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Maserati Ghibli Trofeo – Pässetour / Roadtrip

Wir schreiben das Jahr 1863, Léon Levavasseur wird in der Nähe von Cherbourg in Frankreich geboren. Auch wenn es kaum jemand weiss: nicht etwa den Amerikanern, sondern ihm verdanken wir dass sich Ingenieure in den folgenden Jahrzehnten mit spezifischen Kurbelwellen in Flat- und Cross-Plane-Varianten, Zündungssprüngen zwischen Zylinderbänken, Massenkräften erster und zweiter Ordnung sowie spannenden Zahlenkombinationen wie 1-3-7-2-6-5-4-8 beschäftigen durften. Petrolheads wissen spätestens jetzt welche Stunde es geschlagen hat – Zeit für Trompeten ohne Schülerchor, Zeit für Blubbern ohne Bademeister – Zeit für 8 Zylinder. Doppelt aufgeladen. Heckgetrieben. Zeit für den neuen Maserati Ghibli Trofeo.  

Modena will es nochmal wissen und trotzt den feuchten Träumen Elon Musks. Der neue Maserati Ghibli erhält nach den bestehenden vier- und sechszylinder Varianten als Trofeo Version nochmals einen in 90 Grad angeordneten 3.8 Liter V8-Motor. Das Biturbo Aggregat aus dem Hause Ferrari leistet satte 437 KW (580 PS), puristisch angetrieben über die Hinterräder mit selbstschliessendem Sperrdifferenzial.  

Den Wagen erhalten wir kurzfristig und pünktlich zum Wochenende. Nach überaus freundlichem Empfang, dem abgelehnten Espresso (Prioriäten!) huschen wir durch die eindrucksvollen Glasgaragen von octane126 in Wallisellen um ihn dann nicht zu erblicken – aber zu hören. Leise brabbelnd fährt man uns den beinahe werkneuen Ghibli vor die Füsse. Er ist grau, aber das ist ok. Denn wir haben den Wagen nur 3 Tage und einiges vor, da braucht es keine Auffälligkeit. Understatement ist unser Freund. 

Die obligatorische Einführung wird kurzgehalten, der Mitarbeiter punktet mit guter Menschenkenntnis.  

Wir nehmen Platz auf den mit auffallend hochwertigem Vollnarbenleder bezogenen Sitzen und begeben uns auf die direkte Suche nach technischen Gimmiks über deren Existenz sich Youtube im Vorfeld zu berichten genötigt sah. Ein blinder Griff unter die rechte Wade bestätigt die Legende: Die Pedalerie lässt sich elektrisch vor- und zurückholen – sensationell!  

Was also tun wenn man einen so genannten GT von einem der traditionsreichsten italienischen Autobauer zur Verfügung hat? Gerne wären wir auf direktem Weg nach Bologna gefahren um den Dreizack nicht nur an der Front vom Ghibli sondern in der Hand der Neptun-Statue auf der Piazza Maggiore zu bewundern. Man stelle sich dieses Foto vor. Aus bekannten Gründen aktuell alles nicht so einfach und wir wollen es nicht übertreiben. Zumindest nicht zu sehr. 

Wir entscheiden uns also den Ghibli genau dafür zu nutzen wofür er geschaffen wurde: als Fahrzeug der Gran Turismo Klasse. Und welche bessere Option als ihn einmal rund um die Schweiz zu scheuchen. Schweiz Tourimus war so nett uns die „Grand Tour of Switzerland“ auszuschildern. Sie führt auf ca. 1’600 Kilometern durch alle Landesteile, an 11 UNESCO-Welterbestätten vorbei und wird mit mindestens sieben Tagen Reisedauer angegeben – wir haben knappe drei. Challenge accepted! 

