und je. Leistungsmässig sind wir auch in der Welt der Naked Bikes bei über 200 PS angelangt (davon unten mehr), die Brutale RR legt mal locker 208 PS hin, der Modellname verpflichtet. Wichtig: Wheeliekontrolle ist an Board, alles wird gut.

Bleiben wir in Italien, den Naked Bikes und damit auch bei überschäumender Motorleistung. Wieder baut Ducati eine Streetfighter. Auch die mit V2 hatte schon ordentlich Dampf, was weniger ein Problem war als die extremistisch ausgelegte Fahrwerksgeometrie, die in Kombination mit einer räudigerhundbissigen Bremse alles mit Ausnahe scharfen Heizens beinahe verunmöglichte.

Die Neue, die Streetfighter V4, wird bestimmt umgänglicher, fahrbarer. Inzwischen haben alle gemerkt, dass mit Extremisten-Geräten kein Geld zu verdienen ist, weil Hochtalentierte auch in der Biker-Community eine kleine Minderheit stellen. Die Ducati-Naked egalisiert die 208 PS der MV Augsta Brutale, produziert aus 1103 ccm des 90°-V4. Man kann von rund 195 kg vollgetankt ausgehen, das ist am (im Vergleich zu den Lenkerstummeln) hohen und breiten Lenker schon eine wilde Kombination. Aber gut, wir wissen, solche Leistung kommt nur mit Drehzahl, da wird es schon auch Regionen mit packbarer Leistungsentfaltung geben. Und dann gibt es ja noch die elektronischen Helfer, von denen Ducati so ziemlich alles ins Panigale-Derivat steckt.

Das wird auch mehr nützen als die Aero-Flügelchen. Bei Tempo 270 erzeugen dies eine Downforce von 30 kg, sagt Ducati. Man kann dann auf Tempo legal ausserorts zurückrechnen und wird erkennen, dass die Autobahnvignette auf der Frontmaske etwa gleichviel Voderradlast erzeugt.

Aber eben, Aero-Flügelchen (offiziell heissen die Dinger Winglets) sind der letzte Scheiss, drum trägt sie nun auch die Fireblade, wenngleich sehr geschmeidig in die seitliche Verkleidung integriert. Die neue, die jetzt Honda CBR1000RR-R heisst, im Bild die edle SP-Version. Honda blieb im Leistungswettrüsten bislang diskret, beschwor die Fahrbarkeit und hielt sich von der 200-PS-Grenze deutlich fern. Aber was soll man tun, wenn die Barbaren aus Europa ständig mehr Leistung in ihre Vierzylinder füllen und einem einem damit die Visitenkarte quasi aggressiv hinklatschen, statt sie demütig und zweihändig zu reichen? Eben, dann kann Nippon auch anders und lässt seine Klinge neu schärfen.

Anders als bei Ducati kann der Kunde bei Honda weiterhin nicht an einen MotoGP-Ableger glauben, denn die Feuerklinge ist und bleibt ein Reihenvierzylinder, konstant schnell Honda-V4 fahren kann eh nur Herr Marquez. Doch auch der Reihenvierer gibts neu mit mächtig Zunder. Ich sag bloss 217 PS! Rennstreckentrainierer auf Honda freuen sich künftig auch auf die nächste lange Gerade und fragen sich höchstens bange, ob Honda nun das ABS rennstreckentauglich hingekriegt hat. Ich tippe mal: hat der mächtige Flügel bestimmt.

Bleiben wir noch bei den Winglets: Das neue, krasse Naked Bike von Kawasaki, die Z H2, trägt KEINE. Hier muss der kühne Kerl (oder das böse Mädel) am Lenker fürchterliche 200 PS aus dem Kompressor-1000er ohne Aerodynamik-Tricks bändigen. Dafür gibts auch von Kawasaki die volle Lotte an Fahrassystenzsystemen, so dass selbst SUVA und bfu nicht wirklich meckern können. Ausserdem habe ich den Kompressor-Motor beim Test der H2 SX SE+ als äusserst gut fahrbar erlebt. Einfach ein seidig schnurrender Hochdreh-Motor mit einer Extraschnitte Dampf quer übers Drehzahlband.

