Die neue Audi Speerspitze der elektrischen e-tron Familie hört auf den Namen RS e-tron GT. Ein Gran Turismo mit starkem Antrieb und dynamischem Handling, gepaart mit hoher Reichweite, verspricht Audi. Wir sehen uns das genauer an: Ein echter RS trotz Elektroantrieb? Ist das möglich?
Wir starten die Testfahrt entspannt. Rollen los, Elektroauto-typisch ist es ruhig, bis auf leichtes Brummen, doch dazu später mehr. Nach einigen Kilometern verlassen wir die Ortschaft, es lichtet sich. Wechsel in den „dynamic“ Modus, die Dämpfer werden fokussierter, die Lenkung schwergängiger, das erwähnte Brummen noch lauter. Ein Traktor biegt ab, das lässt uns verlangsamen und als er weg ist, drücken wir das Gaspedal komplett durch. Der RS e-tron GT schiebt brachial an. Ohne Traktionsverlust krallt er sich in den Asphalt, der Kopf knallt an die Kopfstütze und nach wenigen Sekunden wird es ungemütlich in der Kopf- und Magengegend. Das sind G-Beschleunigungen, die sich unser Körper nicht gewohnt ist. Woher auch? Achterbahn, Nissan GT-R oder R8 V10? Kindergeburtstag dagegen.
Die Beschleunigung lässt sich mehrfach replizieren, jedesmal geht bei etwa 80 km/h ein mächtiger Ruck durch den Audi, denn dann findet ein Gangwechsel statt. Ja, richtig gehört. An beiden Achsen bilden die E-Maschine, ihre Leistungselektronik und das Getriebe einen kompakten Block. Der hintere Elektromotor schickt seine Momente auf ein Zweiganggetriebe. Der kurz übersetzte erste Gang sorgt für die explosionsartige Beschleunigung vom Start weg, falls der Fahrer es wünscht. Wenn er darauf verzichtet, fährt der e-tron GT im zweiten Gang an.
Das Lithium-Ionen-Batteriesystem des Audi RS e-tron GT kann netto 84 kWh Energie speichern (brutto 93 kWh). Das Batteriesystem liegt unter der Fahrgastzelle, am tiefsten Punkt des Autos. Damit sorgt es im Verbund mit den E-Maschinen für einen Sportwagen-gemäss tiefen Schwerpunkt und eine Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse, die ganz nah am Idealwert von 50:50 liegt. Damit die Leistung regelmässig abrufbar ist und nicht nur zwischen langen Pausen, sorgen vier separate Kühlkreisläufe, jeder auf einem eigenen Temperaturniveau, für die Kühlung der Hochvolt-Komponenten und des Innenraums. Sie lassen sich je nach Bedarf flexibel miteinander verschalten. Wenn der Fahrer mehrfach hintereinander hohe Leistung abfordert, koppeln Ventile den Kühlkreislauf der Batterie an den Kältemittelkreis der Klimaanlage an – diese intensive Kühlung hält die Performance des Antriebs auf konstant hohem Niveau. Audi verspricht, dass der RS e-tron GT bis zu zehnmal nacheinander aus dem Stand voll beschleunigen kann.
Volle Beschleunigung heisst 3,3 Sekunden von 0 auf Tempo 100 km/h. Dann schieben im Audi RS e-tron GT für maximal 2,5 Sekunden 646 PS und 830 Nm. Sind die 2,5 Sekunden „Powerboost“ um, bleiben immerhin noch 598 PS bei ebenfalls 830 Nm. Längsdynamik ist also vorhanden, wie ist die Querdynamik? Wir fahren den e-tron GT in eine Kurve. Ja, das kann er. Lenkt spitz ein, früh ans Gas, die Kraft ist sofort da und dank der Hinterachsdifferenzialsperre fährt er sich heckgetrieben wieder aus der Kurve hinaus. Powerslides? Möglich. Nur wenn man ihn in der Kurve untypisch fährt, also kurz vom Gas geht oder beim lenken den Winkel verengt, fällt er durch sein Gewicht ins Untersteuern. Obwohl das Auto kompakt wirkt, fahren wir trotzdem 2,4 Tonnen mit uns umher. Die Dreikammer-Luftfederung, sowie die optionale Allradlenkung sorgen für guten Alltagsnutzen. Die Bremsscheiben mit Wolframcarbid-Beschichtung, wie bei uns verbaut, lassen wenig Raum für Kritik übrig, selbst im sportlichem Umgang. Wer noch mehr Bremsperformance sucht, bekommt optional aber auch Bremsscheiben aus Kohlefaser-Keramik.
Das erwähnte Brummen im Komfortmodus erinnert an das Abrollgeräusch der Offroad-Reifen vom Ranger Raptor. Der Grund: Der RS Audi hat serienmässig Sounderzeuger an Bord, für Innen und für Aussen. Genauer sind es zwei Steuergeräte und Verstärker, die im Gepäckraum liegen, die über zwei Lautsprecher aussen und im Innenraum Klang abgeben. Als Grundlage für den digitalen Sound dienen Daten über die Drehzahl der E-Maschinen, die Fahrpedalstellung, die Geschwindigkeit und weitere Parameter. Auf dieser Basis entsteht ein synthetischer Klang, der aus 32 Einzel-Sounds – etwa nachbearbeiteten Synthesizer-Tönen – gesampelt ist und die Arbeit des Antriebs authentisch und fein nuanciert abbildet. Im Profil „efficiency“ ist nur das obligatorische AVAS (Acoustic Vehicle Alerting System) für die Aussenwelt aktiv, das bereits einen deutlich breiteren Warn-Sound erzeugt als gesetzlich verlangt. Mit zunehmendem Tempo – in der EU ab 20 km/h, in Nordamerika ab 32 km/h – wird es immer leiser, ab 60 km/h ist er nicht mehr zu hören. Im Modus „comfort“ wird der e-tron Sportsound für den Innenraum und die Aussenwelt aktiviert, im „dynamic“ Modus werden diese dann noch verstärkt.
