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Triumph Speed Twin

Vintage Bikes müssen nur cool aussehen, dann verzeiht man ihnen auch einen schlappen Motor und weiche Federelemente. Vor 10 Jahren galt das noch.

Die Triumph Speed Twin ist eine jener Maschinen, die zuhause für Ärger sorgen können. Das Bike ist fast zu schön, es zu fahren. Und die Speed Twin ist definitiv schön genug, es ins Wohnzimmer zu stellen. Nicht manches Motorrad erfüllt ab Stange und ohne Customzing den Status des Innenraum-Verschönerers.

Die Speed Twin ist als Ganzes eine inspirierende Erscheinung und enttäuscht das Auge auch im Detail nicht: Die schönen Lenkerklemmungen, die Schutzbleche und andere Abdeckungen aus gebürstetem Alu, die gesteppt Sitzbank oder der legendäre Monza-Tankdeckel strahlen ein entspanntes, britische Stilbewusstsein aus.

Triumph baute die ersten zehn Jahre nach ihrer Wiedergeburt keine echten Retrobikes (man verzeihe mir die etwas klischeehafte Schublade). Erst um die Jahrtausendwende griffen die Engländer den legendären Namen Bonneville und den Stil dieser 1960er-Jahre-Motorräder wieder auf.

Schick waren schon die ersten Wiedergänger. Raketen waren die Bikes der Nullerjahre hingegen nicht. Zu weich das Fahrwerk, zu milde der Motor. «Sowas will die Retrokundschaft gar nicht», so die Begründung.

Diese Weniger-ist-mehr-Attitüde war sicher nicht komplett falsch, doch bewusster Verzicht auf Performance ist, seien wir ehrlich, eher ein Minderheitenprogramm. Vor allem mehr Bumms aus dem Heizkessel macht selbst stilbewusste Biker froh.

Dann kam die Bonneville T 120, und die erfüllt den Wunsch nach Punch mit ihren 80 PS schon ganz ordentlich. Die Speed Twin, letztes Jahr lanciert, legt aber nochmals einen drauf und steht in der grossen Familie der Modern Classics an zweiter Stelle hinter dem 105 PS starken Café Racer, der Thruxton  RS.

Bei 97 PS und üppig Drehmoment aus dem Drehzahlkeller leistet die 1200er Version des luft-/ölgekühlten Reihenzweizlinders in der Speed Twin, die im Prinzip nichts anderes als die stärkste Bonneville darstellt. Leistungsfetischisten beeindruckt dies nur flüchtig. Die anderen schwelgen im tieftourigen Cruisen bei 2000, maximal 3000 Umdrehungen. Will man überholen, erübrigt sich hektisches Runterschalten, den Vordermann schnupft man einfach mit einer Handgelenksdrehung (twist of the wrist) auf.

Vibrationen entwickelt der Gegenläufer-Reihen-Zweizylinder nur wenige und nur von der angenehmen Sorte. Samtiger hätte ich den Twin hingegen beim Lastwechsel erwartet. Auf Gasanlegen reagiert der Antrieb mit Verzögerung, dann dafür abrupt.

Top wiederum die leichtgängige Kupplung und die weichen Gangwechsel.

Rein motorisch gesehen lässt sich der «Big Twin» der Briten ganz ähnlich nutzen wie ein fetter Ami-Block. Nur hängt an dieser Kurbelwelle viel weniger Masse, so dass der Twin auf Wunsch zügig hochdreht. «Nötig» im Sinne geschwinden Vorwärtskommens sind hohe Drehzahlen aber höchst selten. Sogar ein Drehzahlbegrenzer soll dem Vernehmen nach eingebaut sein, aber so hoch will man den Motor gar nicht jubeln.

Also reitet man auf einer Woge von Drehmoment und Zugkraft über den Asphalt, und das ganze Motorrad wogt mit. Stahlrohrrahmen und Federelemente (konventionelle Gabel vorn, naturgemäss direkt angelenkte Stereo-Federbeine hinten) sind nicht sportlich scharf, sondern old-school harmonisch abgestimmt. Ein bisschen Flex hier, einiges an Nachgiebigkeit da.

Das klingt wie eine Kritik, ist aber nicht so gemeint. Denn das Gesamtpaket ist stimmig. Der Motor ist ein gutmütiger Bär, das Fahrwerk, also die Kombi von Chassis und Federelementen, ist ein geduldiger Bambus. Zeigt sich nachgiebig und doch fähig, auch unter Druck nicht komplett auseinanderzufallen. Das war, im übertragenen Sinn natürlich, bei den Bonnies der Nullerjahre schon eher der Fall. Die wackelten, mit Schmackes gefahren, beunruhigend durch die Gegend.

Die niedrig montierten Fussrasten signalisieren relativ früh das Ende der Schräglagen-Fahnenstange. Und die weich gedämpfte Front stresst den Vorderpneu bei entschlossenen Bremsmanövern stark, er pfeift unter Protest. Am Reifen kann’s nicht liegen, der Diablo Rosso III ist bezüglich Haftung bei mittleren Temperaturen über jeden Zweifel erhaben.

Ausgesprochen leichtfüssig gibt sich die Speed Twin im kurvigen Geläuf. Schräglagenwechsel gelingen mit leichter Hand, zuweilen wirkt die Triumph gar ein wenig kippelig. Und sie reagiert empfindlich auf Längsrillen und Bitumen-Flecken.

Voll im Wohlfühlbereich bleibt stets der Fahrer. Klassische, aufrecht-entspannte Roadster-Haltung, mit minimaler Last auf den Handgelenken. Für ganz lange Kerle ist der Abstand Sitzbank-Rasten eng, die Kniegelenke sollten noch voll funktionsfähig sein. Von der niedrigen Sitzbank wiederum profitieren Kurzbeinige. Gewicht unter 200 kg, niedrig, einfaches Handling, gutmütiger Motor: Die Triumph Speed Twin mag nicht grad ein Einsteiger-Motorrad sein, aber doch eine weise Wahl für Leute mit wenig Fahrpraxis.

Ein bisschen ärgerlich ist der aus dem Sitz fast unmöglich ausklappbare Seitenständer. Der lange Ausleger am Seitenständer ist so konzipiert, dass man ihn weder sieht noch mit der Stiefelspitze zu packen kriegt. Bleibt nur, erst abzusteigen. Je nach Geländeneigung echt unangenehm.

Passend zum Vintage-Charakter funkt die Elektronik wenig drein in den Umgang mit der Speed Twin. ABS wacht über die Bremsmanöver, die Traktionskontrolle ist einerseits abschaltbar, lässt sich anderseits über die drei Fahrmodi an Fahrer und Bedingungen anpassen. Das wär’s, und das ist gut so.

Der Preis? Mit 14’320 Franken fürs Testmotorrad (im aufpreispflichtigen «Red & Storm Grey») ist die Speed Twin gewiss nicht billig, aber auch nicht überteuert. Ein prächtig zu fahrender, bestens verarbeiteter Hingucker, der auch in 20 Jahren noch cool aussieht, das ist doch was wert!

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