Es wird empfohlen die Route im Uhrzeigersinn abzufahren, aber heute ist Freitag und so starten wir in besagtem Wallisellen kurz vor Zürich und rollen Richtung Norden um am Rhein entlang einen kurzen Sprung in den grossen Kanton zu wagen und gemütlich Richtung Basel zu cruisen. Co-Pilot René ist, neben zahlreichen anderen Pflichten die dieses verantwortungsvolle Amt mit sich bringt, auch der Musikverantwortliche und daher mit dem Einrichten seines Handys betraut. Die Kopplung geht gewohnt unkompliziert, Android Auto (Apple Carplay ebenso) startet direkt und das grosse Smartphone findet sogar gut in der induktiven Ladeschale platz. Prima. Das neue auf 10.1 Zoll gewachsene Multi-Touch Display reagiert schnell und flüssig und die Soundanlage aus dem Hause Bowers & Wilkins begeistert wie erwartet. „Thunderstruck“ läuft, Angus Joung gibt alles und der Ghibli ebenfalls – in Basel sind wir gefühlt viel zu schnell. 

Weiter geht es Richtung Solothurn um mit dem Balmberg wenigstens einmal den steilsten Pass der Schweiz (25% Steigung) zu erklimmen. Am Fuss angekommen wird nach den ersten Spitzkehren schnell klar: Wer einen (Super-)Sportwagen fährt sollte diese Strasse um jeden Preis meiden, die Frontspoiler Gedenkkurve ist bereits die erste. Der Maserati hingegen meistert den Part vorbildlich. Die CFK Spoilerelemente bleiben allesamt unversehrt und der Wendekreis ist eng genug um nie wirklich ins Schwitzen zu kommen. Daumen hoch – so geht GT. 

Nach einem kurzen Stopp auf der Passhöhe zieht es uns weiter Richtung Thun, wo wir dann auch die Zelte aufschlagen. Da René als Ausdauersportler vernünftiges Essen braucht (zu Pandemiezeiten ‚on the road‘ gar nicht so leicht zu finden..) und ich nach einem kalten Getränk endlich aufhöre über die zu hohe Sitzposition im Ghibli zu lamentieren (sie ist zu hoch!) fahren wir unsere Unterkunft direkt an. Win-Win für alle. Wir haben Glück und kommen noch im Hotel Schlossberg, zentral in Thun, unter. Belohnt werden wir mit einer sensationellen Sicht über die Altstadt hoch zu den noch immer schneebedeckten Berner Alpen, und ganz wichtig: mit einem modernen und gut erreichbaren Schlafplatz für den Ghibli direkt unter dem Schloss.  

Der nächste Morgen startet bei früh mit einer Laufrunde bei Sonnenaufgang. Für René knapp über Ruhepuls, für mich dahingehend, dass man sich beim anschliessenden Frühstück am Buffet Sorgen macht ob ich unter der Maske genug Luft bekomme.  

Es ist immer noch recht früh im Tag als wir Thun verlassen und am See den Abzweiger rechts zum Naturpark Diemtigtal nehmen. Von dort geht es über den Jaunpass vorbei am Bäderhorn und Richtung Lausanne.  

Mit wechselndem Terrain probieren wir die verschiedenen Fahrmodi, und bleiben meistens im regulären Sport Modus hängen. Schalten lassen wir auf den ruhigen Strecken die Automatik, wie von anderen Marken gewohnt verrichtet die ZF 8-Gang auch hier einen sehr guten Job. Die Gangwechsel sind nicht übermässig hart, schnell und von angenehmem Zwischengas untermalt. Beim Blick nach vorne bleiben unsere Augen des Öfteren an den beiden auf der Motorhaube platzierten Luftauslässen hängen. Sie dienen der Wärmeableitung, aber sind wir ehrlich: Maserati hätte sie auch allein schon der Optik halber verbauen können, sie passen wirklich perfekt ins Konzept. 