Um euch die Freude an der jüngsten Kawasaki-Unvernunft nicht zu verderben, verzichte ich hier auf ein Frontfoto. Da sähe man nämlich das (bei allen Kanten, Vertiefungen und Materialüberlagerungen) ziemlich harmlose Gesicht. Da hat vielleicht der Produktentwickler zu sehr die Zugehörigkeit zur Z-Familie betonen wollen. „We are family“ ist ja ganz nett, aber für mich gehört zu einem Performance Bike idealerweise auch ein herausstechendes Design.

Leistungsmässig näher an der Lebensrealität und deshalb kein geringeres Vergnügen dürfte die famose Kawasaki Z 900 bieten, die jetzt auf ein moderneres Display und über die zuvor von kritischen Geistern noch vermisste Traktionskontrolle bietet.

Bleiben wir noch ein bisschen in der Familie. Zu Kawasaki gehört seit kurzem (zu 49,9 %) auch die Edelschmiede Bimota. Dazu passend stand in Mailand eine Bimota Tesi mit dem H2-Triebwerk von Kawa (ohne zu sagen, mit welchem Leistungslevel, gibt es ja mit über 300 PS…).

Die Feinmechaniker aus Rimini bauen seit Jahrzehnten um die Motoren von Grossserienhersteller ausgefeilte Chassis. Seit langem sind sie spezialisiert auf solche mit Achsschenkellenkung (diese Familie heisst eben Tesi); wie das Hinterrad wird auch das Vorderrad über Schwingenarme abgestützt, der Kraftfluss wird so von Lenkung und Dämpfung entkoppelt. Ergibt eine gewöhnungsbedürftige Optik und theoretisch eine optimierte Federung/Dämpfung der Front inklusive kürzerer Bremswege. An der Bimota Tesi H2 fällt auf, dass die Hinterhand über zwei Federbeine angelenkt wird, die aber angeordnet sind wie ein Zentralfederbein. Kenne die Theorie zu dieser aufwändigen Lösung noch nicht. Arbeiten zwei kleine Federbeine feiner als ein grosses?

So, machen wir mal Pause, wenden uns etwas Gemütlichem zu: Harley-Davidson. Doch was sollen die Bilder, so sollten Bilder von fahrenden Harleys jetzt wirklich nicht aussehen. Und doch, das passt. In der Zukunft ist fertig mit Gemütlich. In einer Zukunft, in der die Eisen aus Milwaukee wieder von einer jüngeren Kundschaft begehrt werden. Heute geht ja der Witz in etwa: als letztes Motorrad kaufst du dir eine Harley – dann kommt der Rollator.

Jeweils links im Bild ist die Harley-Davidson Panamericana zu sehen, das ab Ende nächsten Jahres im Feld der Adventure Bikes Staub aufwirbeln soll. Als Kurvenjäger geht die H-D Bronx ins Rennen, die man als Streetfighter oder auch einfach als Roadster sehen mag.

In beiden Fällen setzt man auf neue, wassergekühlte V2 mit 60°-Zylinderwinkel. Sie wirken wie riesige Pötte, dabei liegen sie im handelsüblichen Bereich, bei 1250 ccm (ca. 145 PS) im Falle der Reiseenduro, bei 975 ccm (115 PS) für das Naked Bike.

Damit stösst Harley-Davidson in neue Segmente vor, was nötig und mutig zugleich ist. Nötig wegen des demogafischen Problems, mutig wegen des Umfelds. Denn während man bei den dicken Cruisern auf eine einmalige Heritage und auch ein ziemlich einmaliges Know-how zurückgreifen kann, wartet auf Panamericana, Bronx und den kommenden Bikes zahlreich und hochkarätige Konkurrenz, und einen US-Mythos-Bonus gibts dabei nicht. Das wird hart, sehr hart. Die Hoffnung für Harley: ich bin ein sehr mittelmässiger Prognostiker…

Eine Attacke aufs Establishment aus Europa und USA fährt seit diesem Jahr auch Indian mit der FTR, einem von den Flattrack-Racern (wo Indian gerade alles abräumt, die Harley-Piloten eat the dust) abgeleiteten Roadster mit 1200er V2. Davon gibts neu ein Derivat, die FTR Rally. Kennzeichen: Speichenräder, hoher Lenker und theatralisch in die Höhe gerichtete Auspuffendrohre, in die es schön reinregnet.