Ist das gut? Naja. Grundsätzlich würde ich gerne, wie bei Golf R oder meinem A6 Allroad, alle Sounderzeugnisse, ob für den Innenraum oder die Aussenwelt, einstellen können. Das obligatorische AVAS ausgenommen, will ich primär alles auf Wunsch abschalten können. Das ist beim RS e-tron GT nicht möglich. Der Sinn hinter Akustikverglasung (optional), bei gleichzeitigem Erzeugen von künstlichen und nicht-ausschaltbaren Wummer-Geräuschen, die sehr an die erwähnten Offroadreifen erinnern, ist nicht nur dämlich, sondern einfach nur noch dumm. Im-Kreis-Engineering at its best.
Das Audi seinen RS an Umsteiger verkaufen will, die auf Motorsound stehen und das auch Passanten zeigen wollen, kann man noch verstehen. Tatsächlich ist dieser synthetische Klang für die Aussenwelt auch nicht mal so schlecht, wenn auch im Innenraum viel zu brummig-störend, doch ein Elektroauto, sei es so schnell, wie es ist, hat ja auch genau den Vorteil, dass es für lange Reisen geräuscharm sein kann. Warum reduziert Audi einen Pluspunkt, der dem E-Auto in die Wiege gelegt wurde und drückt uns, mal abgesehen vom „Efficency“ Modus, dieses Wummern auf? Unverständlich.
Die Reichweite. Lässt man es wirklich krachen, erreicht er selbst bei 100 % Batterieladezustand keine 300 Kilometer Reichweite. Angegeben werden 472 Kilometer nach WLTP. Eine Ladung von 5 auf 80 Prozent dauert im Idealfall knappe 23 Minuten. Mit einer maximalen Ladeleistung von 270 kW lädt der Elektro RS in 5 Minuten gute 100 Kilometer Reichweite.
Optisch ist der Gran Turismo im «RS-Kleid» eher zurückhaltend. Es ist eine Synthese zwischen Effizienz und Ästhetik wobei die Effizienz mehr gewichtet wurde. Vom Grundmodell e-tron GT unterscheiden sie sich nur im Detail voneinander. Die Heckansicht ist gewaltig, es stechen sofort die 285mm breiten Reifen ins Auge. Auch die Ähnlichkeit mit dem Porsche Taycan lässt sich nun nicht mehr abstreiten. Carbon-Akzente inklusive der Dachhaut in Carbon, holen zusammen mit dem Optik-Paket schwarz, noch etwas RS-Feeling dazu. Das RS Kürzel vorne im Kühlergrill, wie es bei den Verbrennern RS gang und gäbe war, ist beim RS e-tron GT nicht vorhanden. Demnach von vorne kaum unterscheidbar vom nicht RS-Modell.
Im Innenraum dominiert Carbon und Klavierlack in der Audi typischen Verarbeitungsqualität. Auch hier ist der Audi sehr nahe am Porsche. Tiefe Sitzposition, fantastische Ergonomie und tolle Sportsitze, die beheizt und belüftet sind. Im Fond wird es ab einer Körpergrösse von 1,80 Meter bereits ziemlich eng. Da die Dachlinie hinten stark abfallend verläuft, ist diese Einbusse konstruktionsbedingt so gegeben. Wo bleibt also der RS e-tron GT Avant? Interessant auch, dass das zweite Display für die Klimaanlage, welches noch im Audi A7 50 TDI / Audi RS6 Avant verbaut war, im e-tron GT nicht mehr an Bord ist. Hier wird die Klimaanlage wieder mit physischen Tasten geregelt. Uns gefällt das. Back to the roots!
Was bleibt also?
Der RS e-tron GT will ein vollwertiges Mitglied der RS-Familie sein, was er durch seine Porsche-Gene auch kann. Er macht seinem Namen alle Ehre und ist nicht nur mit reichlich Power bestückt, sondern liefert auch die Agilität und Performance, die man von einem RS-Modell erwartet und kennt, verknüpft mit der fantastischen Porsche-Ergonomie. Leider kann man damit nicht lautlos eine sportliche OneMoreLap hinlegen, denn dann drängt er dem Fahrer und vor allem auch der Aussenwelt seine störenden und leicht proletigen Audio-Ergüsse auf.
Verbrauch & Preis
Der Basispreis für den Audi RS e-tron GT liegt bei CHF 151’650.- unser Testwagen in «kemoragrau metallic» mit optionaler Ausstattung landet dann bei CHF 195’648.-. Der Stromverbrauch lag bei unserer Performance OneMoreLap Fahrweise im Schnitt 27,4 kWh auf 100 km.
Der OneMoreLap-Konfigurationstipp zur Optik:
Aussenfarbe in daytonagrau Perleffekt, Leichtmetallfelgen 10-Speichen-Trapezmodul schwarz glanzgedreht 9.5J /11.5J x R21 Reifen vorne 265/35 R21 / Reifen hinten 305/30 R21, Optikpaket Carbon glänzend & Optikpaket schwarz plus, Aussenspiegelgehäuse in Carbon, Carbondach, Privacy Verglasung (Scheiben abgedunkelt), RS-Designpaket grau (Innenraum).
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