Angekommen am Genfersee studieren wir die digitale Grand-Tour Karte nochmals genau um den Abschnitt zwischen Vevey und Bourg-en-Lavaux nicht zu verpassen, der wirklich sehr zu empfehlen ist. Es folgen einige Foto Stopps, See von vorne, See von hinten, Maserati in engen Strassen, verwunderte Passanten, das volle Programm. Die Sonne mittlerweile am Zenit finden wir heraus, dass das klimatisierte Getränkefach in der Mittelkonsole nicht wirklich kühlt. Halb so wild, wir suchen ein Restaurant mit gescheitem Blick, Google findet es. Es folgt Lektion 437: Google Maps weiss nicht immer genau welche Strassen in der Westschweiz wirklich befahren werden können. Auch rückblickend bleibt unklar ob wir selbst oder die schwerbepackten Wanderer überraschter waren welche Routen es gibt um ins Coté Lac in Montreux zu kommen. Immerhin dem Maserati wars egal seine 2 Tonnen hoch zu schleppen, tanken muss er ja nicht selbst. Oben angekommen die Überraschung: geöffnet nur für „Gäste“ der Heilanstalt. Fairerweise: Google wusste es, nun glaubten wir es auch. 

Der Hunger treibt uns in einen Tankstellenshop, es war ohnehin mal wieder Zeit. Der Ghibli genehmigt sich bei gemischt-moderater Fahrweise ca. 16 Liter auf 100 km. Nicht super wenig, aber wir sind nicht nachtragend und unser Kurzzeitgedächtnis hält meistens nicht über den folgenden Motorstart hinaus. 

Es zieht uns raus aus Lausanne und wir nehmen einen kurzen Autobahnabschnitt. Schnell fällt auf, dass der Wagen nicht zuletzt dank der Akustikverglasung sehr ruhig fährt. Unterhaltungen im Fahrzeuginneren fühlen sich auch bei Richtgeschwindigkeit an als würde man langsam durch eine Fussgängerzone schleichen. Die spürbar hochwertige Verarbeitung im Innenraum tut ihr übriges, nichts knarzt oder klappert. Gratulation, genau so muss es sein. Wir biegen bei Leuk ab um einen kurzen Abstecher zu den unübersehbaren Parabolantennen zu machen. Fotostopp und Biopause. 

Weiter geht’s zum Simplonpass. Aktuell fast der Regelfall: die Pässe an der italienischen Grenze sind nur wenig befahren. Uns freuts, den Ghibli auch. Der zweite Gang schnalzt rein, jetzt manuell über die feststehenden Pedals, die 730 NM schieben den kleinen Koloss unnachgiebig nach vorn. Maserati gibt an der Trofeo würde in 4.3 Sekunden von Null auf Hundert beschleunigen. Gemessen haben wir nicht, was macht man schon mit dieser Zahl. Die OneMoreLap-Testmethode ist praktischer veranlagt: Die Tränen der Begeisterung müssen horizontal abfliessen. Einen Downshift später ist der Test bestanden, die Literleistung von 154 PS sorgt zuverlässig für unmittelbare Freude. 

Den Simplon überquert führt uns das Navi ins Centovalli. Wer noch nie dort war darf die Region gerne auf die persönliche ToDo Liste nehmen. Viele kleine italienische Städte, enge und sich windende Überlandwege die schlussendlich in Locarno enden. Auch auf diesen historischen Strassen fühlt sich der Ghibli mit seinem Skyhook-System pudelwohl. Das System wertet die Fahrbahnbedingungen und den Stil des Fahrers aus um danach die Dämpferstellung darauf abzustimmen. Das Ergebnis sind spürbar reduzierte Nick- und Wankbewegungen. Zwar sind wir nicht die schnellsten aber die Italiener feiern uns trotzdem, willkommen zuhause. 

Wir organisieren uns ein günstiges Hotel mit der beruhigenden Gewissheit den Abend mit Pizza und gutem Wein ausklingen zu lassen. So kam es auch bis uns morgens um kurz nach 6, sanft geweckt von randalierenden Vögeln auf dem Balkon, die senile Bettflucht packt. Der Checkout ist schnell erledigt und wir finden uns wieder auf den bequemen und im Übrigen sehr Langstrecken tauglichen Sportsitzen des Trofeo. Locarno sieht uns nun nur noch von hinten, die beiden parallel eingebauten Twin-Scroll-Turbolader dürfen wieder wüten, auch wenn wir den Topspeed von angegebenen 326 km/h nicht testen, primär aus Gründen unserer Freiheitsliebe die in der Schweiz bekanntermassen auch schnell mal enden kann. 