Dort wo bei den Motorradgeschäft gerade die Musik spielt, kommt sich BMW neuerdings selbst ins Gehege. Könnte man jedenfalls mit Blick auf die Modellbezeichnungen und die Hubräume ihrer neuen Crossover/Reiseenduros. Da fährt (links) die neue F900XR, wo doch schon die (modellgepflegte) S1000XR (rechts) wartet.

Sieht man genauer hin, wird der Abstand grösser. Der neunhunderter (895 ccm) Reihentwin leistet maximal 105 PS, der neu Euro5-kompatible Reihenvierer der Tausender reisst mit 165 PS an der Kette. Das Mittelklasse-Chassis setzt auf Stahl, die XR1000 machts mit Leichtmetall, die semiaktive Federung ist serienmässig. Und wer dann noch Unterscheidungsprobleme hat, schaut einfach aufs Preisschild.

Noch nicht ganz reif für die Serienproduktion ist die neuen Baureihe der Münchner mit dem dicken Boxer. Klar ist nun, dass die Reihe R18 heissen wird, mit Anklang auf den Hubraum des markanten, luftgekühlten Motors. An der Eicma zeigte BMW die R18 / 2 (Strich zwei im BMW Speak), die deutsche Interpreation eines Custom Cruiser.

Mit dieser Baureihe will BMW ja amerikanischer werden, und da habe ich ähnliche Vorbehalte wie im Fall der europäisch/globalen und jugendlicheren Ausrichtung von Harley: nachvollziehbar, vielleicht unvermeidlich, aber hartes Brot. Zumal der Boxer einen Nachteil, der zumindest bei den längst beerdigten C-Modellen offenbar ein wichtiger war: die dicken Pötte verhindern das Strecken der Beine. Doch das ist in den USA Pflicht…

Und damit von München ins gar nicht so weit entfernte Mattighofen in Österreich. 2020 ist bei KTM das Duke-Jahr: Zum einen modellpflegen sie die 1290 Superduke mit einer neuen R-Version (links). Ein bisschen leichter, ein bisschen stärker, ihr wisst schon. Der fette Zweizylinder liefert nun, Euro 5 inkludiert, nun 180 Pferde.

Die andere R-Version in Mailand geht an die Mittelklasse-Duke. Aus der erwarteten 790 Duke R wird aber nix, dafür kriegen wir die 890 Duke R. Ist uns auch recht. Bei der von 105 auf 121 PS gesteigerten Leistung kann man ja auch nicht jammern, über die voll einstellbaren Federelemente (im Gegensatz zur 790 Duke) sowieso nicht. Zu loben ist, dass die Schalldämpfer so wohlproportioniert daher kommen, denn da waren an anderen Ständen in Mailand teils wahre Monsterexemplare zu sehen.

Reden wir noch kurz über britische Wertarbeit. Triumph hat sich ja vor Jahren aus der Kategorie „Rennsemmeln“ (ja, die scharfe, begehrenswerte Daytona 675) verabschiedet, mangels absehbarer Stückzahlen. Aber irgendwie ist Racing fast nicht von Motorradherstellern fernzuhalten, zu dramatische Geschichten werden geschrieben, zu gut kann man hier Kompetenz darstellen. Ebenfalls wichtig: man hat firmenintern einen emotionalen Kern, der mehr wert ist, als der Finanz-Controller fassen kann.

Item, Triumph liefert seit diesem Jahr ihren 765-ccm-Triple an die Moto2, dort wo Tom Lüthi zu Werke geht. Naheliegend, dass man die modellgepflegte Street Triple RS in das Racing-Umfeld stellt. Neu liefert sie zwar nicht mehr Spitzenleistung (123), doch in der oberen Drehzahlmitte (ca. 6700 bis 10’000) läuft sie laut Triumph besser. Dazu kürzer übersetzte Gänge eins und zwei, ein Schaltautomat der nun auch runter kann und neue Scheinwerfer, schon ist die Modellpflege fertig. Bisherige RS-Besitzer (ich bin einer davon) werden entspannt davon Kenntnis nehmen und keinerlei Druckverspüren, auf die Neue zu wechseln.

Ach ja, im Bild rechts rennt der Retro Café Racer Thruxton neu als RS und acht zusätzlichen PS durchs Bild. Mit diesen zwei Bildern ist über Triumph von heute das meiste gesagt: ein gutgemixtes Angebot von modernster Fahrware und schampar gelungenen und für durchaus gutes Geld verkäufliche Neoklassiker. Well done, chaps!

Ist an der Eicma ein neuer Trend aufgeploppt? Nicht soweit ich sehe. Aber bis man etwas als Trend erkennt, muss es zuerst still und leise wachsen können. Vielleicht hat da eben Aprilia grad was Schlaues gemacht. Unaufmerksame könnten in der RS 660 ein kleines Comeback der Supersport-Klasse sehen, schliesslich schiebt auch Triumph mit der aufgewerteten Daytona wieder ein Eisen an den Start.

Aprilia geht die Sache aber nicht, wie in dieser Klasse lange üblich, vom Rennsport an. Sondern vom Leben und Wedeln auf der Landstrasse. Die RS 660 ist, soweit erkennbar, kein Extremisten-Gerät für Hochtalentierte mit teuersten Komponenten aus Titan und Magnesium. Im Reihen-Zweizylinder stecken 100 PS, das Trockengewicht beträgt 169 kg, die Sitzposition ist nicht zu aggressiv. Landstrassentauglich. Nicht unähnlich der Honda CBR 650R oder der Ninja 650 von Kawasaki. Sport im Alltag statt bloss wenige Male im Jahr. Macht Sinn, wenn man nicht nur Gutverdiener locken will. 20-Jährige können sich schliesslich nicht ständig Trackdays leisten.

Wenn man dann noch eine Klasse tiefer schaut, was sich da alles an 35-kW-Leichtsportlern bietet, wird offenbar, dass die Hersteller vermehrt auch wieder auf einen sportlich orientierten Töffnachwuchs setzen.

Trends ansonsten? Auch mit Euro5 werden die Motorräder nicht schwächer, im Gegenteil. Retro bleibt noch ein bisschen, die Crossover sind das neue Normal.

Und Elektro? Harley-Davidson bleibt vorläufig die einzige grosse Marke mit einem Stromer (wenn’s auch diesen Herbst mit der Lancierung harzte). Zero zeigte in Mailand ihre vorzügliche Zero SR/F. Kleinere Hersteller kleinere E-Töff. Und Energica, die italienische Marke, die eine Rennserie als Vorprogramm einiger MotoGP (MotoE World Cup) beliefert, zeigte eine Evolutionsstufe des Modells Eva, die Eva Ribelle.

Auffällig an der Ribelle (Rebell) ist der riesige Energiespeicher, der 21,5 kWh fasst. 250 km realistische Reichweite müsste damit möglich sein, wenn man den 107 kW starken Permanent-Synchronmotor nicht zu oft ausnudelt. Ein Leichtgewicht ist der halbverkleidete Streetfighter aber nicht; 270 soll die Waage anzeigen.

Dies also zum Abschied: Strom bleibt in der Töffwelt ein zartes Pflänzlein von einem Trend. Bei den Autos wird 2020 vermutlich ein Jahr, wo der Markt stark Richtung Hybrid und Vollelektrisch kippt, ganz einfach weil die Politik die Branche dorthin zwingt. Für Motorräder gilt eine andere Zeitrechnung, nach wie gilt Vorfahrt für die Stärksten und Schnellsten. Und das sind noch die Benziner.

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