Wir erreichen den San Bernadino Pass, werden einmal mehr Zeuge wie das Ferrari Aggregat die längsdynamischen Grenzen der Physik zu verschieben versucht und geniessen eine völlig freie Fahrt auf einen der schönsten Schweizer Alpenpässe. Nach einem schnellen Cappuccino in unserem Lieblingshotel Bodenhaus in Splügen gehen wir den gleichnamigen Pass an. Gleiches Spiel wie am Simplon – nur ein paar Sportler und Verrückte wie wir unterwegs, erst recht zu dieser Zeit. Den nachfolgenden Abstecher durch Italien auf direktem Weg nach St. Moritz nehmen wir mit geöffnetem Schiebedach. Frische Luft für René, akute Sonnenbrandgefahr für mich, geboren im Körper eines Engländers. Die Zöllner beim Übergang zurück in die Schweiz können ihre Freude nicht recht zeigen, aber ausser dreckiger Wäsche hatten wir tatsächlich nichts mehr dabei. 

Kaum den Maloja Pass überquert sind wir auch schon in St. Moritz und nehmen direkt Kurs auf den Berninapass. Es folgt ein ungewollter Bremsperformance Test über den gesamten Berg talwärts, der uns lehrt, dass sich 2 Tonnen zwar schon flott verzögern lassen, es jedoch nicht geruchsfrei von statten geht. Unten angekommen meldet der Wagen auch prompt Temperaturprobleme, wir setzten die Weiterfahrt zum Kühlen entsprechend zügig fort.  

Es ist Sonntag Mittag und wir wissen: alles Gute hat ein Ende. In unserem Fall Winterthur, aber bis dahin gilt es noch den Julierpass zu bezwingen. Für den Ghibli keine grosse Herausforderung, ist er schliesslich gebaut für genau diesen Mix aus schnellen Strassenverläufen, mittelbreiten Tälern und kleineren Dörfern. Gut 3 Stunden später rollen wir in die heimische Garage. Müde, ein wenig dehydriert aber sehr glücklich.  

Was bleibt also? 
Haben wir die Grand Tour geschafft? Nein, zu viele Pässe waren noch geschlossen, zu oft waren wir in Italien und zu viele Freiheiten haben wir uns bei der Wahl unserer Hotspots gelassen. Dennoch sind wir in gut 1’400 km nahezu einmal um die Schweiz gefahren und um die Erkenntnis reicher, dass es Maserati mit dem Ghibli Trofeo gelungen ist einen GT erster Klasse zu entwickeln der neben seinen motortechnischen Ferrari-Genen vor allem mit einem punktet: einer grossartigen Spreizung der ihn in die Kategorie der automobilen Alleskönner hebt. Besser kann man den V8, als eines der schönsten Erzeugnisse fahrzeugtechnischer Ingenieurskunst, in einem GT nicht einsetzen – Léon Levavasseur wäre stolz. 

Preis & Verbrauch 
Der Verbrauch lag im Schnitt bei 16,5 Liter pro 100 km. Der Testwagen, der von Maserati Schweiz zur Verfügung gestellt wurde, war in der Farbe grau lackiert und lag preislich mit Sonderausstattung bei CHF CHF 157’430.-. Die Konfiguration für den Maserati Ghibli Trofeo startet bei CHF 150’700.-. 

Der OneMoreLap-Konfigurationstipp zur Optik: 
Aussenfarbe in Bianco Alpi, Exterieur Carbon Kit, Applikationen aus hochglänzendem Carbon, 21″ Leichtmetallräder im Orione-Black-Design, rot eloxierte Bremssättel.

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